Habeck und Weidel außen vor - TV-Duell-Experte befürchtet „skurrile Situation“ wegen ARD/ZDF und RTL
FOCUS online: Herr Maier, derzeit gibt es große Aufregung um das geplante TV-Duell zwischen Kanzler Olaf Scholz und CDU-Herausforderer Friedrich Merz. Vor allem die dazu nicht eingeladenen Robert Habeck von den Grünen und Alice Weidel von der AfD fühlen sich von ARD und ZDF hintergangen. Warum diese Aufregung – sind TV-Duelle so wichtig für Politiker?
Jürgen Maier: Sie sind sogar das wichtigste Einzelereignis im Wahlkampf. Das hat eine Reihe von Gründen: An ihre Einschaltquoten kommt keine andere Talkshow heran. Die Politiker erreichen also sehr viele Wahlberechtigte – und nicht nur die Interessierten, die auch andere Formate anschauen, sondern auch die Politikfernen, die man am Stand auf dem Marktplatz oder beim Haustürwahlkampf nicht erreichen würde. Politiker können ihre Botschaften zudem direkt an die Bürger senden, ohne dass es eine journalistische Selektion davor gibt. Schließlich bringt eine Teilnahme am TV-Duell nicht nur für die Zeit der Sendung verstärkte Aufmerksamkeit, sondern auch durch die intensive Vor- und Nachberichterstattung. Es ist also insgesamt sehr attraktiv, Duell-Teilnehmer zu sein. Deshalb kann ich die Aufregung von Alice Weidel und Robert Habeck verstehen.
Das ist die eine Seite. Welche Relevanz haben die Duelle vor der Bundestagswahl auf der anderen Seite für Bürgerinnen und Bürger?
Maier: Es gibt sehr viel Forschung dazu und sie zeigt eigentlich immer, dass TV-Duelle auch für die Bürger vorteilhaft sind. Die Wahlkämpfe werden immer komplexer. Unter anderem, weil sich die Parteienlandschaft in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt hat, weil es um mehr Themen geht und diese gefühlt auch komplexer geworden sind. Ein TV-Duell ist für Bürger also eine gute Möglichkeit, sich innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von zum Beispiel 90 Minuten halbwegs unterhaltsam auf den aktuellen Stand bringen zu lassen, was die relevanten Themen sind und wie die Kandidaten dazu stehen. Zudem können die Zuschauer – von denen viele wie gesagt nicht so viel Kontakt mit der Politik haben – sich ein persönliches Bild von den Kandidaten machen. Zum Beispiel über einen Robert Habeck weiß ein durchschnittlicher Bürger gar nicht so viel.
Unabhängige Kommission und mehr Transparenz für TV-Duelle
„Table Media“ berichtet, dass das Scholz-Team auf ein Zweierformat gedrängt haben soll. Sind diese Machtkämpfe um die TV-Duelle neu oder gab es das auch schon in der Vergangenheit?
Maier: Von außen ist das schwer einzuschätzen, weil wenig über die Absprachen bekannt ist, die im Vorfeld getroffen werden. Mehr Transparenz wäre hier hilfreich, um genau solche Vorwürfe zu entkräften.
Wie könnte man das ändern?
Maier: Es muss nicht so laufen wie in Deutschland. Zum Beispiel in den USA gibt es eine unabhängige Kommission, die die Regeln festlegt. Da geht es um die Frage, wie viele Duelle es gibt, welche thematischen Schwerpunkte sie haben, welche Unterstützung ein Kandidat braucht, damit er teilnehmen kann. Fernsehsender und Kandidaten verhandeln zudem viele Detailfragen – bis hin zu Fragen, wie die Raumtemperatur während des Duells sein soll. Die langen Verträge sind dann auch transparent einsehbar. Meiner Meinung nach sollten wir das in Deutschland übernehmen, um die Professionalität der Sendungen auf ein neues Level zu heben. Die Duelle sind schließlich seit 2002 auf Bundesebene ein etabliertes Format, auch in rund 70 Prozent aller Landtagswahlkämpfe gibt es solche Formate.
„Politiker kämen schwerer mit vorgestanzten Formulierungen davon“
Das ZDF sagt, eine größere Runde würde sich zu wenig von anderen politischen Talkshows unterscheiden. Vor der Bundestagswahl 2021 gab es immerhin ein Triell – neben Olaf Scholz für die SPD und Armin Laschet für die Union war auch Annalena Baerbock für die Grünen dabei. Inwiefern hat die Dreierkonstellation etwas verändert im Vergleich zu einem Duell mit zwei Politikern?
Maier: Je mehr Teilnehmer es gibt, desto komplexer ist die Sendung. Wenn die Sender nicht die Dauer des Duells ausweiten, bleibt allen weniger Redezeit. Die Zahl der Themen, die man besprechen kann, reduziert sich. Angesichts der Komplexität der Themen ist das keine gute Idee. Auch da sind die USA uns voraus.
Was meinen Sie?
Maier: Es gibt mehrere Duelle, die sich thematisch fokussieren. Um Tiefe in die Diskussion zu bekommen, sollten wir das in Deutschland übernehmen. Ich habe aber die Befürchtung, dass nun alle Sender ein allumfassendes Duell planen. Das wird zur skurrilen Situation führen, dass die Kandidaten gebeten werden, beispielsweise jetzt mal zwei Sätze zur Bildung zu sagen – und in der nächsten Sendung wieder nur Raum für die gleichen zwei Sätze haben. Wenn die Sender den Zuschauern – denn um sie geht es – einen Gefallen machen wollen, sollten sie untereinander eine thematische Aufteilung vereinbaren. Mein Vorschlag: Bei ARD und ZDF wird dann zum Beispiel nur über Außen- und Verteidigungspolitik gesprochen, bei RTL nur über Wirtschaftspolitik. Die Politiker kämen dann auch viel schwerer mit vorgestanzten Formulierungen davon.
