Richter-Desaster der Merz-Regierung: Seehofer gibt Kanzler Mitschuld – und zieht auch Söder mit rein

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Nach der abgesagten Richter-Wahl konzentriert sich die Kritik vor allem auf Jens Spahn. Horst Seehofer sieht aber auch Friedrich Merz und Markus Söder mit im Boot.

Berlin – Einige Zeit sah es im Juni so aus, als würden CDU und CSU vor allem die Diskussionen um die Zukunft von Jens Spahn mit in die parlamentarische Sommerpause nehmen. Die nach wie vor nicht aufgeklärten Hintergründe der Masken-Beschaffung zu Beginn der Corona-Pandemie, also während seiner Zeit als Gesundheitsminister, hängen bleischwer über dem einstigen Kandidaten für den Posten als CDU-Chef. Und damit auch über der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, deren Vorsitzender er mittlerweile ist.

Doch nun beschäftigt die Union in der bundestagsfreien Zeit vielmehr eine andere Personaldebatte. Jene um Frauke Brosius-Gersdorf, die der Koalitionspartner SPD gerne als Richterin zum Bundesverfassungsgericht entsenden würde. Doch dagegen ist der Widerstand in CDU und CSU so groß geworden, dass beim anberaumten Termin am 11. Juli kurzfristig die Wahlen aller drei Kandidaten abgesagt wurden.

Wahl von Brosius-Gersdorf: Seehofer kritisiert Vorgehen von CDU- und CSU-Spitze um Merz und Söder

Auch beim Thema Brosius-Gersdorf hängt Spahn tief mit drin, soll er doch SPD und auch den Grünen, deren Stimmen für die Wahl benötigt werden, zuvor zugesichert haben, seine Fraktion würde hinter der Kandidatin stehen. Entsprechend wird ihm nun vor allem von der Ökopartei Führungsversagen und „Dilettantismus“ vorgeworfen.

Nicht nur Jens Spahn (o.r.) hat für ihn beim Desaster um die Richter-Wahl keine gute Figur gemacht: Ex-CSU-Chef Horst Seehofer übt auch Kritik an Friedrich Merz (o.l.) und Markus Söder (2.v.l.). © IMAGO / Beautiful Sports, IMAGO / Metodi Popow, IMAGO / dts Nachrichtenagentur, IMAGO / Political-Moments

Dass sich die Kritik aktuell vor allem auf Spahn konzentriert, greift laut einem anderen ehemaligen Bundesminister und langjährigen führenden Politiker der Union allerdings zu kurz. „Das nimmt gerade Jens Spahn allein auf sich“, moniert Ex-CSU-Chef Horst Seehofer in der Zeit und meint wohl vor allem dessen an die Fraktion gerichteten Brief, in dem eine Mitverantwortung für das Dilemma betont wird.

Der einstige Innenminister unter Kanzlerin Angela Merkel findet aber vielmehr: „Dabei geht das die ganze Führung an, Parteivorsitzende und Fraktionsvorsitzende, also von CDU und CSU.“ Namentlich: Friedrich Merz und Markus Söder.

Wahl der Richter für das Bundesverfassungsgericht

Die 16 Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts werden jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt, die abwechselnd auch den Präsidenten und den Vizepräsidenten bestimmen. Für die Wahl ist jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Grundlage ist das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht §§ 5 und 6.

Quelle: Bundesverfassungsgericht

Seehofer schimpft wegen Richter-Desaster: „Dann ist da Mist gebaut worden“

Der aktuelle CSU-Vorsitzende Söder hatte sich daran versucht, das Thema zu beenden, indem er der SPD riet, Brosius-Gersdorf aufzugeben. „Mit dem Kopf durch die Wand zu gehen – da ist die Wand am Ende stärker“, warb der bayerische Ministerpräsident im Stern um ein Einsehen in seinem Sinne.

Seehofer denkt aber wohl auch an seinen Nachfolger in München, wenn er betont: „Man muss sich doch auf eine Koalition verlassen können. Wenn also kurz vor der Abstimmung die Mehrheit plötzlich kippt, dann ist da Mist gebaut worden.“ Er selbst hätte nach eigenen Angaben für die Kandidatin gestimmt, wenn die Spitze von CDU und CSU den Abgeordneten die Wahl empfohlen hätte.

Gegen Brosius-Gersdorf waren in den Tagen vor dem 11. Juli immer neue Vorwürfe laut geworden, begleitet von Drohungen. Zunächst vor allem wegen ihrer Haltung zum Abtreibungsrecht, aber auch zu einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie sowie wegen ihrer Befürwortung eines AfD-Verbotsverfahrens. Im Endspurt kamen sogar Plagiatsvorwürfe im Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit auf, ehe ein Gutachten die 54-Jährige entlastete. Zu spät für den eigentlichen Wahltermin.

Seehofer kritisiert Union wegen Umgang mit Brosius-Gersdorf: „Politiker setzen Fake News in die Welt“

Hierzu hält Seehofer fest: „Nach allem, was man inzwischen über die Kandidatin weiß, muss man schon fragen, auf welchen Grundlagen die ganze Aufregung hochkocht.“ Er sehe die „Gefahr in Deutschland, nur noch über Verschwörungen, Befürchtungen, Behauptungen zu diskutieren“.

Gerade der Plagiatsverdacht habe umgehend zurückgenommen werden müssen: „Politiker beklagen Fake News, halten sich aber selber nicht damit zurück, welche in die Welt zu setzen. Politiker beklagen Zustände, die sie selbst herstellen.“

Erwin Huber mit verkniffenem Mund
Wünscht sich beim Thema Frauke Brosius-Gersdorf mehr Zurückhaltung von den Parteikollegen: Erwin Huber war von September 2007 bis Oktober 2008 CSU-Chef. © IMAGO / Sven Simon

Huber schimpft über Söder & Co.: „Taktischer Fehler erschwert Lösungen“

Seehofer ist nicht der einzige ehemalige CSU-Chef, der Söder in der ganzen Thematik eine unglückliche Figur attestiert. „Söder, Dobrindt und Bär haben mit dem öffentlichen Druck auf die Professorin einen taktischen Fehler gemacht, der Lösungen erschwert“, schimpfte Erwin Huber, Seehofers Vorgänger als Parteivorsitzender, im Spiegel. Innenminister Alexander Dobrindt und Forschungsministerin Dorothee Bär hatten sich ebenfalls kritisch über Brosius-Gersdorf geäußert.

Huber schreibt nicht nur seinen Parteikollegen für die Parlamentsferien ins Hausaufgabenheft: „Jetzt cool down bis September. Empfehle allen, mal das Maul zu halten, das wäre hilfreich.“ Wobei: Hinter den Kulissen dürften wohl durchaus Gespräche darüber angesagt sein, wie sich die Koalition in Berlin aus dieser festgefahrenen Richterwahl wieder herausmanövrieren will. (mg)

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