Brenzlige Lage in Kursk: Jetzt schickt Putin seinen Top-General

Die Ukraine macht Boden gut in Kursk. Wenig. Aber genug, dass Putin einen krisenerprobten Soldaten schickt. Vielleicht hat der von Beginn an verloren.
Kursk – „Es hat die Gefahr einer feindlichen Offensive verringert. Wir haben sie am Handeln gehindert. Wir haben die Kämpfe auf feindliches Territorium verlegt, damit der Feind spüren konnte, was wir jeden Tag spüren“, sagte Oleksandr Syrskyi. Gegenüber dem US-amerikanischen Sender CNN versuchte der General und Oberbefehlshaber der Armee der Ukraine zu erläutern, was seine Truppen auf russischem Territorium bei Kursk zu gewinnen gedenken. Im Moment rücken die Ukrainer sogar vor – und haben Wladimir Putin möglicherweise leicht angezählt. Der Potentat Russlands hat jetzt einen militärischen Hochkaräter entsandt, um die Lage zu bereinigen.
Mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Junusbek Jewkurow stünde jetzt einer von Putins ranghöchsten Generälen an der Kursker Front, wie das Magazin Newsweek berichtet. Demnach sei Jewkurow eingetroffen, nachdem das russische Verteidigungsministerium mitgeteilt hatte, die Invasionskräfte der Ukraine seien wieder in der Vorwärtsbewegung, und deren Offensive fräße sich weiter in das russische Kernland hinein. Laut Newsweek habe Alexander Chinschtein als Verwaltungsleiter der Region die Begegnung als „Arbeitstreffen“ deklariert.
Ukraine-Krieg in Kursk: Wo militärisch sehr wenig, moralisch sehr viel zu gewinnen ist
Zu besprechen wird möglicherweise sein, warum die russischen Kräfte die im August begonnene Offensive offenbar immer nur kurz zurückdrängen konnten und erobertes Terrain wieder preisgeben mussten. Eine schnelle Lösung wird Jewkurow fordern gegen den offensichtlichen Zusammenbruch der dort zusammengezogen Kräfte – zu deren Erstarken wohl auch die mehrere Tausend nordkoreanischen Hilfstruppen nichts haben beitragen können. Allein dort scheint Russland zum Verlegen der Front gezwungen – dort, wo militärisch sehr wenig, moralisch viel mehr zu gewinnen ist.
„Die Russen in Kursk sind in großer Angst, weil sie aus mehreren Richtungen angegriffen wurden und es für sie eine Überraschung war.“
Wie die britische BBC berichtet, habe das russische Verteidigungsministerium gemeldet, am Sonntag (5. Januar) gegen 9 Uhr Ortszeit (6 Uhr GMT) habe eine ukrainische Angriffstruppe in der Nähe des Dorfes Berdin angegriffen – dieser motorisierte Verband soll bestanden haben aus zwei Kampfpanzern, einem militärischen Pionierfahrzeug und zwölf gepanzerten Kampffahrzeugen – die beiden Kampfpanzer seien britische Challenger gewesen. Nachdem die Ukraine ihren Keil in russisches Kernland im vergangenen August auch dank deutscher Marder-Schützenpanzer geführt hatte, hat die russische Propaganda wieder Stoff für Verschwörungstheorien aufgrund angreifender Nato-Kampffahrzeuge. Dafür hatten schon die Marder getaugt.
Junusbek Jewkurow ist für handfestes Handeln bekannt. Laut dem Spiegel soll er am Anfang seiner Karriere als Kommandeur einer Fallschirmjäger-Einheit im Kosovo den Flughafen der Stadt Pristina genommen und damit die Nato düpiert haben, wie das Nachrichtenmagazin extra betont. Dann wurde er auf Geheiß des Kreml Präsident der Kaukasus-Republik Inguschetien, bis er durch einen Bombenanschlag schwer verletzt wurde. Ins Rampenlicht rückte Jewkurow erneut als Geisel des im Jahr 2023 meuternden Führers der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin.
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Putins Kursk-Desaster: „Der Überraschungserfolg ist vor allem ein Signal nach innen.“
„Prigoschin hatte den stellvertretenden Verteidigungsminister in seine Gewalt gebracht und dessen Ohnmacht vor laufender Kamera demonstriert. Nun ist Jewkurow einer der Haupterben des eingestürzten Wagner-Imperiums“, wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) im Februar 2024 geschrieben hat. Erbe der Wagner-Söldner wurde Generaloberst Jewkurow. Mit ihnen baute er mittels dieses scheinbaren Freiwilligen-Verbandes den russischen Einfluss in Afrika aus. Inzwischen ist Jewkurow an einem neuen Unruheherd, um Russlands Gesicht zu wahren.
„Der Überraschungserfolg ist vor allem ein Signal nach innen“, kommentiert Barbara Oertel. Die Osteuropa-Redakteurin der taz ist geneigt, denjenigen in der Ukraine zuzustimmen, die die ‚,,Aktion Kursk‘‘‘ als Durchhalteparole wahrnehmen“. Ihrer Meinung nach sei sie als solche auch nicht zu unterschätzen. Nach Meinung von Financial-Times-Autor John Paul Rathbone hätte die Kursk-Offensive der Ukraine gleichzeitig „Wladimir Putins Kriegsnarrativ einen Dämpfer verpasst“. Das scheint stark übertrieben zu sein. Gleichermaßen wie die westlichen Geheimdienst-Verantwortlichen halten Osteuropa-Beobachter Putins Sockel als Staatenlenker für krisenfest.
