Architekten enthüllen überraschende Erkenntnisse über Bürgerhaus und TSV-Halle
Trotz jahrzehntelangem Ausbleiben von Sanierungen und augenscheinlichem Zerfall sind das Mittenwalder Bürgerhaus und die TSV-Turnhalle in einem sehr guten Zustand. Sanierungen in Millionenhöhe könnten die Gebäude wiederbeleben, doch sind nicht alle Gemeinderäte darüber glücklich.
Kurzzeitig hätte man eine Stecknadel im Ägidius-Jais-Saal fallen hören können. „Es ist in einem sehr guten Zustand. Rohbau und Dachstuhl sind hervorragend.“ Benedikt Sunder-Plassmann kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. „Wunderschöne Bemalungen, eine beeindruckende, filigrane Holztreppe. Das sind handwerkliche Arbeiten, die wir uns heute gar nicht mehr leisten könnten.“ Für viele – sowohl Gemeinderäte als auch die zahlreich anwesenden Zuhörer – war es kaum begreifbar, dass der Experte vom Mittenwalder Bürgerhaus sprach, das seit Jahrzehnten scheinbar dem Verfall anheimgefallen ist. Doch Sunder-Plassmann ist überzeugt: Das Gebäude ist alles andere als ein hoffnungsloser Fall. Für 3,4 Millionen Euro könnte das ehemalige Krankenhaus – Baujahr 1927 – wieder zukunftsfähig gemacht werden, rechnete er grob vor. Und schnell wurde am Dienstagabend im Rathaus klar: Das Thema wird nun in den kommenden Monaten und Jahren ähnlich polarisieren wie der Streit ums Hallenbad.
Benedikt Sunder-Plassmann, Geschäftsführer des gleichnamigen Architektenbüros, und seine Gattin und Prokuristin Bettina Sunder-Plassmann sind am Dienstagabend von Utting am Ammersee nach Mittenwald gereist, um dem Gemeinderat das Ergebnis ihrer Voruntersuchung und Bestandsanalyse des Bürgerhauses und der TSV-Halle zu präsentieren. Beide haben mit ihrer Firma viel Erfahrung mit Sanierungen von alten Gebäuden. Unter anderem haben sie das Skistadion und das Rathaus in Garmisch-Partenkirchen im Zuge des G7-Gipfels oder das Deichstätter-Haus in Iffeldorf zukunftsfähig gemacht. Nun begutachteten beide die zwei historischen Mittenwalder Gebäude – und hatten „große Freude“ daran.

BÜRGERHAUS
Zumindest das Bürgerhaus am Anger hatten einige Gemeinderäte und viele Bürger im Geiste schon beerdigt. Seit der Schließung als Krankenhaus vor fast 50 Jahren ist so gut wie nichts mehr passiert mit dem Komplex. „Doch ist er in einer sehr guten Zeit gebaut worden“, versichert Benedikt Sunder-Plassmann. Das Bauwerk an sich sei fast schon überragend in Schuss. In den 1920ern habe man viel Wert auf ein Mauerwerk für die Ewigkeit gelegt. Eine Tatsache, die beispielsweise auf viele Gebäude aus den 1960ern nicht unbedingt zutrifft. „Die Flure sind großzügig angelegt, die Wände sehr hoch, weil damals im Krankenhaus Wert auf hygienische Luft gelegt wurde“, sagt Sunder-Plassmann. Damit hat man sich teure und wartungsintensive Lüftungsanlagen gespart. Deshalb sei auch genügend Platz für moderne Brandschutzmaßnahmen vorhanden. Lediglich Tausalz hat der Fassade an Balkonen und Sockeln über die Jahre zugesetzt. „Aber das wäre kein großer Akt, das zu richten“, findet der Architekt. Die Lüftlmalereien beeindruckten ihn schwer – auch die hauseigene Kapelle, die noch aus der Zeit als Klinikum stammt. „Sogar die Fußböden haben richtig schöne Details“, schwärmt der Fachmann. Lediglich barrierefrei müsste das Haus gemacht werden. Das könnte man durch einen Eingang rückseits des Gebäudes bewerkstelligen, wo früher Fahrzeuge Patienten brachten. Zudem wäre ein moderner Aufzug an jener Stelle sinnvoll, wo bereits der alte vorhanden ist. Sogar die filigrane Holztreppe könnte bleiben – sofern ein zweiter Rettungsweg aus nicht brennbarem Material von den obersten Stockwerken nach unten führt. „Auch dafür wäre genug Platz.“
Im Obergeschoss schlägt der Architekt einen Saal sowie eine Hausmeisterwohnung vor, die sich aktuell im Erdgeschoss befindet. Dort wiederum wären Einrichtungen super, die am meisten im Gebäude frequentiert sind, wie die Gemeindebücherei oder Räume der Arbeiterwohlfahrt. Der Eingangsbereich soll großzügiger und mit mehr Tageslicht geplant werden. Die grobe Kostenrechnung für eine Komplett-Sanierung des Bürgerhauses, also Hochbau und Haustechnik, liegt laut Sunder-Plassmann bei rund 3,4 Millionen Euro. „Es stehen Förderungen von 60 bis 80 Prozent in Aussicht“, ergänzt Marktbaumeister Ralf Bues auf Nachfrage des SPD-Gemeinderats Ralf Obst.
