Nato-Land am Scheideweg: Polnische Präsidentschaftswahl offenbart Richtungskampf
Zwischen harter Migrationspolitik und klimaschädlicher Kohle: Polens Wahl wird zum Gradmesser für Europas Zukunft.
Warschau – Die zweite Runde der polnischen Präsidentschaftswahl am Sonntag steht unter besonderer Beobachtung, da sie als richtungsweisend für das Land gilt.
Die neuesten Meinungsumfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin: Kurz vor der entscheidenden Stichwahl am 1. Juni bleibt das Rennen um die polnische Präsidentschaft völlig unvorhersagbar. Wer künftig die Geschicke des EU- und Nato-Mitgliedslandes lenken wird, ist weiterhin ungeklärt. Ein klarer Favorit zeichnet sich nicht ab. Sowohl Rafał Trzaskowski als auch Karol Nawrocki haben bei dieser Präsidentschaftswahl nahezu identische Erfolgschancen.
Polen-Wahl 2025: Verschärfte Migrationspolitik trotz Ukraine-Solidarität
Polen, das seit Beginn des russischen Angriffskrieges hunderttausende Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen hat, verfolgt trotz enger Verbundenheit mit Kiew einen harten Kurs in der Migrationspolitik. Sowohl die regierende pro-europäische Koalition unter Ministerpräsident Donald Tusk als auch die ultrarechte Opposition planen, Sozialleistungen für Ausländer zu kürzen – ukrainische Kriegsflüchtlinge eingeschlossen.
Derzeit leben etwa eine Million Geflüchtete aus der Ukraine in Polen, während mehr als 1,5 Millionen Ukrainer eine gültige polnische Aufenthaltsgenehmigung besitzen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren zudem, dass Polen das Asylrecht für Migranten ausgesetzt hat, die über die belarussische Grenze einreisen. Die polnische Regierung beschuldigt Russland und seinen Verbündeten Belarus, tausende Flüchtlinge gezielt nach Polen geschleust zu haben, um die Europäische Union zu destabilisieren.
Zweite Runde der Präsidentschaftswahlen: Militärausgaben in Polen erreichen Nato-Spitzenwerte
Bei den Militärausgaben nimmt Polen eine Spitzenposition innerhalb der Nato ein. Das Land übertrifft mit geplanten 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr deutlich das Zwei-Prozent-Ziel der Allianz. Für das kommende Jahr ist sogar eine Steigerung auf fünf Prozent vorgesehen – genau wie es US-Präsident Donald Trump von den Nato-Mitgliedern fordert. Angesichts der Bedrohung durch Russland hat Polen seine Streitkräfte modernisiert und Rüstungsverträge vorwiegend mit den USA und Südkorea abgeschlossen.
Im März kündigte die polnische Regierung ein umfassendes Programm an, das allen Männern eine militärische Ausbildung für den Kriegsfall ermöglichen soll. Das freiwillige Training steht auch Frauen offen. Ab 2027 sollen jährlich 100.000 Zivilisten ausgebildet werden.
Energiewende in Polen: Von Kohle zur Kernkraft
In der Energieversorgung setzt Polen noch stark auf klimaschädliche Kohle, die etwa 63 Prozent der Energieproduktion ausmacht. Das Braunkohlekraftwerk Belchatow gilt laut der Umweltorganisation Ember als größte CO2-Schleuder der Europäischen Union. Für den geplanten Kohleausstieg baut das Land auf Kernenergie. Die Vorgängerregierung unterzeichnete 2023 den Vertrag für das erste Atomkraftwerk, das 2033 in Betrieb gehen soll. Langfristig sind drei Atomkraftwerke mit jeweils drei Reaktoren geplant, die künftig rund 30 Prozent des Energiebedarfs decken sollen.
Die katholische Kirche, einst eine Bastion in Europa, verliert in Polen zunehmend an Bedeutung. Bei der letzten Volkszählung 2021 bezeichneten sich nur noch 71,3 Prozent der Befragten als katholisch – ein deutlicher Rückgang gegenüber den 87,6 Prozent zehn Jahre zuvor. Zum schwindenden Ansehen der Kirche tragen nicht nur zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester bei, sondern auch die enge Verbindung zwischen der früheren rechtsnationalen Regierung und kirchlichen Institutionen.
Präsidentschaftswahlen am Scheideweg: Restriktive Abtreibungsgesetze in Polen bleiben umstritten
Polen verfügt über eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in Europa. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur bei Vergewaltigung, Inzest oder bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Frau erlaubt. Die Beihilfe zu illegaler Abtreibung wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft.
Während offiziell 2024 nur 896 Schwangerschaftsabbrüche bei einer Bevölkerung von 38 Millionen registriert wurden, gibt die Initiative „Abtreibung ohne Grenzen“ an, im vergangenen Jahr 47.000 Frauen bei Abtreibungen unterstützt zu haben. (sot mit afp)