„Letzte Barriere fehlt“ – Experten warnen vor Anschlagsrisiko an Bahnhöfen wegen Grenzkontrollen

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Dobrindts Grenzkontrollen könnten wichtige Einsatzkräfte binden und neue Sicherheitslücken an vulnerablen Orten schaffen, sagen Experten.

Berlin – Es waren die großen Versprechen im Wahlkampf: Die Union will eine „Migrationswende“ – und Deutschland soll sicherer werden. Als eine der ersten Maßnahmen hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt dafür die Grenzkontrollen ausweiten lassen und Zurückweisungen von Asylbewerbern angeordnet.

Nur: Direkt zum Start gibt es Gegenwind – von Experten und Justiz. Das Berliner Verwaltungsgericht hat Dobrindts Grenz-Zurückweisungen jetzt einen Riegel vorgeschoben. Und zum Thema Grenzkontrollen kommt immer mehr Kritik von Experten und Praktikern.

Dobrindts Grenzkontrollen: Polen als warnendes Beispiel

Erst vor einigen Tagen warnte Jochen Kopelke, Chef der Gewerkschaft der Polizei, im Interview mit dieser Redaktion vor einer möglichen Zunahme von Diebstählen oder Gewalt im Umfeld von Bahnhöfen und Flughäfen: „Wenn die Bundespolizei an die Grenzen muss, fehlt dort Personal, das ist unausweichlich. Paradoxerweise kann die Maßnahme also im schlechtesten Fall für mehr Unsicherheit im Inneren führen.“ Ein warnendes Beispiel könne Polen sein, so Kopelke. „Dort hat man viele Polizisten aus anderen Bereichen, also aus der Verkehrspolizei, aus der Kripo, abgezogen und an die Grenzen nach Belarus geschickt. Die machen alle nur noch Grenzkontrolle, während in den Ortschaften die Polizeiarbeit zusammenbricht.“

Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project in der Berliner Redaktion von IPPEN.MEDIA.
Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project in der Berliner Redaktion von IPPEN.MEDIA. © Peter Sieben

Der Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project macht auf ein weiteres Risiko aufmerksam. „Bundespolizisten könnten jetzt als letzte Barriere beim Verhindern von Anschlägen fehlen“, sagte Schindler im Gespräch mit dieser Redaktion. Große Bahnhöfe und Flughäfen seien immer auch potenzielle Ziele für Terroristen und Extremisten, so der Experte: „Weil dort ja oft immer sehr viele Menschen zusammenkommen. Deshalb gibt es ja auch besondere Sicherheitsmaßnahmen für die Bahnhöfe.“ Jede Personal-Verlagerung von solchen Orten an die Grenzen sei deshalb riskant.

Polizisten fehlen wegen Grenzkontrollen an Flughäfen und Bahnhöfen: Letzte Barriere bei Anschlägen

Insgesamt sei die Gefahrensituation in Deutschland „weiterhin sehr komplex“. Die Behörden müssten schnell dafür sorgen, dass auch genügend Personal vorhanden ist, wenn die Polizei gleichzeitig Grenzkontrollen durchführen und für die Sicherheit an Bahnhöfen und Flughäfen sorgen soll.

Abseits von Personalfragen: Um Terrorgefahren früher abwehren zu können, müsse die Bundesregierung an anderen Stellen ansetzen, findet Schindler. „Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Sicherheitskräfte besser für Online-Überwachung ausgestattet werden. Das muss jetzt auch in Zusammenarbeit mit der EU umgesetzt werden“, so der Experte. Überdies will die schwarz-rote Koalition Social-Media-Plattformen zur aktiveren Zusammenarbeit mit den Polizei- und Sicherheitskräften verpflichten – ein Plan, den Schindler begrüßt. „Es ist nicht sicher, ob das klappt. Aber zumindest steht es mal auf der To-Do-Liste.“

Islamismus, Rechtsextremismus: Radikalisierung passiert oft in sozialen Medien wie TikTok

Schon länger beobachten Experten und Sicherheitsbehörden, dass sich Menschen vor allem in sozialen Netzwerken wie TikTok radikalisieren. So werben etwa rechtsextremistische Gruppen derzeit gezielt junge Menschen über Messenger-Dienste und Video-Plattformen an. Dasselbe gilt für islamistische Extremisten. So gibt es etwa Hinweise darauf, dass sich die Tatverdächtigen bei den mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlägen in München oder Solingen innerhalb kurzer Zeit im Internet radikalisiert haben sollen.

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