Berliner Verwaltungsgericht entscheidet: Bund muss Afghanen Visa erteilen

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Afghanische Flüchtlinge nach ihrer Deportation aus Pakistan. © Wakil Kohsar/AFP

Die Bundesregierung will freiwillige Aufnahmeprogramme „soweit wie möglich“ beenden. Doch um alte Zusagen kommt sie nicht herum, wie ein Gericht entschied.

Kabul/Berlin – Die Außenministerin ließ nicht locker. Noch auf den letzten Metern ihrer Amtszeit charterte Annalena Baerbock Flieger, um gefährdete Afghanen im Rahmen eines Aufnahmeprogrammes nach Deutschland zu bringen. Die „Last-minute-Flüge“ waren völlig legal, aber politisch heikel und brachten manchen in der Union auf die Palme. Der Vorwurf: Die Grünen-Politikerin wolle Fakten schaffen, bevor die neue Regierung die freiwilligen Aufnahmen stoppt.

Ironie der Geschichte: Nun könnte Schwarz-Rot selbst Flieger schicken, wenn auch nicht freiwillig. Das Berliner Verwaltungsgericht hat einer afghanischen Juristin und ihrer 13-köpfigen Familie im Streit um das „Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghanen“ recht gegeben. Demnach muss die Regierung der Familie Visa ausstellen. Sie sei durch eine Aufnahme-Zusage der Vorgängerregierung gebunden, argumentieren die Richter. Das Auswärtige Amt kann aber Einspruch einlegen.

ARCHIV - 31.05.2025, Afghanistan, Torkham: Repatriierte afghanische Flüchtlinge kommen in einem Lager an, nachdem sie die pakistanisch-afghanische Grenze überquert haben, in Torkham, Afghanistan. (zu dpa: „Bundesregierung muss Afghanen mit Zusage Visa erteilen“) Foto: Ebrahim Noroozi/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Repatriierte afghanische Flüchtlinge kommen in einem Lager an, nachdem sie die pakistanisch-afghanische Grenze überquert haben, in Torkham, Afghanistan. © Ebrahim Noroozi/dpa

Aufnahmeprogramme der Bundesregierung: Merz muss sich an alte Zusagen halten

Für die Merz-Regierung ist die Sache durchaus unangenehm. Teil der Migrationswende ist es auch, freiwillige Aufnahmeprogramme, wie es im Koalitionsvertrag heißt, „soweit wie möglich“ zu beenden. Mit der Regierungsübernahme legten Union und SPD deshalb die Bremse ein, stoppten Flüge und neue Zusagen – wohl ahnend, dass sich damit rechtliche Schwierigkeiten ergeben könnten. Denn der jetzige ist kein Einzelfall. Derzeit warten rund 2350 Afghanen in Pakistan darauf, nach Deutschland kommen zu können. Sie alle haben, wie die Familie im aktuellen Fall, eine Zusage.

Der Ursprung der Auseinandersetzungen liegt im Oktober 2022. Damals richtete die Ampel-Regierung verschiedene Aufnahmeverfahren für Afghanen ein, die nach der Machtübernahme der Taliban um ihr Leben fürchteten: darunter Ortskräfte, die mit der Bundeswehr zusammengearbeitet hatten; aber auch Menschen, die sich etwa für Frauenrechte oder die Demokratisierung ihres Landes eingesetzt hatten und die Rache der Taliban fürchten mussten. Das Prozedere: Hilfsorganisationen, die sich vor Ort auskennen, wählten die Kandidaten aus, deren Überprüfung übernahm die deutsche Botschaft in Pakistan. Letztlich entschied der Bund.

1000 Personen (die Ausgewählten plus Angehörige) sollten so Monat für Monat nach Deutschland kommen, doch das Programm lief nie richtig an. Grund dafür war auch, dass die Botschaft in Islamabad mit wenig Personal und in Kleinstarbeit tausende Visa-Anträge prüfen und Sicherheitschecks durchführen musste.

ARCHIV - 27.03.2025, Niedersachsen, Hannover: Polizei und ein Bus stehen an einem Flugzeug am Flughafen Hannover. Heute Vormittag ist ein Charterflug aus Islamabad in Hannover gelandet. Auf dem Flug befanden sich insgesamt 174 in Afghanistan besonders gefährdete Personen, denen Deutschland bereits in der Vergangenheit eine Aufnahme zugesagt hatte. (zu dpa: „Sachsens Innenminister empört über Aufnahmen aus Afghanistan“) Foto: Julian Stratenschulte/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Einer der bislang letzten Flüge mit besonders gefährdeten Afghanen landete Ende März in Hannover. An Bord: 174 Menschen. © Julian Stratenschulte/dpa

Berliner Gericht entscheidet: Bundesregierung unter Merz muss sich an Zusagen an Afghanen halten

Die Entscheidung der Richter könnte jetzt für neue Dynamik sorgen. Zwar betonen sie, dass die Bundesregierung frei entscheiden könne, wie sie mit den Aufnahmeprogrammen umgeht – beenden oder abgespeckt fortführen. Im vorliegenden Fall aber müsse sie sich an die erteilte Zusage halten.

Die Organisation „Kabul Luftbrücke“, die die Frau bei ihrer Klage unterstützt hatte, wertet das als Signal. Das Gericht habe keine Einzelfallentscheidung getroffen, sondern „grundsätzlich und mit Blick auf alle Menschen mit einer deutschen Aufnahmezusage klar(gestellt): Die Bundesregierung ist rechtlich verpflichtet, die Zusagen umzusetzen, und zwar schnell.“ Nun will die Organisation mit einer Klagewelle Druck machen. Laut Gericht liegen schon jetzt 40 Eilanträge oder Klagen vor, weitere sollen noch in dieser Woche folgen. Eine Sprecherin betonte aber, die Fälle seien unterschiedlich gelagert, außerdem entschieden jeweils andere Kammern.

Im Auswärtigen Amt gibt man sich am Dienstag wortkarg. Auf konkrete Rückfragen heißt es nur, man habe den Beschluss „zur Kenntnis genommen“. Er sei „noch nicht rechtskräftig“ und werde derzeit geprüft. Ein Einspruch scheint da durchaus denkbar.

Die Bundesregierung, die sich nach der Entscheidung zu Zurückweisungen an den Grenzen nun schon die zweite Migrationsklatsche des Berliner Verwaltungsgerichts abholte, ist nun doppelt unter Druck. Auch Linke und Grüne drängen darauf, die Afghanen möglichst schnell nach Deutschland in Sicherheit zu bringen. Zugleich droht ein Angriff von rechts. Tenor: Jetzt schickt Merz die Flieger.

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