Bei einer Austauschveranstaltung des Behindertenbeirats der Stadt Memmingen erschienen sechs der sieben Direktkandidaten zu einer politischen Diskussion.
Memmingen – Der Behindertenbeirat der Stadt Memmingen hatte in der vergangenen Woche alle Direktkandidaten der etablierten Parteien, die bei der Bundestagswahl 2025 für neuen Wahlkreis 255 Memmingen-Unterallgäu antreten, zum Austausch eingeladen. Mit Joachim Linse (Grüne), Marcel Keller (SPD), Daniel Steffen (FDP), Michael Kroeschell (FW), Dr. Simon Kuchlbauer (AfD) und Dr. Florian Dorn (CSU) waren sechs Bewerber um das Bundestagsmandat der Einladung gefolgt. Sie alle konnten an diesem Abend viel Neues über die aktuelle Situation behinderter Menschen in ihrem Wahlkreis erfahren.
Behindertenbeirat der Stadt Memmingen diskutiert mit Direktkandidaten des Wahlkreises 255
Die Vorsitzende des Behindertenbeirates Verena Gotzes (Behindertenkontaktgruppe) und ihre Stellvertreterin Regina Sproll (Regens Wagner Offene Hilfen) begrüßten die Gäste zu Beginn mit einem anonymen „Inklusions-Quiz“. Dabei konnten die Direktkandidaten ihre Kenntnisse über die Lage von Menschen mit Behinderungen (MmB) auf den neuesten Stand bringen.
Sie erfuhren beispielsweise, dass laut Statistischem Bundesamt (Destatis) zum Jahresende 2023 in Deutschland rund 7,9 Millionen Menschen mit schwerer Behinderung lebten. Als schwer behindert gelten Personen, denen die Versorgungsämter einen Grad von mindestens 50 Prozent zuerkannt haben. Die meisten der MmB seien durch Krankheit oder Unfälle zu dieser Einschränkung gekommen, nur etwa 250.000 würden unter einer angeborenen Behinderung leiden, wurden die Gäste aufgeklärt.
Thema Berufsleben: Integration in den Arbeitsmarkt
Außerdem gab es einen Einblick über die Möglichkeiten von Menschen mit Behinderung im Berufsleben. Ein wichtiges Element zur Teilhabe an der Gesellschaft seien hierbei die Behindertenwerkstätten, die zum sogenannten zweiten Arbeitsmarkt zählen. Dabei gehe es weniger um einen echten finanziellen Anreiz, meist handelt es sich eher um ein „Taschengeld“, das sich die dort beschäftigten MmB dazuverdienen können. Vielmehr bilde die regelmäßige Arbeit ein struktur- und sinngebendes Element bei der Lebensgestaltung.
Die Gastgeberinnen und Gäste waren sich einig darin, dass die Behindertenwerkstätten gefördert werden müssen. Diese dürften jedoch nicht zum „Feigenblatt“ verkommen, das die Anstrengungen auf eine Chance und Ausbildung für den allgemeinen Arbeitsmarkt zurückdränge. Immerhin seien die deutschen Arbeitgeber zu 80 Prozent mit den Leistungen der Menschen mit Behinderung in ihren Betrieben genauso zufrieden wie mit der von Menschen ohne Einschränkungen.
Zu wenig barrierefreier Wohnraum vorhanden
Auch die Wohnsituation von Behinderten war ein diskutiertes Thema. Nur zwei Prozent aller Wohnungen und Einfamilienhäuser in Deutschland erfüllen alle Merkmale eines barrierearmen Wohnens und sind somit einigermaßen barrierefrei. Diese Zahl wurde im Mikrozensus-Zusatzprogramm „Wohnen“ des Statistischen Bundesamtes 2019 veröffentlicht.
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Das sei schon jetzt deutlich zu wenig und in der nahen Zukunft würden demographiebedingt bis 2030 weitere knapp drei Millionen neue altersgerechte und barrierearme Wohnungen benötigt werden. Für eine möglichst selbständige Lebensführung seien solche Wohnungen auch für eine angemessene Pflege zuhause notwendig, so der Behindertenbeirat.
Diese starke Unterversorgung mit angemessenem Wohnraum habe viele Gründe, erklärten die Mitglieder des Behindertenbeirates. So werde beispielsweise das Thema in der Ausbildung von Architekten kaum berücksichtigt oder seien es auch oftmals zusätzliche Kosten, die im Vergleich zu „üblichem“ Wohnraum, anfallen können. Die Diskutanten waren sich ebenfalls einig darin, dass die Vereinsamung in der Bevölkerung künftig noch zunehmen werde und daher neue gemeinschaftliche Wohnformen unterstützt werden sollten.
UN-Behindertenrechtskonvention und Umsetzung in Deutschland
Beiratsvorsitzende Verena Gotzes informierte darüber hinaus über die UN-Behindertenrechtskonvention, die von der UN-Vollversammlung bereits 2006 angenommen wurde. In Deutschland wurde sie 2009 in Kraft gesetzt. Gotzes wies ebenso darauf hin, dass die dortigen Regeln in Deutschland noch lange nicht alle umgesetzt seien. Sie befürchte auch, dass diese wegen der aktuell knappen Kassen noch mehr vernachlässigt werden.
Die Direktkandidaten bedankten sich für die umfassenden Informationen während der Veranstaltung und versprachen, sich in dieses Themenfeld tiefer einzuarbeiten bzw. in ihrer jeweiligen Partei/ Vereinigung für mehr Berücksichtigung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu sorgen.
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