Um Russlands Verluste zu verschleiern? Putins Behörden löschen Standarddaten für 2022

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Putin hält sich mit offiziellen Angaben zu Verlusten im Ukraine-Krieg zurück. Jetzt bearbeitet Russland Datenquellen und erschwert damit informelle Ermittlungen.

Moskau – Der Kreml manipuliert Daten, mutmaßlich um die eigenen Verluste im Ukraine-Krieg zu verschleiern. Das geht aus Recherchen des unabhängigen russischen Mediums Verstka hervor, die vom amerikanischen Institute for the Study of War (ISW) analysiert wurden.

Die Schätzungen zu Verlusten im Ukraine-Krieg weichen stark voneinander ab

Die letzten offiziellen Daten zufolge sind 5937 russische Soldaten im Ukraine-Krieg gefallen. Diese Zahl nannte Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu aber schon im September 2022. Die realen Verluste auf beiden Seiten sind schwer zu ermitteln. US-amerikanische Geheimdienste nannten im Dezember einen Wert von 315.000 getöteten oder verwundeten Soldaten aus Russland.

Die beiden unabhängigen russischen Portale Mediazona und Meduza kamen nach Auswertung verschiedener öffentlicher Datenbanken auf einen Wert zwischen 66.000 und 88.000 Toten auf russischer Seite. BBC Russia und Mediazona konnten mit dieser Praxis 45.123 gefallene Soldaten im Dienst Russlands identifizieren, gaben aber an, dass die reale Verlustzahl vermutlich doppelt so hoch sei.

Russlands Präsident Wladimir Putin (r) und Verteidigungsminister Sergej Schoigu reichen sich die Hand
Putin unterstützt die Mission seines Verteidigungsministers mit allen Mitteln © picture alliance/dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP | Alexander Kazakov

Putins Behörden manipulieren offenbar Statistiken aus dem Jahr 2022

Eine solche Vorgehensweise will der Kreml vermutlich erschweren. Daten aus dem Jahr 2022 wurden laut Angaben von Verstka zunächst aus der staatlichen Datenbank zur Sozialausgabenverteilung gelöscht. Die Datenbank ist nach Kategorien aufgeteilt, darunter „Witwen von Militärpersonal, das während der militärischen Spezialoperation getötet wurde“, „Familienmitglieder getöteter Militärdienstleistender“, „Bürger, die während des Militärdiensts verwundet, verletzt oder verstümmelt wurden oder eine Gehirnerschütterung erlitten haben“. Inzwischen sind die Informationen wiederhergestellt worden.

Im Januar berichtete das Exil-Medium iStories darüber, dass die russische Rentenkasse schon im Dezember 2022 einen Brief an seine Mitarbeitenden ausgestellt hatte mit der Bitte, Informationen über Sozialabgaben von Frontsoldaten nicht zu publizieren.

Geschönte Daten sollen Russland-Wahl beeinflussen

Verschleierungstaktiken dieser Art nutzt Russland schon länger. Zu Beginn der Corona-Pandemie korrigierten die Gouverneure, die mit der Bekämpfung des Virus beauftragt waren, die Todeszahlen in ihren Regionen nach unten. Das geht aus Daten hervor, die ein internationales Fachgremium 2022 in einem Beitrag für das British Journal of Political Science veröffentlicht hatte. Die Politik in Russland wollte damit laut Artikel angesichts bevorstehender Regionalwahlen sowie dem Referendum zur Verlängerung von Putins Amtszeit das Regime und die von ihm getroffenen Maßnahmen im Zuge der Pandemie legitimieren. Zudem würden niedrige Todeszahlen Stabilität und Kompetenz suggerieren und öffentliche Proteste verhindern.

Vier Jahre später stehen wieder eine Wahl an, wieder werden Daten manipuliert. Die erhoffte Wirkung dürfte ähnlich ausfallen: Niedrige Verluste im Ukraine-Krieg gaukeln Erfolg vor und spielen die Gefährlichkeit der Mission herunter – möglicherweise auch in Hinblick auf eine neue Mobilisierungswelle. Auch das ISW vermutet, die Taktik diene dazu, die soziale Unzufriedenheit zu senken und zu vertuschen, dass der Kreml nicht alle versprochenen Sozialhilfen leisten konnte.

Vom 15. bis 17. März 2024 steht in Russland die Präsidentschaftswahl an. Bis dahin muss Präsident Wladimir Putin einen Großteil der Bevölkerung hinter sich bringen, wenn er glaubhaft ein Zustimmungsergebnis von über 80 Prozent verkünden will. (ah)

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