Putin und Xi als „Feinde“? – „In Russland herrscht tiefes Misstrauen gegenüber China“

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Freund oder Feind? Das Verhältnis zwischen Peking und Moskau ist kompliziert. „Russland ist in hohem Maße von China abhängig“, sagt Experte Sören Urbansky im Interview.

Nach außen geben sich Russland und China unzertrennlich – der Ukraine-Krieg, so scheint es, hat die beiden Nachbarländer noch enger zusammengeschweißt. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Das zumindest legt ein russisches Geheimdienstdokument nahe, über das vor wenigen Tagen die New York Times berichtete.

Demnach bemüht sich Chinas Geheimdienstapparat verstärkt um die Anwerbung russischer Regierungsbeamter, Experten, Journalisten und Geschäftsleute. Auch spioniere China die Operationen des russischen Militärs in der Ukraine aus, um mehr über westliche Waffen und Kriegsführung zu erfahren. Das Fazit der russischen Geheimdienstler: China ist alles andere als ein enger Freund – es ist Russlands „Feind“. Was hinter dieser Einschätzung steckt, erklärt der Historiker Sören Urbansky im Interview.

Herr Urbansky, die New York Times berichtete unlängst über ein russisches Geheimdienstdokument, in dem China als „Feind“ bezeichnet wird. Wie verbreitet ist diese Einschätzung in Russland?

Trotz der offiziellen Rhetorik einer „grenzenlosen Freundschaft“ herrscht in russischen Sicherheitskreisen tiefes Misstrauen gegenüber China. Dieses Misstrauen spiegelt sich auch im nachrichtendienstlichen Handeln wider. Die politische Außendarstellung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass strategische Partnerschaften oft von Rivalität und gegenseitigem Misstrauen geprägt sind.

Das Geheimdienstdokument wirft China unter anderem vor, russische Regierungsbeamte gezielt anzuwerben und russische Militäroperationen in der Ukraine auszuspähen.

Auf mich wirkt das durchaus glaubwürdig und wenig überraschend. Solche Maßnahmen sind typisch, selbst unter Partnern. Chinas Interesse, aus Russlands Kriegserfahrungen zu lernen, etwa im Hinblick auf westliche Waffen und Taktiken, ist strategisch nachvollziehbar. Zugleich zeigt sich, dass China Russland eher als nützlichen, aber nicht gleichwertigen Partner betrachtet. Insgesamt offenbart das Dokument eine von Pragmatismus und strukturellem Misstrauen geprägte Beziehung – keine feste Allianz, sondern eine zweckorientierte Partnerschaft.

„China hat ein vitales Interesse an politischer Stabilität in Russland“

Zur Person

Sören Urbansky ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Zusammen mit Martin Wagner veröffentlichte er zuletzt das Buch „China und Russland: Kurze Geschichte einer langen Beziehung“ (Suhrkamp Verlag).

Sören Urbansky
Sören Urbansky © Barak Shrama

Nach außen geben sich China und Russland als enge Partner, Peking spricht gerne von einer „felsenfesten“ Freundschaft.

Die chinesisch-russischen Beziehungen stellen heute eine strategische Partnerschaft dar, beide Länder teilen ähnliche geopolitische Interessen. Das zeigt sich insbesondere in ihrem gemeinsamen Bestreben, die westlich dominierte Weltordnung herauszufordern. Dabei verfolgen beide Staaten zwar unterschiedliche Wege, doch das gemeinsame Ziel eint sie. Gleichwohl sollten potenzielle Konfliktlinien nicht übersehen werden, etwa in Zentralasien oder der Arktis.

Was überwiegt – Interessen oder Konflikte?

In Europa wird oft unterschätzt: China ist direkter Nachbar Russlands und hat ein vitales Interesse an politischer Stabilität in Moskau sowie an Ruhe entlang seiner Nordgrenze. Hinzu kommt der stark personalisierte Charakter der Beziehungen, die maßgeblich auf dem engen Verhältnis zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping beruhen. Xis viertägiger Aufenthalt in Moskau anlässlich der Siegesparade im Mai dürfte möglicherweise nicht zuletzt dem Bestreben gegolten haben, die bislang erreichte Kooperation in dauerhafte institutionelle Strukturen zu überführen – über das politische und womöglich persönliche Wirken beider Staatschefs hinaus.

„Russland ist in hohem Maße von China abhängig“

Viele Beobachter sehen Russland mittlerweile als Juniorpartner der Chinesen.

Russland ist heute in hohem Maße von China abhängig – vor allem wirtschaftlich, aber auch politisch, etwa durch Chinas „pro-russische Neutralität“ auf der internationalen Bühne. Zudem militärisch, durch die Lieferung von Dual-Use-Gütern, die auf dem Schlachtfeld in der Ukraine Wirkung entfalten. Die russische Führung hatte sich von einem schnellen, siegreichen Feldzug in der Ukraine möglicherweise erhofft, die strategische Asymmetrie gegenüber China zu verringern – tatsächlich hat sie sich seither weiter verschärft. Seit 2022 hat sich die Beziehung zwar intensiviert, aber unter klaren Vorzeichen chinesischer Dominanz.

Chinas Präsident Xi in Moskau
Wladimir Putins wichtigster Gast bei den Feierlichkeiten zum Kriegsende vor 80 Jahren: Xi Jinping (li.). © Mikhail Metzel/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Ist Putin das bewusst?

Ja, Putin ist sich dieser wachsenden Abhängigkeit durchaus bewusst, er hat jedoch kaum Alternativen. Eine echte Annäherung an den Westen ist nicht in Sicht – das viel zitierte „reverse Kissinger“-Szenario …

… nach dem die USA versuchen, China und Russland zu spalten, indem sie sich Moskau annähern …

… ist ein historisch schiefer Vergleich und bleibt Wunschdenken. China nutzt Russlands Schwäche strategisch aus, wenn auch eher diskret. Symbolträchtig ist etwa die Öffnung des Hafens von Wladiwostok für den chinesischen Handel im Jahr 2023 – ein Schritt, der vor dem Krieg innenpolitisch undenkbar gewesen wäre.

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