Merkel attackiert Union wegen Migrationspolitik
Altbundeskanzlerin Merkel warnt: Für ein friedliches Europa müssen Asylbewerber mit Würde und Offenheit behandelt werden.
Berlin – In einem Interview hat die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) scharfe Kritik an ihrer Partei geübt und deren Forderung, Asylbewerber an der deutschen Grenze zurückzuweisen, entschieden zurückgewiesen.
Merkel greift Union wegen Migrationspolitik an
„Ich finde das nach wie vor nicht richtig“, betont Angela Merkel gegenüber dem Spiegel mit Blick auf die im Oktober formulierte Forderung der CDU, Flüchtlinge gegebenenfalls an der deutschen Grenze nicht passieren zu lassen. Die Partei hielt damals in einem Grundsatzpapier fest: „Die Union fordert […] auch verstärkte Zurückweisungen an den deutschen Binnengrenzen. Zurückgewiesen werden soll, wer bereits in einem anderen EU- oder Schengen-Staat Zuflucht gefunden hat. [....]. Nur so können wir die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit in Deutschland zu schützen.“
Merkel fügt ihrer Kritik indes hinzu: „Es ist doch eine Illusion anzunehmen, alles wird gut, wenn wir Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen.“ Merkel, die von 2005 bis 2021 regierte, verteidigt vielmehr erneut ihre Entscheidung aus dem Jahr 2015, Deutschlands Grenzen während der Flüchtlingskrise offenzuhalten.
Sie macht klar, dass es für sie das Gefühl gegeben habe, sie hätte sonst die gesamte Glaubwürdigkeit der europäischen Werte und der Menschenwürde preisgegeben. „Die Vorstellung, zum Beispiel Wasserwerfer an der deutschen Grenze aufzustellen, war für mich furchtbar und wäre sowieso keine Lösung gewesen.“

Merkel: Gesellschaft mit „Bringschuld“, aber auch Verständnis für Ängste
Merkel unterstreicht in dem Gespräch auch die „Bringschuld“ der deutschen Gesellschaft gegenüber Zuwanderern: „Ohne die Offenheit und Veränderungsbereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft kann es keine Integration geben. Voraussetzung ist ein Mindestmaß an Wissen über andere Kulturen.“
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Gleichzeitig räumt sie ein, dass sie die Ängste der Menschen vor zu viel Zuwanderung und islamistischem Terror ernst nehme, weist jedoch auch darauf hin, dass Politik auch für die Menschen gemacht werden müsse, die diese Ängste empfinden.
In ihren Äußerungen warnt Merkel zudem vor den potenziell gravierenden Folgen einer nicht gelösten illegalen Migration für die europäische Integration: Sollte es der EU nicht glücken, das Problem der illegalen Migration zielführend anzugehen, fürchte sie „ein Stück Rückabwicklung der europäischen Integration, mit Folgen, die man nicht abschätzen kann.“
Angela Merkel berichtet von eigenen Erfahrungen mit Geflüchteten
Anlässlich der Vorstellung ihrer in Kürze erscheinenden Memoiren reflektiert die 70-Jährige auch über ihre Erfahrungen mit Geflüchteten. Sie erklärt, dass ein freundliches Gesicht niemanden dazu bringe, seine Heimat zu verlassen: „Ich kenne viele Flüchtlinge aus der DDR. Niemand hätte sich auf den Weg gemacht wegen der Aussicht auf einen Handshake mit Helmut Kohl.“
Merkel bemerkt ferner, dass Geflüchtete in Deutschland „auch nicht das tollste Leben“ erwarten würden. Dennoch wird klar: Ihre Rückblicke zeigen eine tief verwurzelte Überzeugung, dass die Bewahrung von menschlichen Werten und Offenheit gegenüber anderen Kulturen die Grundlage für eine gelungene Integration darstellen. (chmnnn)