Superwahljahr: 2024 entscheidet sich die Zukunft von 4,2 Milliarden Menschen
2024 finden in 76 Ländern der Welt Wahlen statt. Es geht um die Zukunft Europas, um Krieg und Frieden in Asien – und manchmal steht der Gewinner schon jetzt fest.
Im Jahr 2024 haben so viele Menschen wie nie zuvor in der Geschichte die Möglichkeit, über ihre Regierung mitzubestimmen. In 76 Ländern mit einer Gesamtbevölkerung von 4,2 Milliarden Menschen stehen Wahlen an, wie das britische Wirtschaftsmagazin Economist berechnet hat. Das ist mehr als die Hälfte der Menschheit – auch wenn freilich nicht jeder Einwohner wahlberechtigt ist – etwa aufgrund seines Alters. Berücksichtigt hat der Economist Wahlen auf nationaler Ebene, etwa von Parlamenten oder Staatsoberhäuptern, aber auch auf regionaler Ebene, sofern im ganzen Land gewählt wird. Auch die Europawahl ist in die Statistik eingeflossen.
„Mehr Menschen als in jedem vorangegangenen Jahr werden 2024 wählen gehen“, schreibt das Magazin. „Aber dieser große Gang zu den Wahlurnen bedeutet nicht zwingend eine Explosion der Demokratie“. Denn auch in Ländern mit nur sehr eingeschränkten Freiheiten – etwa Nordkorea, Belarus oder Russland – wird 2024 gewählt. Nur in 43 der berücksichtigten Länder sind die Wahlen frei und fair; 28 Länder hingegen erfüllen nicht die Mindeststandards für demokratische Wahlen. Zu fünf Staaten liegen keine Daten vor.
Wir blicken auf wichtigsten und auf die größten Wahlen 2024:
Präsidentschaftswahl in Russland
Umfragen braucht es nicht, um vorherzusagen, wer nächster russischer Präsident wird. Denn Wladimir Putin wird aller Voraussicht nach im Amt bleiben, wenn die russischen Wählerinnen und Wähler vom 15. bis 17. März 2024 an die Urnen treten. Ernsthafte Gegenkandidaten, die ihm gefährlich werden könnten, gibt es jedenfalls nicht. Um noch einmal für eine sechsjährige Amtszeit antreten zu können, hatte Putin, der die Geschicke Russlands seit 1999 bestimmt, eigens die Verfassung ändern lassen.
Der Kreml-Chef hat Russland in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem autoritär regierten Staat umgebaut. Kritiker verschwanden im Gefängnis oder wurden im Ausland vergiftet, sexuelle Minderheiten müssen um ihr Leben fürchten. Vor allem aber ließ Putin im Februar 2022 das Nachbarland Ukraine angreifen. Tausende Menschen fielen dem Ukraine-Krieg bislang zum Opfer. Obwohl Russland derzeit kaum Geländegewinne verzeichnen kann und Beobachter einen langen Stellungskrieg erwarten, ist Putins Beliebtheit bei den Russen ungebrochen.
Europawahl
Die EU-Mitgliedsstaaten wählen vom 6. bis 9. Juni 2024 ein neues EU-Parlament; in Deutschland können alle Wahlberechtigten ab 16 Jahren am Sonntag, 9. Juni, ihre Stimme abgeben. Wie schon vor fünf Jahren werden hierzulande 96 Europaabgeordnete gewählt; EU-weit sind es diesmal 720 Abgeordnete. Bei der letzten Wahl 2019 hatte noch Großbritannien teilgenommen. Größte Fraktion wurde damals die Europäische Volkspartei, gefolgt von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen. Großen Zuwachs konnten die rechten und nationalistischen Parteien verbuchen, die in der Fraktion Identität und Demokratie zusammengeschlossen sind.
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Präsidentschaftswahl in Taiwan
Auch wenn nur rund 19,5 Millionen Menschen wahlberechtigt sind: Taiwans Präsidentschaftswahl gehört zu den wichtigsten Abstimmungen im Jahr 2024. Denn auch China, das die demokratisch regierte Insel als Teil des eigenen Staatsgebiets betrachtet, schaut genau hin, wer Nachfolger von Noch-Präsidentin Tsai Ing-wen wird, die nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten darf.
Als Favorit geht am 13. Januar Vizepräsident Lai Ching-te von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei ins Rennen; Peking betrachtet ihn als „Separatisten“ und droht mit Krieg, sollte Lai Taiwan offiziell für unabhängig von China erklären. Ihm dicht auf den Fersen ist Umfragen zufolge Hou Yu-ih von der traditionell Peking-freundlicheren Kuomintang. Der zweite Oppositionskandidat Ko Wen-je von der Taiwanischen Volkspartei spricht sich ebenfalls für eine Annäherung an China aus. Wer die meisten Stimmen auf sich vereint, gewinnt – eine Stichwahl gibt es nicht. Auch das taiwanische Parlament, das sogenannte Legislativ-Yuan, wird neu gewählt.