Schon während des Vortrags hakte Freier-Wähler-Gemeinderat Josef Schandl ( „Freiberger“) nach, ob angesichts der ganzen Schwärmerei bereits ein Resümee gezogen worden, also die Variante Sanierung bereits fix sei. Bekanntlich haben die Freien Wähler schon vor fünf Jahren ein Konzept mit Neubau samt Veranstaltungssaal und Wellnessbereich ins Spiel gebracht (wir berichteten). Entsprechend deutlich waren auch Florian Lipps („Dauberweiß“) Worte. „Nur noch irr. Diese alte Hütte.“ Er kann der Sanierungsvariante „schon überhaupt nix abgewinnen“. Zudem glaubt er, dass die grobe Kostenrechnung nie und nimmer aufgeht. „Da werden aus 3,4 gleich mal 4,5 Millionen Euro.“ Und selbst wenn es saniert werden würde, bliebe das Problem des Platzmangels im Haus bestehen.
Wir leben in Erinnerungsstücken, der ganze Ort ist voll davon, weil nichts weiter geht.
Meine news
Ursula Seydel (SPD) widersprach Lipp immens. „Das Gebäude hat Charakter, gehört zu Mittenwald dazu.“ Sie findet es überragend, so ein altes Haus in die Moderne zu führen. Es sei ein Erinnerungsstück, gab auch Sunder-Plassmann zu bedenken. „Wir leben in Erinnerungsstücken, der ganze Ort ist voll davon, weil nichts weiter geht“, konterte Lipp. Dieter Schermak (CSU) war regelrecht „geplättet“. Er habe nie damit gerechnet, dass das ehemalige Krankenhaus noch in so einem guten Zustand ist. „Ich bin völlig überrascht.“
TSV-HALLE
Ähnlich wie beim Bürgerhaus soll die TSV-Halle, Baujahr 1920, im Mauerwerk in einem „herausragenden Zustand“ sein. Sunder-Plassmann kam bei einem Ortstermin gar nicht mehr aus dem Staunen heraus: „Es gibt keinen einzigen Haarriss an der Decke. Das ist völlig ungewöhnlich.“ Dennoch würde der Veranstaltungssaal, um für die Zukunft ertüchtigt zu werden, einiges an Geld verschlingen: Für die Sanierung im Hochbau und der Haustechnik müssten nach groben Rechnungen des Architekturbüros stolze 5,5 Millionen auf den Tisch gelegt werden. Der Eingangsbereich braucht einen Umbau in ein Foyer, die kompliziert angelegte Wohnung auf der West-Seite müsse verschwinden, um Platz für zeitgemäße Bühnentechnik zu installieren. Eine moderne Dämmung riefe Statiker auf den Plan, da der Schnee im Winter auf dem Dach durch eine bessere Isolierung nicht mehr so schnell schmelzen würde. Auch hier gibt es laut Bues Fördermöglichkeiten von bis zu 80 Prozent.
Es wäre ein Verbrechen, das Gebäude abzureißen.
„Dann haben wir zwei alte Hütten, die zwar saniert sind, dem Markt aber kein Geld einbringen“, gab Florian Lipp wiederum zu bedenken. Und auch da konterte Seydel: „Es wäre ein Verbrechen, das Gebäude abzureißen.“ Bürgermeister Enrico Corongiu (SPD) betonte, dass die Gemeinderäte nun die Informationen sacken lassen sollten und sich Gedanken machen, was man mit den neugewonnenen Kenntnissen in der Causa Bürgerhaus und TSV-Halle macht. Eines war jedoch allen Anwesenden schlagartig klar: Das Thema wird künftig mehr denn je das Gremium und die Mittenwalder Bürger beschäftigen.