Der stärkste Rentner von Karlsfeld: Norbert Röhrle (81) trainiert für Leichtathletik-Weltmeisterschaften
Norbert Röhrle (81) ist einer der erfolgreichsten Seniorenleichtathleten Deutschlands. Seinen Garten in Karlsfeld hat er in ein Trainingsgelände verwandelt.
Breitbeinig steht Norbert Röhrle in seinem engen schwarzen Trainingsanzug vor der selbstgebauten Zielscheibe in seinem Garten in Karlsfeld. Mit seinen riesigen Händen greift er nach drei Kugeln und lässt die 500 Gramm schweren Bälle mit voller Wucht gegen eine auf Holzstelzen befestigte Polsterung knallen. Auf der Plane sind bereits die Abdrücke und Dellen tausender Übungswürfe zu sehen. Mit einem angestrengten Grunzen lässt er den letzten Ball los. Unzufrieden verzieht er das Gesicht. „Mehr Schwung aus der Hüfte“, sagt er leise zu sich selbst.
Röhrle hat hohe Ansprüche an sich selbst. Der 81-Jährige steckt derzeit mitten in den Vorbereitungen für die Leichtathletik-Weltmeisterschaften im August in Schweden. Dafür trainiert er fast jeden Tag akribisch in seinem Garten die fünf Wurfdisziplinen – Kugelstoßen, Hammerwerfen, Speerwerfen, Diskuswerfen und Gewichtswurf. Sein Ziel: mindestens eine Medaille in seiner Altersklasse M 80.
Für Wettkämpfe fliegt er um die ganze Welt
Für seine Leidenschaft ist er in den vergangenen Jahren rund um den Globus gereist, hat an Wettkämpfen in Italien, Frankreich, Brasilien und Kanada teilgenommen. Mit dabei: seine Frau Petra. 2016 reisten die beiden sogar bis nach Australien zur Senioren-WM, wo er die Bronzemedaille im Speerwurf gewann. „Meine Frau unterstützt mich sehr bei meiner Leidenschaft und erträgt meine unzähligen Trainingsstunden im Garten. Dafür bin ich ihr sehr dankbar“, sagt er. Die Reisen zu den Wettkämpfen sind für die beiden oft mit Urlaub verbunden. Erst vergangenes Jahr sind sie mit ihrem Camper zur Weltmeisterschaft nach Polen gefahren und haben anschließend noch ein paar Tage Urlaub angehängt. Doch daran kann Röhrle im Moment nicht denken. Er muss ja trainieren, für die WM in Göteborg!
In der Wettkampfvorbereitung absolviert der Karlsfelder zwischen 20 und 30 solcher Würfe pro Tag. Er arbeitet kontinuierlich an seiner Technik und dem Ablauf. „Natürlich ist meine Schnellkraft nicht mehr so wie vor 60 Jahren, aber mit meinen Wurfleistungen bin ich immer noch sehr zufrieden“, erklärt Röhrle.
Mit 71 Jahren fängt Röhrle wieder an
Bereits mit 15 Jahren begann er mit dem Werfen und wurde mit 17 Jahren bayerischer Jugend- und Juniorenmeister im Speerwurf. „Ich habe dann aber mit 25 aufgehört“, sagt er. Erst im Alter von 71 Jahren wurde er im Urlaub von einem anderen Seniorensportler beim Steinewerfen beobachtet. Dieser war von der Wurftechnik des Karlsfelders so beeindruckt, dass er ihn auf die Idee brachte, es noch einmal zu versuchen. „Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass es Seniorenwettbewerbe gibt“, erzählt er.
Doch Röhrle war von der Idee so begeistert, dass er auf seinem Grundstück in Karlsfeld kurzerhand einen kleinen Sportplatz einrichtete. Im Laufe der Jahre hat er Speere, Diskusscheiben, Wurfhämmer, Kugeln und anderes Trainingsequipment im Wert von mehreren tausend Euro angeschafft. Auch einen kleinen Kraftraum mit Seilzug, Hanteln und einer Flachbank hat er in seinem Gartenhäuschen eingerichtet. „Nachdem ich gemerkt habe, dass meine Kraft nachlässt, muss ich auch daran arbeiten“, erklärt er. Denn die Konkurrenz ist stark, der Wettkampf an der Spitze ist eng. Und Röhrles Ehrgeiz ist groß.

