Technik-Fehler? Kampfjet-Show mit F-16 in der Türkei endet mit Beinahe-Katastrophe
Ein vermuteter technischer Defekt hätte eine türkische F-16 beinahe ins Unglück gestürzt. Auch die ukrainischen Kampfjets gelten als wartungsintensiv.
Adana – „Einige Opfer sind regelrecht geköpft“, schrieb Sven-Felix Kellerhoff. Der Redakteur der Welt erinnerte an den Auftritt einer italienischen Kunstflug-Staffel als Höhepunkt des Flugtages auf der Ramstein Air Base im August 1988. Ein Pilot der Frecce Tricolori war zu schnell, sprengte die Figur, und Maschinen sowie brennendes Kerosin trafen die Zuschauer. Das endete in der bis dahin größte Flugshow-Katastrophe, schreibt Kellerhoff. In der südtürkischen Stadt Adana hatte sich offenbar eine ähnliche Katastrophe angebahnt, wie in Aufnahmen auf X (vormals Twitter) erkennbar wird.
Hauptdarstellerin war eine U.S.-amerikanische F-16, wie sie derzeit für die Ukraine im Kampf gegen Wladimir Putin das Blatt wenden helfen soll. Vermutet wird ein technischer Defekt des bis zu 75 Millionen Dollar teuren westlichen Kampfjets – in der Ukraine ist auch schon einer dieser Jets abgestürzt, was die Wartung der Maschinen zu einer großen Herausforderung macht, um Russland Paroli zu bieten.
Wie das Magazin The War Zone (TWZ) berichtet, zeigen Videos die speziell lackierte Block 30 F-16C in den Händen des Solotürk-Demo-Piloten beim Teknofest-Festival für Luft- und Raumfahrt und Technologie, das im südtürkischen Adana vom 2. Oktober an fast eine Woche gedauert hatte. Berichten zufolge hatte der Pilot am Ende der Flugshow mit den Tragflächen gewackelt und dann eine Rolle über der Landebahn ausgeführt, „doch die Nase der F-16 senkte sich beunruhigend, so dass der Jet kopfüber in Richtung Boden zeigte – und scheinbar auch in die Nähe der Zuschauerlinie“, schreibt TWZ.
F-16 im Glück: Katastrophe „eine kleine Zahl von Flügelspannen“ über dem Boden abgewendet
Das Video beweist eine bedrohlich niedrige Höhe des Stunts, bevor der Pilot die Maschine wieder hochziehen kann; eine genaue Analyse scheint schwierig. TWZ will von einem ehemaligen Kampfjet-Piloten anhand der Aufnahmen erfahren haben, „dass der Abstand zwischen der F-16 und dem Boden am tiefsten Punkt ,eine kleine Zahl von Flügelspannen‘ zu betragen scheine“, wie das Magazin schreibt. Eine „Flügelspanne“ der F-16 misst rund neun Meter.
„Wir unterstützen die ukrainische Regierung finanziell dabei, diese Verträge mit privaten Partnern abzuschließen, um zu sehen, ob sie die Flugzeuge auch in Zukunft einsatzbereit halten können.“
Abgesehen davon hätte sich die Maschine im Unglücksfall ungebremst wie ein Pflug durch die Menschenmenge gefräst. Die Katastrophe wäre die zweite dieses Jahres gewesen – mit lediglich einem kurzen Abstand. Wie die Nachrichtenagentur Reuters mitteilte, hatte sich die erste Katastrophe im August ereignet; ausgerechnet im Rahmen einer Flugschau zum 80. Jahrestag der Landung der alliierten Truppen in der Provence am D-Day.
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Der Pilot einer Fouga Magister war während seiner Vorführung im südfranzösischen Lavandou ins Mittelmeer gestürzt. Auch die Ukraine hat eine Katastrophe während einer Flugschau erlebt. Vor 22 Jahren soll sich in der Nähe von Lviv (Lemberg) „der schlimmste Flugschau-Unfall der Geschichte“ ereignet haben, wie Radio Free Europe/Radio Free Liberty berichtet hat. Eine Suchoi Su-27 der Kunstflugstaffel „Ukrainische Falken“ soll während einer Kunstfigur im Juli 2002 mindestens einen Strömungsabriss an den Tragflächen erlitten haben und dadurch außer Kontrolle geraten sein.
Kampfjet mit Macken: Ungewollte Kurskorrektur durch Umlenkung des Abgasstrahls denkbar
Das führte zum Absturz mitten hinein in die Menschenmenge; laut dem Magazin Luftfahrtportal sollen dadurch 77 Besucher, darunter 28 Kinder zu Tode gekommen sein, mehr als 500 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Das Unglück auf der U.S.-Luftwaffenbasis im rheinland-pfälzischen Ramstein im August 1988 hatte rund 1.000 Verletzte gefordert, und 70 Menschen waren zu Tode gekommen, weshalb das Unglück in der Ukraine als das schwerere Unglück gilt.
Die beiden Katastrophen eint, dass sie beide sicher aus Pilotenfehlern resultieren. In der Türkei könnte jetzt ein technischer Fehler als Ursache gelten. Wie das türkische Luftfahrtportal Tolga Özbek berichtet, soll die Maschine nach ihrer Rückkehr auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik auf Herz und Nieren untersucht worden sein – dafür wären eigens Experten nach Incirlik entsandt worden, um auch Videobilder auszuwerten.