„Eingriff in den Wahlkampf" von ARD und ZDF
Wie beurteilen Sie das, greifen ARD und ZDF mit ihrer Einladungspolitik zu sehr in den Wahlkampf ein?
Maier: Medien müssen die Möglichkeit haben, nach journalistischen Richtlinien ihre Berichterstattung auszugestalten. Es ist legitim, dass nicht in jeder Sendung jeder Politiker einen Platz reserviert bekommt – solange am Ende erkennbar ist, dass sie in etwa so stark repräsentiert werden, wie sie von den Wählern Unterstützung erfahren. Angesichts der Bedeutung von TV-Duellen ist aber auch klar, dass jede Entscheidung der Sender Konsequenzen für den Wahlkampf hat, egal in welche Richtung man die Entscheidung trifft. Wenn man das Feld der Kandidaten und damit die Aufmerksamkeit verengt, ist das ein Eingriff in den Wahlkampf und vor allem ohne Not eine zu frühe Festlegung.
Welche Folgen könnte das zum Beispiel für Robert Habeck haben?
Maier: Für ihn geht es natürlich darum, als Alternative zu Olaf Scholz und Friedrich Merz wahrgenommen zu werden. Das gelingt aber nur schwer, wenn er in der Vorberichterstattung, im Duell, und in der Nachberichterstattung nicht stattfindet. Bei den Wählern könnte das Bild entstehen, dass es eigentlich nur noch um eine Entscheidung zwischen SPD und Union geht. Ob das aber tatsächlich die Entscheidung ist, muss man anzweifeln. Wir haben 2021 gesehen, wie schnell sich große Wählerverschiebungen ergeben können.
Klage vor Gericht könnte Erfolg haben – anders als 2002 bei der FDP
Indem man die AfD, die in Umfragen derzeit auf dem zweiten Platz liegt, nicht zum Kanzler-Duell einlädt, könnte ihre Opfer-Erzählung gestärkt werden. Hätte man das nicht bedenken sollen?
Maier: Es sollte wie gesagt eine journalistische Entscheidung sein, die Chancengleichheit wahrt. Einerseits hat die AfD keine Chance aufs Kanzleramt, weil sie keine Koalitionsoptionen hat. Andererseits will laut Umfragen fast jeder Fünfte die Partei wählen. Insofern kann ich den Unmut der AfD schon verstehen.
Jürgen Maier ist Professor für Politikwissenschaft an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau. Er forscht vor allem zu politischer Kommunikation und Wahlverhalten. Insbesondere zur Wirkung von TV-Duellen hat Maier zahlreiche Publikationen veröffentlicht.
Sollten Grüne oder die AfD gegen die öffentlich-rechtlichen Sender klagen: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass sie recht bekommen?
Maier: Das ist schwer zu sagen. Der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle hat 2002 als Wahlziel 18 Prozent ausgerufen und wollte sich deshalb vor dem Bundesverfassungsgericht ins Duell einklagen. Er ist damals gescheitert. Der Anspruch der FDP war aber auch unrealistisch, anders als jetzt bei AfD und Grünen. Auf Landesebene hatte das BSW aber schon recht bekommen bei einer Klage wegen der Nichteinladung zu einem Duell.
Scholz und Merz mit kurzer Zündschnur: „Vielleicht wird es konfliktreicher als sonst“
Mal angenommen, es bleibt bei einem Duell Scholz gegen Merz: Was erwarten Sie, mit welcher rhetorischen Strategie werden die beiden aufeinandertreffen?
Maier: Für Friedrich Merz ist die Sache ganz klar: Er wird sich als Oppositionsführer und Herausforderer präsentieren und Olaf Scholz angreifen. Der wiederum wird trotz der schlechten Ampel-Bilanz den Amtsinhaber geben und seine Politik verteidigen müssen. Beide Kandidaten haben aber meinem Eindruck nach eine kurze Zündschnur – sie könnten also schnell aneinander geraten. Vielleicht wird es konfliktreicher als sonst.
Wie würde eine Teilnahme von Alice Weidel oder Robert Habeck diese Dynamik verändern?
Maier: Bei den Duellen 2021 hat man gesehen, dass Olaf Scholz sich durch die Dreierkonstellation aus der Diskussion rausnehmen konnte. Er hat Armin Laschet und Annalena Baerbock streiten lassen und wollte den Eindruck vermitteln, über den Dingen zu stehen. Er könnte dann wieder versuchen, sich zurückhaltend staatsmännisch zu geben. Robert Habeck hat weniger Interesse an Scharmützeln, ist mein Eindruck, und würde eher auf fachliche Diskussionen dringen. Und Alice Weidel wird natürlich als scharfe Kritikerin der Regierung auftreten und möglicherweise versuchen, Friedrich Merz in dieser Rolle zu übertrumpfen. Aber wir haben in der Vergangenheit in ähnlichen Runden – zum Beispiel bei den sogenannten „kleinen TV-Duellen“ – gesehen, dass die AfD-Kandidaten anpassungsfähig sind und manchmal auch auf eine weniger populistische und aggressive Strategie setzen.