Tickende Zeitbombe: Russlands Wirtschaft geht es schlechter als Putin sagt – Zahlen sprechen klare Sprache
Quo vadis Russland? Zumindest aus wirtschaftlicher Sicht zeichnet sich eine deutliche Tendenz ab. Die Bilanzen lassen tief blicken – zum Ärger Putins.
Moskau – Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs gibt es zwei feste Ziele: 1. Die EU will Russlands Wirtschaft schwächen. 2. Wladimir Putin will den Westen überzeugen, dass die Maßnahmen der Wirtschaft nichts anhaben können. Ein genauerer Blick auf Wirtschaftsdaten dürfe Putins Hoffnung dahinschwinden lassen. Denn der russischen Wirtschaft geht es schlechter, als Moskau behauptet.
Prognose für Russlands Wirtschaft: Putins Plan geht nicht auf – „Zeit ist nicht auf Russlands Seite“
Putins Pläne für die Wirtschaft orientieren sich hauptsächlich am Ukraine-Krieg. Die Idee: Mehr Geld in die Verteidigung und für Kriegsgüter pumpen, die Staatsinvestitionen ankurbeln und das Wirtschaftswachstum befeuern. Das Problem: Solche Investitionen sind nicht nachhaltig. Das Wirtschaftswachstum hängt davon ab, ob der Ukraine-Krieg weitergeht.

Nach Jahren einer kriegswirtschaftlichen Umstellung, gerät die russische Wirtschaft in eine zunehmend prekäre Lage, resümieren Autoren in einem Bericht des Stockholm Institute of Transition Economics (SITE). In dem für die Gespräche der Finanzminister der Europäischen Union erstellten Bericht heißt es, dass die russische Wirtschaft zwar noch relativ stabil sei, aber nur oberflächlich belastbar und dass die zugrunde liegenden Ungleichgewichte und strukturellen Schwächen zunähmen.
„Die fiskalischen Anreize für die Kriegswirtschaft haben die Wirtschaft kurzfristig über Wasser gehalten, aber die Abhängigkeit von undurchsichtiger Finanzierung, verzerrender Ressourcenverteilung und schrumpfenden Haushaltspuffern macht sie langfristig unhaltbar. Entgegen den Darstellungen des Kremls arbeitet die Zeit nicht auf Russlands Seite“, hieß es.
EU-Sanktionen gegen russische Wirtschaft schwächen den Kreml – Putins Zahlen wecken Zweifel
Russlands Wirtschaft bekam kriegsbedingt Wachstumsschübe, vergleichbar mit einem Booster. Doch die Wirkung des Boosters lässt nach. Das liegt unter anderem an den Sanktionen, die der Westen mit dem Fortschreiten der russischen Aggression gegenüber der Ukraine verschärft hat. Bisher hat die EU 16. Sanktionspakete verhängt, das 17. soll kommen und Russlands berüchtigte Schattenflotte stärker ins Visier nehmen, welche Putin für die Umgehung des Ölembargos einsetzt. Die EU-Sanktionen zielen auf Moskaus Haupteinnahmequellen ab – Öl-, Gas- und Kohleexporte. Auch andere westliche Mächte, darunter die USA, Kanada, Großbritannien und Japan, verhängten Sanktionen. So will die EU die finanziellen Mittel schmälern, die Putin für den Ukraine-Krieg braucht.
Die Sanktionen zeigten Wirkung: Sinkende Einnahmen aus dem Energiegeschäft trugen zu Haushaltsbeschränkungen bei. Seit Beginn der Invasion in der Ukraine weist Russland jährlich ein Haushaltsdefizit von zwei Prozent des BIP auf, heißt es in der SITE-Studie. „Die russischen Haushaltszahlen entsprechen nicht wirklich dem, was sie unserer Meinung nach in die Kriegsanstrengungen stecken“, sagte Torbjørn Becker, der den SITE-Bericht den EU-Finanzministern vorstellte. Ein Großteil der Finanzierung der Kriegsmaschinerie laufe über das Bankensystem. „Wenn man das also zu den Haushaltszahlen hinzurechnet, wären ihre Haushaltsdefizite etwa doppelt so hoch wie in der offiziellen Statistik angegeben“, sagte er. Dies wiederum führe zu finanziellen Risiken im Bankensystem, sagte Becker, da die Banken ein hohes Kreditwachstum meldeten.
Russlands Wirtschaft steckt auch laut EU in der Krise – knickt der Kremlchef ein?
Ohnehin sind russische Angaben zur Wirtschaftslage mit Vorsicht zu genießen und sollten hinterfragt werden. Den Studienautoren zufolge liegt beispielsweise die Inflation höher, als die russische Seite darstellt. „Russland behauptet, die Inflation liege bei 9 bis 10 Prozent. Warum sollte die russische Zentralbank dann einen Leitzins von 21 Prozent festlegen? Welche reguläre Zentralbank würde einen Leitzins festlegen, der im Grunde 11,50 Prozentpunkte über der Inflationsrate liegt? Wenn eine unserer Zentralbanken so etwas tun würde, wäre sie am nächsten Tag ihren Job los“, sagte Becker gegenüber Reportern.
Zustimmung bekommt das SITE von der EU-Kommission. Die Kommission stimme der Analyse und der insgesamt zunehmenden Fragilität der russischen Wirtschaft weitgehend zu, sagte EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis gegenüber Reportern nach einem Treffen der EU-Minister. Auch weiterhin werde die EU Bemühungen fortsetzen, die Fähigkeit des Kreml einzuschränken, den Ukraine-Krieg fortzuführen. Die nun in Istanbul anstehenden Gespräche werden entscheidend für die Ukraine-Verhandlungen sein – und daüfr, wie es im Ukraine-Krieg weitergeht. (bohy mit Material von Reuters)