In Jewkurow scheint sich militärisch zu realisieren, was Putin politisch initiiert: die „Remaskulinisierung Russlands, wie Sabine Fischer schreibt. Im Zentrum dieses Prozesses stehe der „russkij mushik“ , so die Politologin des deutschen Thinktanks Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP); das sei ein „echter Kerl“, der Schluss mache mit der Schwäche des russischen Mannes in der späten Sowjetunion. Neben einem schärferen Wind in der Innenpolitik gegenüber vermeintlichen Minoritäten bezüglich beispielsweise der sexuellen Orientierung schwappte diese von Sabine Fischer als Chauvinismus bezeichnete Haltung auch auf die Außenpolitik über: Die Überhöhung des Selbstbildes des russischen Volkes scheint mit der Angst vor einem vermeintlich faschistischen Ausland oder zumindest einem Russland feindlich gesinnten Nachbarn einherzugehen.
Neue Offensive: Offenbar rüttelt das Rasseln der Challenger-Panzer in Kursk an den Ängsten Putins
Offenbar rüttelt das Kettenrasseln der Challenger-Panzer in Kursk an genau diesen Ängsten Putins; beziehungsweise der russischen Eliten. Zumindest ginge das US-Verteidigungsministerium davon aus, „dass die Ukraine in der Lage ist, eine bedeutende Präsenz in Kursk aufrechtzuerhalten“, wie das Magazin The War Zone Mitte Dezember durch eine anonyme Quelle erfahren haben will. „Es wird einige Zeit dauern, bis die Streitkräfte, die die Russen dort eingesetzt haben, in der Lage sein werden, diesen Vorsprung in nennenswerter Weise zu verkleinern.“
Der Angriff auf Kursk habe Putin gedemütigt – und die Art und Weise, wie der Krieg geführt wird, verändert, hat Orysia Luzewytsch für den britischen Guardian geschrieben; Mitte August, als der durch die ukrainischen Angriffstruppen aufgewirbelte Staub noch nicht ganz wieder zu Boden gefallen war. Inzwischen fehlt immer noch die klare Sicht. „Wir erreichen unsere Ziele“, schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im August mittels des Messenger-Dienstes Telegram über den zu der Zeit seit zwei Wochen andauernden Einmarsch in Kursk, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet hatte. Allerdings ist bis heute offen, welches Ziel Selenskyj faktisch anpeilt, beziehungsweise, wohin er marschieren lassen will. Vielleicht auch nur einfach geradeaus.
Ebenfalls ist fraglich, inwieweit Wladimir Putin rote Linien in mehreren Schattierungen kennt. Der Übertritt in sein Reich und der damit einhergehende Gesichtsverlust mag vielleicht eine eher roséfarbene Line gewesen und daher noch zu verschmerzen sein. Demnach könnten eventuell auch dunkelrote Linien existieren, aber auch dazu liegen keine Informationen vor, im Knäuel roter Linien, das die russische Führung mantraartig androht.
Russlands Top-General: Jewkurow marschiert vielleicht einem krassen Karriereknick entgegen
Immerhin denkbar erscheint auch, dass Junusbek Jewkurow stramm einem krassen Karriereknick entgegen marschiert – mit jedem einzelnen Meter Offensive der Ukraine rückt Jewkurow weiter mit dem Rücken an die Wand. Der Präsident habe an der Spitze des Regimes „eine unerreichbare Etage errichtet“, zitiert Osteuropa-Forscher Hans-Henning Schröder den Praktiker Gleb Pawlowskij: „Der Präsident ist ,auf dem Laufenden‘, verhält sich aber so, dass er immer sagen kann: Das habe ich nicht gewusst und so etwas habe ich nicht versprochen‘“, erläutert der Politikberater, der sowohl für Boris Jelzin wie für Putin gearbeitet habe. Ihm zufolge würden Entscheidungen des Kreml jeweils nur von bedingtem Charakter sein.
Umgekehrt kann sich Putin also auch von Fehlentscheidungen freisprechen, beziehungsweise die Verantwortung für Fehlentwicklungen wie der Kursk-Offensive delegieren. Auch das militärische Lagebild ist verschwommen, wie die britische BBC wiedergibt. Demnach hätten die Russen massiv zurückgeschlagen und die Panzerkolonne aufgerieben; die beiden Challenger-Kampfpanzer seien zerstört worden, das Pionierfahrzeug und sieben gepanzerte Kampffahrzeuge ebenfalls, so die BBC unter Berufung auf Informationen aus dem ukrainischen Verteidigungsministerium. Die Kämpfe dauerten aber an.
Wie die BBC weiter berichtet, soll der oberste ukrainische Verantwortliche für die Bekämpfung von Desinformation aber fast schon so etwas wie einen überwältigenden Erfolg erkannt haben, wie Andriy Kovalenko in einem Telegram-Post geschrieben hat: „Die Russen in Kursk sind in großer Angst, weil sie aus mehreren Richtungen angegriffen wurden und es für sie eine Überraschung war.“