„Regt euch doch auf“ - Kolumne von Julia Ruhs - Passen Sie auf, was Sie wegen Syrien-Flüchtlingen denken! Es könnte ja herzlos sein
Meine Gefühlswelt besitzt offenbar ein politisch inkorrektes Eigenleben. Ich fühle oft nicht das, was man angeblich fühlen sollte. Als ich vergangenes Wochenende mit der Nachricht vom Sturz des syrischen Präsidenten Baschir al-Assad in den Schlagzeilen aufwachte, bewegten sich meine Gedanken zwischen: „Oje, noch mehr Flüchtlinge?“ (Sorge). Und: „Oh, gehen da jetzt etwa viele zurück?“ (freudige Erwartung).
Nach etwas Zeitungslektüre wusste ich dann, wie herzlos, gefühlskalt, pietätlos, ja zynisch ich doch bin. Es sei doch viel zu früh, jetzt schon darüber nachzudenken, ob und wie man die Menschen wieder loswerde. Auch Politiker von Union und AfD, die beim Thema Migration Morgenluft witterten, bekamen auf die Finger geklopft.
Der CDU-Politiker Alexander Throm gab im „Handelsblatt“ emotionsbefreit zu Protokoll: „Hier gilt es zu prüfen, ob der Schutzstatus nicht entfällt.“ Daraufhin bekam er gleich einen Seitenhieb eines „Spiegel“-Kommentators verpasst, Throms Satz sei doch empathielos.
Auch Gefühle werden mittlerweile bewertet
„Vorzeitig“ mit so rationalen Fragen nach Schutzstatus, Ausreise und Abschiebungen daherzukommen – nein, also wirklich, das machen praktisch nur Unmenschen. Richtig verhalte sich der, der den Sturz Assads zusammen mit den Syrern kräftig feierte. Jetzt sei erst mal die Zeit der unbändigen Freude!
Daran sieht man: Nicht nur bestimmte Meinungen können verpönt sein, sondern auch Gefühle. Sie werden bewertet, gelten je nach Situation als „gut“ oder „schlecht“.
Dieses Thema scheint nicht nur mich umzutreiben. Etwas überrascht habe ich festgestellt, dass es zu diesem Phänomen bereits Forschung gibt. Dass Emotionen selbst zur Konfliktsache werden, passiere nämlich heutzutage häufiger, erklärte der Soziologe Christian von Scheve im Deutschlandfunk.
Richtig schlimm wurde es mit den „Klimagefühlen“
Vor allem die Klimabewegung habe damit angefangen, Gefühle und Befindlichkeiten groß in Szene zu setzen. Greta Thunbergs Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2019 sei das beste Beispiel. Sie sagte: „Ich will eure Hoffnung nicht. Ich möchte, dass ihr in Panik geratet.“
Thunberg machte Gefühle zu einer politischen Forderung. Und sie diskreditierte damit das Gefühl der Hoffnung. Hoffnung ist falsch, Angst ist richtig.
Kein Wunder, dass viele der Klimabesorgten in den letzten Jahren verkündeten, von Ohnmachtsgefühl und Klimadepression geplagt zu sein. Klimaangst zu haben, war plötzlich ein politisches Statement. Der Heulkrampf auf Social Media das Stilmittel.
Nicht alle Gefühle sind politisch korrekt
Gefühle sind politisch, das habe ich mittlerweile begriffen. Und politisch korrekt fühlt, wer nicht nur wegen des Klimas Zukunftsängste verspürt. Sondern Scham beim Einsteigen in den Flieger, Rührung bei der Aufnahme jedes Flüchtlings, Sorge bei hohen AfD-Umfragewerten, Verachtung bei jedem angeblichen Fremdenfeind, Trauer über die erneute Wahl von Trump, Nächstenliebe für den Bürgergeldempfänger. Nur beim Anblick der eigenen Nationalflagge sollte man möglichst innerlich tot sein.
Die richtigen Gefühle in der richtigen Situation zu haben, ist also gar nicht so einfach. Ich fahre zum Beispiel oft Bahn, Klimaschützer könnten stolz auf mich sein. Dummerweise inkludiert das den Aufenthalt an den Bahnhöfen und Bahnhofsgegenden dieses Landes. Dort verspüre ich öfter ein Unwohlsein. Schuld daran sind, wie ich sie nenne, „zwielichtige Gestalten“. Am schlimmsten ist das natürlich nachts.