„Zuhause ist Zuhause“: Aus der Ukraine geflohen, aber mit dem Herzen dortgeblieben
Vor zwei Jahren, am 24. Februar 2022, startete der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der bis heute andauert. Millionen von Menschen sind seitdem aus dem Land geflohen, laut dem Ausländerzentralregister kamen allein über eine Million ukrainische Staatsbürger nach Deutschland. Zwei von ihnen sind Ekaterina und Gleb Chumak.
Kempten/Waltenhofen – Mutter und Sohn verließen knapp eine Woche nach Kriegsbeginn ihre Heimat, zusammen mit Glebs älterem Bruder Alex. Den Vater mussten sie zurücklassen – er darf das Land nicht verlassen, wie Ekaterina Chumak erzählt. Zum Zeitpunkt ihrer Flucht aus Kiew befanden sich die russischen Soldaten bereits sehr nah an ihrem Haus, wie die beiden sagen.
Dass sie so schnell das Land verlassen konnten, verdanken sie Karl-Heinz Riedle – einem ehemaligen Fußballspieler, der in Oberstaufen ein Fußball-Camp leitet. Der Allgäuer kennt Glebs Fußballtrainer aus der Ukraine, wo der 12-Jährige seit seinem sechsten Lebensjahr für Dynamo Kiew spielte, und rief diesen nach dem Ausbruch des Krieges an. Er lud Frauen und ihre Kinder, die wie Gleb ebenfalls Fußball spielen, in sein Camp ein.
Der lange Weg nach Deutschland
Die Chance ergriff die Familie und machte sich auf zum Bahnhof, ohne zu wissen, ob überhaupt ein Zug fahren würde. Doch sie hatten Glück: Am Bahnhof angekommen, sahen sie einen Zug, zu dem viele Menschen rannten. „Und dann sind wir auch hingerannt“, erinnert sich Gleb. Damit begann ihre viertägige Reise nach Oberstaufen. Eindrücklich im Kopf geblieben ist den beiden die Fahrt nach Lwiw. Diese dauert normalerweise nur rund sechs Stunden, wie Ekaterina erzählt. „Wir waren 15 Stunden unterwegs und hatten sehr wenig Wasser dabei. Das haben wir nur schlückchenweise getrunken.“
Dicht an dicht standen sie zusammen mit anderen Menschen während der Zugfahrt, konnten sich nicht hinsetzen. Ihr ältester Sohn Alex war zudem in einem anderen Abteil des Zuges. So erging es vielen Familien. „Da wurde dann eine Flasche Wasser durch die Waggons zu den Verwandten gereicht und zurück kam ein Brötchen“, sagt die zweifache Mutter und muss bei der Erinnerung daran lachen.
Wenig Platz, aber in Sicherheit
Ebenso ergeht es ihr, wenn sie an die Zeit in Oberstaufen zurückdenkt, wo sie und Gleb bis zum November des letzten Jahres im Fußball-Camp von Karl-Heinz Riedle gelebt haben. Insgesamt 18 Leute waren sie, Mütter und ihre Kinder – sie teilten sich eine Küche und jeder Einzelne hatte nur wenig Platz. „Aber wir waren froh, dass wir in dieser schwierigen Zeit alle zusammen waren. Das machte es einfacher, die Situation zu überleben und zu akzeptieren“, so Ekaterina und schiebt hinterher, wie dankbar sie Karl und seiner Familie auf ewig ist.
Mittlerweile leben die beiden in der Gemeinde Waltenhofen und in ihrem neuen Zuhause fühlen sie sich sehr wohl. Betritt man das Wohnzimmer, so fallen einem zwei Fußbälle neben der Tür auf. Gleb spielt mittlerweile beim 1. FC Augsburg, fährt dreimal die Woche dort hin zum Training. Hinzu kommen Spiele am Wochenende, manchmal sogar am Samstag und am Sonntag. Rund 1.500 Kilometer legt der Jugendliche pro Woche zurück, erzählt seine Mutter. Doch das nimmt er gerne in Kauf, denn der Sport ist seine Leidenschaft. „Beim Fußballspielen vergesse ich alles“, sagt Gleb.
Ablenkung vom Krieg in der Ukraine
Ähnlich geht es Ekaterina mit ihrem Hobby: dem Teddybärenmachen. Seit über zehn Jahren fertigt sie die Bären und verschenkt sie an Freunde und Familienmitglieder. Gleb etwa hat immer einen kleinen Teddy von seiner Mutter dabei – als Glücksbringer. Aber auch Karl-Heinz Riedle und sein Sohn Alessandro durften sich schon über solch ein Geschenk freuen. „Weil sie uns so sehr geholfen haben“, so der 12-Jährige.
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Ekaterina erklärt, dass das Herstellen der Teddybären sie beruhigt und sie dann nicht die ganze Zeit an den Krieg in der Heimat denken muss. Und auch die Sorgen um ihren Mann verschwinden ein bisschen, wenn sie sich mit ihrem Hobby beschäftigt.
Vorerst keine Rückkehr in Sicht
Mit ihm telefonieren die beiden viele Male am Tag, wie sie sagen. So halten sie den Kontakt, denn sehen kann sich die Familie nur selten. Und wenn, dann müssen sie zu ihm nach Kiew fahren. Zuletzt waren sie in den Weihnachtsferien dort. „Es gab viele Attacken und Raketen. Es war sehr gefährlich“, erinnert sich Gleb an die Tage in der Heimat zurück. Manchmal saßen sie für mehrere Stunden in einer Tiefgarage, um in Sicherheit zu sein.
„Wegen des ständigen Beschusses ist es gerade sehr gefährlich, sich in Kiew und auch in anderen Städten aufzuhalten“, fasst Ekaterina die aktuelle Lage in der Ukraine zusammen. Dennoch würde sie gerne wieder zurück. „Zuhause ist Zuhause“, sagt sie und man merkt an ihrer Stimme, wie sehr sie ihre Heimat vermisst. Aber gerade sei eine Rückkehr ausgeschlossen. Nicht nur weil nach wie vor Krieg ist, sondern auch, weil Gleb deswegen dort momentan nicht unter normalen Bedingungen Fußball spielen kann – und er will nichts lieber als das.
Hoffnung nicht aufgeben
Deswegen bleiben die beiden hier und suchen aktuell eine Wohnung in Augsburg. Bisher hatten sie kein Glück, aber sie geben die Hoffnung nicht auf. „Wenn wir in Augsburg leben würden, dann müsste Gleb nicht mehr so viel fahren“, sagt Ekaterina und ihr Sohn ergänzt: „Dann hätte ich mehr Zeit für die Schule und kann mehr schlafen.“