„Filiale Russlands“? Koalitionsverhandlungen in Österreich kurz vor Abbruch
Seit Wochen verhandeln rechte FPÖ und konservative ÖVP über ein mögliches Regierungsbündnis. Vor allem die Vergabe der Ministerposten sorgt für Streit.
Wien – Die Stimmung im Nachbarland Österreich ist angespannt. Der Grund: Aktuelle Koalitionsverhandlungen zwischen der rechtspopulistischen FPÖ und der konservativen ÖVP. Die politischen Verhandlungen sorgen für enorme Gegenwehr in der Bevölkerung. Am 4. Februar versammelten sich Zehntausende Menschen vor dem Bundeskanzleramt in Wien, um gegen eine mögliche FPÖ-geführte Regierung zu demonstrieren.
Knackpunkt bei Koalitionsverhandlungen in Österreich: FPÖ extrem EU-kritisch und russlandfreundlich
Die Verhandlungen sind aber sowieso vorübergehend ins Stocken geraten. „Die Regierungsverhandlungen befinden sich in einer schwierigen Phase“, hieß es vonseiten der ÖVP. Am Dienstagabend (4. Februar) tagte der Parteivorstand der Konservativen, um die Lage zu besprechen. Die Gespräche sollen später fortgesetzt werden, teilte die ÖVP mit. So seien weitere Treffen von Gruppen anberaumt, die bestimmte Politikfelder bearbeiten sollen.

Grundsätzlich gehe es um die von der ÖVP als zentral betrachteten Fragen der Außen- und der EU-Politik, hieß es. Der neue ÖVP-Chef Christian Stocker hatte mehrfach Bedingungen formuliert: Eine Koalition müsse sich zur EU bekennen und keine Einflussnahmen aus dem Ausland – insbesondere aus Russland – dulden. Die FPÖ ist extrem EU-kritisch und gilt als russlandfreundlich. Ebenfalls zur Verhandlungspause führte ein Streit über die Verteilung der Ministerämter.
Streit zwischen FPÖ und ÖVP: Vorgeschlagene Liste würde Österreich zu einer „Filiale Russlands machen“
Laut Medienberichten legte die mit der Regierungsbildung beauftragte FPÖ bereits eine Liste vor, mit der die Vergabe der Ministerien geregelt werden soll. Das sorgte für Kritik bei der ÖVP, die sich eine vorzeitige Besprechung der Ämter gewünscht habe. „Die vorgelegte Liste beinhaltet alles, was es braucht, um Österreich zu einer Filiale Russlands zu machen. Nicht in diesem Leben, nicht auf diesem Planeten, wird Dr. Christian Stocker dem jemals zustimmen“, sagte eine Quelle aus dem ÖVP-Umfeld gegenüber Heute. „Sie glauben, sie sind Trump“, sagte ein ÖVP-Insider die Verhandlungspartner in der Kronen Zeitung
Angeblich erhob die FPÖ Anspruch auf den Posten des Bundeskanzlers, will zudem die Minister für das Kanzleramt sowie für Gesundheit/Sport, Soziales/Integration, Finanzen und Inneres stellen, berichtet die Heute-Zeitung. Die ÖVP-Politiker störten sich den Zeitungen zufolge daran, dass die Zuständigkeiten für die Verfassung, EU- und Medien-Agenden im Kanzleramt bleiben und die Rechtspopulisten somit die Kontrolle darüber hätten. Einig sei man sich nur darüber, dass eine „parteifreie Person“ das Justizministerium führen soll, berichtet ntv.
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Der Streit über die Verteilung der Ministerämter führte zu der Verhandlungspause, die im Land teilweise mit einem Abbruch gleichgesetzt wurde, berichtet ntv. FPÖ-Chef Herbert Kickl, der nach den Verhandlungen Bundeskanzler werden soll, äußerte sich dazu in den sozialen Netzwerken und erklärte die Pause als normalen Vorgang in Verhandlungen. „Wir stimmen uns auch immer wieder intern ab“, betonte Kickl.
Hintergrund: FPÖ gewinnt Parlamentswahl in Österreich und steht kurz vor Einzug ins Kanzleramt
Hintergrund: Die Rechtspopulisten hatten die Parlamentswahl im Herbst 2024 gewonnen und stehen nun erstmals vor dem Einzug ins Kanzleramt. Die ÖVP hatte unter dem inzwischen zurückgetretenen Kanzler Karl Nehammer lange Zeit eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen, wenn Kickl zur Regierung gehören sollte. Unter Stocker vollzog die ÖVP einen Kurswechsel und wäre bereit, Juniorpartner der Rechtspopulisten zu werden.
Seit Anfang Januar führen FPÖ und ÖVP Koalitionsgespräche, die aktuell pausieren. Laut Beobachtern ist eine FPÖ-geführte Regierung aber nach wie vor das wahrscheinlichste Ergebnis. „Es gibt Meinungsverschiedenheiten, besonders bei ihren EU-Standpunkten“, sagte der Politologe Johannes Huber der Nachrichtenagentur AFP. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass die Verhandlungen deshalb scheitern. Zudem habe die ÖVP sich in den vergangenen Jahren in vielen Standpunkten denen der FPÖ angenähert, meinte Huber.

Die rechtspopulistische FPÖ war bei der Parlamentswahl im September mit 28,85 Prozent der Stimmen erstmals stärkste Kraft im österreichischen Parlament geworden. Keine der anderen größeren Parteien war allerdings zunächst zu einer Koalition mit den Rechtspopulisten bereit.
Ergebnis der Österreich-Wahl 2024
Liste | Ergebnis in % |
---|---|
FPÖ | 28,85 |
ÖVP | 26,27 |
SPÖ | 21,14 |
Neos | 9,14 |
Grüne | 8,24 |
KPÖ | 2,39 |
Bier | 2,02 |
Andere Koalitionsgespräche bereits gescheitert: Erstmals Rechtsradikaler mit Regierungsbildung beauftragt.
Nachdem Koalitionsgespräche zwischen der ÖVP, der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und den liberalen Neos dann aber gescheitert waren, hatte Bundespräsident Alexander van der Bellen mit FPÖ-Chef Herbert Kickl erstmals einen Rechtsradikalen mit der Regierungsbildung beauftragt.
Zuvor hatte die längste Regierungsbildung nach einer Parlamentswahl in Österreich 129 Tage gedauert. Dieser Meilenstein wurde am Mittwoch erreicht. Im Jahr 2000 war die FPÖ unter ihrem damaligen Vorsitzenden Jörg Haider erstmals Teil einer österreichischen Regierung geworden. Auch damals hieß der Koalitionspartner ÖVP. Als Reaktion auf den Tabubruch hatten am 4. Februar 2000 fast 250.000 Menschen in Österreich demonstriert. (afp/bg/dpa)