Schaftlach: Musikerinnen spielen Kammermusik mit links
Waakirchen – In der klassischen Musik wird Linkshändigkeit noch ziemlich konservativ behandelt. Sechs linkshändig spielende Musikerinnen haben sich in Schaftlach für ein Kammermusikwochenende getroffen.
Ich kann ihn hören, den feinen, aber doch deutlichen Unterschied, als Ulrike Scheuchl erst „rechtsherum“ und dann mit ihrer dominanten linken Hand ihre Blockflöte anspielt. Allein diese wenigen Töne kommen sofort sanfter und gleichsam satter – kurzum authentischer – aus jenem Blasinstrument, das ursprünglich für Rechtshänder gefertigt wurde.
Damit sie es auch mit links spielen kann, hat Scheuchl die doppelten Grifflöcher umarbeiten lassen, das Fußstück der Flöte lässt sich einfach in die passende Richtung drehen. „Es existiert immer noch die Meinung, beim Musizieren ist Händigkeit nicht wichtig. Aber wir haben festgestellt, dass es schon einen Unterschied macht“, sagt die freischaffende Musikerin. „Es macht mehr Spaß, es geht leichter. Ich vergleiche das immer mit der Schokoladenseite. Wie beim Skateboard- oder Snowboardfahren, da ist ja auch ein Lieblingsfuß vorne.“
Körpergefühl links stimmiger
Zusammen mit Christine Vogel, Gambistin aus Frankfurt, Helen Layer, Geigenbauerin und Bratschistin aus Würzburg, Renata Soraya, Cellistin aus Neustadt an der Weinstraße, und Erika Uggowitzer, Querflötistin aus Graz, traf sich die Münchner Klarinettistin kürzlich bei Heidi Schneider in Schaftlach. Im Wohnzimmer der Ärztin und Klavierliebhaberin steht neben einem konventionellen Klavier eines der bislang wenigen Linkshänder-Klaviere in Deutschland. Die Tasten sind hier andersrum angeordnet, so dass sich die Melodie mit der linken Hand spielen lässt. Weil sie ihr Instrument nicht einfach in die Tasche stecken kann, lud Schneider die anderen fünf professionell linkshändig spielenden Musikerinnen erstmals zu sich ein, um sich ein Wochenende lang über linkshändiges Musizieren auszutauschen und gemeinsam „händigkeitsgerecht“ Kammermusik zu machen – von Mozart über Beethoven, Carl Philipp Emanuel Bach und Henry Purcell bis hin zu Leonora Duarte.
Kennengelernt haben sich die Musikerinnen beim Linkshändertag in Frankfurt, der international am 13. August stattfindet, sowie über die Initiative mit der gleichnamigen Plattform linksgespielt.de für linkshändiges Musizieren. Bis auf Helen Layer haben alle ihr musikalisches Metier ursprünglich auf einem „normalen“ Rechtshänderinstrument erlernt und geben auch Musik- und Instrumentalunterricht.
Bei jeder von ihnen ist das Körpergefühl jedoch auf der linken Seite stimmiger, erklären sie unisono. Die Körperhaltung, -stabilität und -balance samt der Atmung sei sofort eine andere, wenn die „starke“ Hand für die Töne sorgt – und bei Blasinstrumenten das Instrument zusätzlich hält. „Der Ausdruck kann erst richtig in den Ton hinein gehen, wenn die geschicktere, eindrucksvollere und emotional mehr gewichtete Hand ihn ausführt“, meint Ulrike Scheuchl.
Gerade auch bei Streichinstrumenten kommt das klar zur Geltung, wie Christine Vogel beweist. Und tatsächlich höre ich feinste Nuancen, als sie zunächst rechts- und dann linksherum über die Saiten ihrer Gambe streicht und die Töne sachte ausklingen lässt. Eindeutig sauberer und gefühlvoller klingt das, als sie den Bogen mit ihrer linken Hand führt.
Musikunterricht problemlos möglich
„Irgendwann kommt man beim Üben nicht mehr weiter, wenn man mit seiner Linkshändigkeit nicht am Linkshänderinstrument üben kann“, sagt Musikpädagogin Schneider. Genau wie der Cellistin Renata Soraya und der Flötistin Erika Uggowitzer sei Schneider lange gar nicht bewusst gewesen, dass sie eigentlich Linkshänderin ist. Erst beim Beobachten ihrer Klavieranfängerschüler habe sie immer mal wieder Unterschiede in minimalen Gegenbewegungen der Finger wahrgenommen und schließlich mehr über Händigkeit nachgelesen, unter anderem den Klassiker von Barbara Sattler „Der umgeschulte Linkshänder: Oder Der Knoten im Gehirn“. „So habe ich beim Lesen des Buches mit etwa 50 Jahren festgestellt, dass ich selbst Linkshänderin bin.“ Das glich quasi einem Schock und Schneider versuchte, vieles mühsam umzulernen. Zu ihrem Linkshänder-Klavier von Blüthner sei sie dann relativ schnell gekommen. Inzwischen ist die Medizinerin eine große Fürsprecherin für händigkeitsgerechtes Musizieren und wird demnächst international zu diesem Thema referieren – bei der Konferenz der Europäischen Klavierlehrer-Vereinigung in Luzern und beim Symposium der österreichischen Gesellschaft für Musik und Medizin in Wien.
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Während in vielen Sportarten und in der Popularmusik das Thema eigentlich kein großes ist – man denke nur an Paul McCartney, Jimi Hendrix oder Kurt Cobain – werde vor allem im professionellen klassischen Musikbereich noch wenig an Linkshändigkeit gedacht, erzählen die Musikerinnen. Niemand müsse jedoch Angst davor haben, vor allem nicht in puncto Musikunterricht. Auch rechtshändige Musiklehrer können linkshändige Musikschüler mühelos unterrichten – einfach gegenüber, wie im Spiegel. „Viele Eltern glauben, dass es keine guten Instrumente für Linkshänder gibt oder dass ihr Kind später deshalb nicht in einem Orchester spielen kann. Das ist für Laien wie für Profis kein Argument.“ Die Frage sei, ob man nicht sogar verhindere, dass sie in ein Orchester kommen wegen der nicht beachteten Händigkeit.
Für Kinder, die ein klassisches Instrument erlernen möchten und deren linke Hand dominiert, gebe es oft bereits passende Miet- oder Leih-Instrumente. Viele Instrumentenbauer seien auch bereit, Linkshänderinstrumente anzufertigen. Nur die Nachfrage sei noch zu gering. „Es liegt auf der Hand, dass man sowas einfach bauen kann“, meint Helen Layer, die mit ihrem Gesellenstück, einer Linkshänder-Geige, bei ihrem Prüfer dennoch für Staunen sorgte, wie sie schmunzelnd erzählt. Ihre eigenen Instrumente haben die Profi-Musikerinnen auch anfertigen oder umbauen lassen. Elektronische Pianos lassen sich je nach Modell sogar umprogrammieren.
An ihren akustischen Klavieren demonstriert Schneider schließlich noch die unterschiedlichen Bewegungen der Melodie-führenden und der Bass-Hand mit einem kurz angespielten Musikstück und zeigt mir dann noch einen Kniff: „Wenn man die Bewegungen vom Linkshänderklavier auf das Rechtshänderklavier überträgt, hat man ganz neue Musik.“ Und diese Neukomposition kann sich hören lassen. Daniela Skodacek