Meine news
Da passt es ihm gar nicht, dass sein Körper derzeit nicht so mitspielt, wie er es sich wünscht. „Im Moment habe ich starke Schmerzen im Knie, die mich in meinen Wurfbewegungen einschränken“, erzählt der pensionierte Architekt. Erst kürzlich war er beim Arzt und ließ sich Spritzen geben. Ans Aufhören denkt er aber noch lange nicht. Im Gegenteil: Röhrle will noch einige Jahre weitermachen. „Das Training und die Wettkämpfe halten mich jung“, sagt er. Solange er also noch Spitzenleistungen abrufen kann und sein Körper mitspielt, will er seine große Leidenschaft nicht aufgeben. „Ich bin überzeugt, dass ich auch mit 90 noch gute Leistungen im Speerwurf erzielen kann“, sagt er. Und die Erfolge geben ihm recht.
In seinem kleinen Arbeitszimmer stapeln sich Steinskulpturen, Werkzeuge – und vor allem Auszeichnungen. In einer leicht verstaubten Holzkommode bewahrt er seine unzähligen Medaillen, Urkunden und Zeitungsartikel auf. Nach einem kurzen, suchenden Blick holt er die Medaille für die Vizemeisterschaft bei den Europameisterschaften in London hervor. Daneben liegt eine Urkunde für die Bayerische Meisterschaft in den Disziplinen Kugel, Diskus und Speer, daneben ein Zeitungsartikel über den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft in Polen.
Alle Hoffnungen ruhen auf Quirin
In seiner Familie hält sich die Begeisterung für das Werfen jedoch in Grenzen. Sie begleiten ihn zwar zu seinen Wettkämpfen und unterstützen ihn. Aber in seine Fußstapfen wollte bisher niemand treten. Große Hoffnungen setzt er deshalb auf seinen dreijährigen Enkel Quirin. „Der wirft jetzt schon alles, was er in die Hände bekommt, und das macht er richtig gut“, erzählt der Großvater von vier Enkelkindern stolz. Natürlich weiß er, dass es noch viel zu früh ist und er will auch keinen Druck aufbauen. Aber die Hoffnung ist groß, dass er seinen Enkel eines Tages beim Speerwerfen anfeuern kann. Aus Bambus und leichtem Holz hat er ihm deshalb sogar schon zwei kleine Speere gebastelt, mit denen er Quirin die ersten Kniffe beibringt. Doch bis es so weit ist, stehen noch viele eigene Wettkämpfe und Übungseinheiten im Garten an.
Ohne Training keine Titel
Mit einem kräftigen Ruck hebt Norbert Röhrle das 5,25 Kilogramm schwere Wurfgewicht hoch. Anders als beim Hammerwurf ist die Eisenkugel an einer kürzeren Kette mit einem dreieckigen Griff befestigt. Mit einer fließenden Bewegung reißt Röhrle das Gewicht hoch und lässt es einmal um seinen Kopf kreisen. Das Gesicht ist vor Anstrengung gerötet. Mit einer schnellen 180-Grad-Drehung lässt er das Gewicht im richtigen Moment los. Dabei nimmt er Schwung aus den Beinen und legt seine ganze Kraft in den Wurf. Die Kugel fliegt mehrere Meter, schlägt hart auf dem Kiesboden auf und hinterlässt einen tiefen Abdruck. Ein kurzer Blick, ein zufriedenes Nicken. Mehr Zeit nimmt sich Röhrle nicht. Sofort schnappt sich der 81-Jährige die Kugel und bereitet sich auf den nächsten Wurf vor. Ohne hartes Training gewinnt man schließlich keine Titel.