Präsidentschaftswahl in den USA
Noch einmal Joe Biden – oder noch einmal Donald Trump? Das ist, Stand jetzt, die Frage, vor die am 5. November die Wählerinnen und Wähler bei der US-Wahl 2024 stehen werden. Trotz ihres hohen Alters wollen sich beide um eine zweite Amtszeit bewerben – der 81-jährige Amtsinhaber Biden sowie Trump, der von 2017 bis 2021 der 45. Präsident der Vereinigten Staaten war und im kommenden Juni 78 Jahre alt wird. Noch allerdings müssen sich Biden und sein Herausforderer parteiinternen Vorwahlen stellen. Dass sie am Ende das Rennen machen werden, gilt jedoch als ausgemacht. Umfragen zufolge liegt Trump in der Wählergunst derzeit vor Biden.
Aus Sicht vieler US-Verbündeter hingegen wäre eine Rückkehr von Donald Trump eine politische Katastrophe. Trump könnte die Unterstützung der USA für die Ukraine reduzieren oder beenden, den Konflikt mit China verschärfen sowie neue Handelshemmnisse mit der EU aufbauen. Auch sehen viele Europäer Trump als Gefahr für die US-amerikanische Demokratie.
Präsidentschaftswahl in Indonesien
Indonesien ist ein Land der Superlative: Mit mehr als 17.000 Inseln ist es der größte Inselstaat der Welt, mit fast 280 Millionen Menschen das Land mit der viertgrößten Bevölkerung und mit den meisten Muslimen. Rund 205 Millionen Menschen stimmen am 14. Februar 2024 über einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament ab. Es werden die größten demokratischen Wahlen der Welt, die an einem einzigen Tag stattfinden.
Umfragen sehen derzeit Prabowo Subianto vorne, den Schwiegersohn von Langzeitdiktator Suharto. Prabowo wollte bereits zweimal Präsident werden, jedes Mal unterlag er dem aktuellen Amtsinhaber Joko Widodo, der ihn schließlich zu seinem Verteidigungsminister machte. Dass Prabowo Ende der 1990-er Jahre an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen sein soll, stört viele, vor allem junge Wähler nicht. Aktuelle Umfragen sehen eine Stichwahl voraus, die für Ende Juni angesetzt ist. Dann wird Prabowo voraussichtlich gegen Ganjar Pranowo antreten, den Kandidaten von Widodos Regierungspartei.
Parlamentswahl in Indien
Mehrere Wochen im April und Mai nimmt sich Indien für seine Parlamentswahl Zeit. Rund eine Milliarde Menschen sind wahlberechtigt, indischen Medien zufolge ein neuer Rekord. Insgesamt leben in dem Land mittlerweile 1,442 Milliarden Menschen, 2023 überholte Indien die Volksrepublik China als bevölkerungsreichstes Land der Erde.
Im indischen Parlament, der Lok Sabha, hat derzeit die Indische Volkspartei (BJP) von Premierminister Narendra Modi eine komfortable Mehrheit. Umfragen zufolge könnte das auch so bleiben. Zuletzt gaben Regionalwahlen in fünf Bundesstaaten der BJP weiteren Auftrieb. Dabei konnte die BJP auch den Bundesstaat Chhattisgarh gewinnen, der bislang eine Hochburg der oppositionellen Kongresspartei war. Kritiker werfen Premierminister Modi, der Indien seit 2014 regiert, einen autoritären Führungsstil vor. Zudem wird seine hindu-nationalistische Partei für Rassenunruhen verantwortlich gemacht. Nach außen tritt Indien unter Modi zunehmend selbstbewusst auf.
Parlamentswahl in Großbritannien
Noch ist unklar, ob Großbritannien im kommenden Jahr ein neues Parlament wählt, aber vieles spricht für einen Termin im Herbst. Am 17. Dezember 2024 wird es jedenfalls genau fünf Jahre her sein, dass das Parlament nach der letzten Parlamentswahl zum ersten Mal zusammengetreten ist. Wenn bis zu diesem Zeitpunkt keine Wahlen abgehalten werden, wird das Parlament automatisch aufgelöst – und die Wahlen finden 25 Werktage später statt, also spätestens am 28. Januar 2025. Möglich ist aber auch ein deutlich früherer Termin – nicht wenige Medien und Politiker im Vereinigten Königreich fordern jedenfalls, die Wahlen so bald wie möglich abzuhalten.
Bei der letzten Wahl im Jahr 2019 gewannen die Tories unter dem damaligen Premierminister Boris Johnson die Parlamentsmehrheit. Die hohe Inflation, ein schwaches Wirtschaftswachstum, aber auch Debatten über den richtigen Umgang mit Migration prägen derzeit die britische Politik. Für den konservativen Premierminister Rishi Sunak, der sein Amt erst im Oktober 2022 angetreten hatte, keine guten Aussichten.
Präsidentschaftswahl in der Ukraine
Hätte Russland die Ukraine nicht im Februar 2022 überfallen, würde das Land am 31. März eine Präsidentschaftswahl abhalten. Schließlich ist Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits seit 2019 im Amt. Allerdings verbietet das Kriegsrecht, unter dem sich die Ukraine derzeit befinden, alle Wahlen. Auch Selenskyj erklärte bereits, dass momentan „nicht die richtige Zeit“ für Wahlen sei. Tatsächlich ist es nur schwer vorstellbar, wie angesichts der andauernden russischen Angriffe, die auch zivile Ziele nicht verschonen, landesweite Wahlen möglich sein könnten. Zumal etwa ein Fünftel des Landes derzeit von Russland besetzt ist.