Experten zu diesem Thema hätten demnach darauf hingewiesen, dass das Flugzeug aufgrund einer möglichen Fehlfunktion der Flugsteuerungssysteme der F-16 möglicherweise eine ungewollte Kurskorrektur aufgrund einer Umlenkung des Abgasstrahls eingeleitet hätte, schreibt das Magazin. Diese Art der Beeinflussung des Austrittswinkels des Abgasstrahls soll grundsätzlich die Manövrierfähigkeit militärischer Maschinen verbessern.
Kein Einzelfall: F-16 2015 nahe dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr abgestürzt
Das österreichische Luftfahrtmagazin Austrian Wings berichtet über den Vorfall allerdings in einem schärferen Ton. Die Flugsicherheit in der Türkei gelte nach deren Meinung generell als problematisch – auch die Militärluftfahrt soll demnach von Problemen und Zwischenfällen durchsetzt sein, schreibt das Magazin: „Die Turkish Stars werden seit vielen Jahren nicht mehr zur Airpower nach Zeltweg eingeladen. Offiziell wurde dies nie begründet, wie Austrian Wings jedoch aus für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen erfuhr, sollen Sicherheitsbedenken der Grund sein“, schreibt dessen Autorenteam.
Abgesehen davon, ist die technische Panne an der türkischen F-16 eventuell kein Einzelfall. Im August 2015 war eine F-16CM in der Nähe des in Bayern liegenden Truppenübungsplatzes Grafenwöhr ohne sichtbare äußere Einflüsse abgestürzt: Nach etwa 29 Minuten Flug hätte der Pilot einen Schubverlust festgestellt und fünf Versuche unternommen, den ausgefallenen Motor wieder zu starten. Bevor der Pilot den Notausstieg eingeleitet hätte, habe er das Flugzeug über unbewohntes Gebiet gesteuert, sagt der Unfallbericht.
Letztendlicher Grund sei ein mechanischer Bruch im Gehäuse des unteren Kugellagersystems des Kraftstoffreglers gewesen. Laut Bericht habe dieser Materialbruch einen Ausfall der primären Leistungsregelung des Triebwerks verursacht. Die Unterbrechung des Kraftstoffdurchflusses zum Triebwerk habe einen Neustart des Triebwerks unmöglich gemacht und sei in einem vollständigen Leistungsverlust geendet.
Verluste vorhersehbar: F-16 wartungsintensiv und sensibel gegenüber äußeren Umständen
Für die Ukraine wird das im Krieg mit Wladimir Putin eine gewaltige Bedeutung erlangen – die F-16 ist wartungsintensiv und reagiert sensibel auf äußere Umstände. Die Kosten explodieren: Die Sicherstellung der Einsatzfähigkeit einer F-16 könnte bis zu fünf Millionen Euro verschlingen. Pro Maschine. Pro Jahr. Damit rechnen John Hoehn und William Courtney vom kalifornischen Thinktank RAND – Kosten für Raketen- und Bewaffnung exklusive. Matt Kiddoo rechnet damit, dass inklusive des Piloten 17 bis 18 Kräfte eine F-16 flugtauglich machen müssen – für Demonstrationsflüge, wie er in einem Forum angegeben hat.
Für Kampfeinsätze schätzt der ehemalige Flugzeugbewaffnungssystem-Handwerker der U.S.-Luftwaffe mit bis zu 25 Kräften – kombiniertes Personal aus Logistik, Unterstützung, Wartung und anderen Berufsfeldern; Ausbilder eingeschlossen. Eine Herausforderung, die die Ukraine offenbar ganz allein zu bewältigen hat. Ende August hatte das Wall Street Journal (WSJ) berichtet, die Regierung von U.S-Präsident Joe Biden lehne einen Plan ab, Amerikaner zur Wartung von F-16-Kampfflugzeugen in die Ukraine zu schicken. „Wir unterstützen die ukrainische Regierung finanziell dabei, diese Verträge mit privaten Partnern abzuschließen, um zu sehen, ob sie die Flugzeuge auch in Zukunft einsatzbereit halten können“, sagte General Onno Eichelsheim, wie das WSJ den Verteidigungsminister der Niederlande zitiert.
Ukraine auf sich allein gestellt: Keine zivilen Vertragspartner zur Wartung der F-16 durch die USA
Demnach hätte der Nationale Sicherheitsrat trotz dessen einen Vorschlag geprüft, zivile Vertragspartner in die Ukraine zu schicken, um F-16-Kampfjets und andere militärische Waffen zu warten, wie das WSJ schreibt. Geheimdienste und andere Sicherheitspolitiker hätten das jedoch als zu riskant verworfen – allerdings lediglich für den Moment. Darin solle keine grundlegende Ablehnung dieser Idee gesehen werden, will das Blatt aus regierungsnahen Quellen erfahren haben.
Schließlich werde die Wartung der Maschinen als essentieller Teil der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine gesehen: Ohne zivile Vertragspartner, die die Flugzeuge warten – etwa reparierten und Teile austauschten – werde die Ukraine Mühe haben, die vom Westen gelieferten Flugzeuge einsatzbereit zu halten, schreibt das Journal. Die Debatte sei auch eine Reaktion auf den ersten Absturz einer F-16 der Ukraine, der durchaus auf ein technisches Versagen der Maschine zurückzuführen sein kann.
Möglicherweise hat sich die Ukraine zu viel zugemutet – jedenfalls sah sich der inzwischen abgestürzte Oberstleutnant Oleksiy Mes im vergangenen Herbst gegenüber der New York Times noch zur Verharmlosung seines Dienstfahrzeugs verleitet – seiner Meinung nach sei die F-16 lediglich „ein Schweizer Taschenmesser“. (Karsten Hinzmann)