Chinesische E-Autos sind ein Ladenhüter in Deutschland – aber nicht mehr lange
Der „Tsunami“ chinesischer E-Autos ist bisher ausgeblieben. Das liegt nicht zuletzt an Schwierigkeiten der Hersteller beim Vertrieb.
Der Container ist angelandet, die Autos abgeladen: 3000 nagelneue BYD-Elektroautos stehen in Bremerhaven bereit. Die Qualität und der Preis stimmt. Auch die Führung in Peking hat die Hersteller zum Export angehalten, da sie chinesische E-Autos als eine Art positive Visitenkarte für die Volksrepublik sieht. Und die deutschen Kunden: Sie wollen günstige E-Autos. Besonders jüngere Käufer sind auf die Marke bezogen experimentierfreudig, wenn das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.
Doch chinesisches Auto und deutscher Kunde finden bisher nicht so recht zusammen. Das liegt vor allem auch an Anlaufschwierigkeiten beim Vertrieb. Während das gute alte Autohaus in Deutschland immer noch Kontaktpunkt Nummer eins ist, setzen einige chinesische Marken auf den Direktvertrieb. Andere möchten gerne auf die Flächen etablierter Händler, diese sind mit den unbekannten Marken aber überfordert. Flottenbetreiber wiederum scheuen das Risiko. Und dennoch stehen die chinesischen Marken kurz vor dem Durchbruch, sagen Experten.
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie China.Table am 28. Februar 2024.
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BYD und MG setzen auf deutsche Vertriebsmodelle
In der Zulassungsstatistik des Kraftfahrtbundesamtes ist die SAIC-Marke MG die ungeschlagene Nummer eins unter den chinesischen Herstellern: 21.232 Fahrzeuge wurden von Januar bis Dezember 2023 zugelassen. MG setzt auf die traditionelle Art des Autovertriebs in Deutschland. Die Marke hat über mehrere Jahre konsequent ein Sales- und Servicenetz aufgebaut. Dazu gehören Shop-in-Shop-Lösungen und inzwischen auch eigene Showrooms. Die Volumina pro Verkaufsstandort sind gut.

Auch für Great Wall Motors lief es 2023 mit 4660 verkauften Fahrzeugen ordentlich. Das Unternehmen aus Hebei, 1984 gegründet und Chinas erster privater Automobilhersteller, holte früh die Emil Frey-Gruppe für den Vertrieb ins Boot, seines Zeichens Europas größter Autohändler und erfolgreicher Importeur, unter anderem von Mitsubishi. Emil Frey besitzt knapp 700 Standorte und vertreibt die Marken Ora und Wey von GWM.
Ähnlich viele Fahrzeuge setzte auch BYD 2023 ab. Damit ist Chinas Marktführer noch weit entfernt vom selbst gesteckten Ziel, unter Europas Top-5-Automarken zu kommen. Aber das 2023 in Shenzhen gegründete Unternehmen ist auch erst seit Ende 2022 in Deutschland aktiv – und hat sich mit starken Partnern zusammengetan. Unter anderem mit der Autohandelskette Sternauto und mit Senger Mobility. Allerdings gibt es in Deutschland bisher nur 25 Standorte für Verkauf und Service. Ebenfalls ein Erfolg für BYD: Sixt will bis 2028 insgesamt 100.000 Fahrzeuge der Chinesen abnehmen.
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Nio-Häuser: Moderner Direktvertrieb wie in China
Andere Hersteller setzen auf eine andere Art des Vertriebs, der sich vermeintlich einfacher aufsetzen lässt und auch Vertriebskosten spart: Der Direktvertrieb übers Internet. So verkauft zum Beispiel Nio seine Fahrzeuge. Die Nio-Häuser in Deutschland sind den Stores in China nachempfunden. Denn anders als bei uns ist es in Metropolen wie Peking und Shanghai schon länger üblich, Fahrzeuge in schicken Stores im Innenstadtbereich auszustellen.
Das Nio-Haus in Berlin liegt in unmittelbarer Nähe der Einkaufsmeile Kurfürstendamm und lädt Passanten dazu ein, auf drei Etagen die Autos und den Nio-Lifestyle zu erleben. Während der beeindruckende Supersportwagen EP9 von den hereinkommenden Passanten nur mit ein wenig Abstand bestaunt werden kann, darf man sich in die Modelle ET5 oder ET7 auch hineinsetzen. In der Tiefgarage stehen Fahrzeuge nach Terminvereinbarung auch für eine Probefahrt bereit.
Doch die Marke will auch das Community-Gefühl transportieren, das sie in China erfolgreich aufgebaut hat. Im Untergeschoss des Nio-Hauses gibt es daher einen Kickertisch, es werden Vorträge und Yoga angeboten, buchbar über die Nio-App. Im Obergeschoss warten kostenlose Coworking-Arbeitsplätze und eine Lounge mit Bücherregal, in der man auf gemütlichen Sofas direkt gegenüber der Gedächtniskirche das bunte Treiben betrachten kann. Die Atmosphäre ist elegant und einladend. Die Zulassungszahlen von Nio blieben im Jahr 2023 allerdings hinter den Erwartungen zurück.
Die erste Welle zahlt das Lehrgeld
Das Konzept sei überhaupt nicht schlecht, sagt Frederik Gollob, Partner bei der Markteintrittsberatung QÌ Advisory, der als Leiter der Händlernetzentwicklung bei Mercedes-Benz in China selbst mehrere derartige Spaces – Mercedes-me Stores – mit aufgebaut hat. Die niedrigen Verkäufe spiegeln aus seiner Sicht die „Vertriebshölle“ wider, durch die first mover unter den chinesischen Automobilherstellern aktuell hindurchwandern. Sie zahlen das Lehrgeld, während die zweite Welle an Herstellern es bereits leichter haben wird. Die nächsten Marken können aus den Erfahrungen der Vorreiter lernen. Zudem werden auch die Kunden sich bereits an die Idee, eine chinesische Marke zu kaufen, gewöhnt haben.
Laut Gollob ist es für die Chinesen deshalb essentiell, den Vertrieb in Deutschland zu verstehen. Hier helfen zwei Zahlen: 36.420 Autohäuser und Kfz-Werkstätten, 434.000 Beschäftigte – so riesig ist die Infrastruktur für Verkauf, Wartung und Reparatur von Autos in Deutschland. Auch wenn es Oldschool ist – viele Deutsche vertrauen bei einer großen Investition wie einem Auto noch immer dem familienbetriebenen Autohändler im Ort, mit dem man bei allen automobilen Fragen und Sorgen noch immer gemeinsam eine Lösung gefunden hat. Doch den kleinen Händler am Ortseingang gibt es in China nicht. Daher ist die deutsche Vertriebslandschaft für chinesische Marken ungewohnt.
Bürokratie und Risikoermittlung werden unterschätzt
Ebenfalls wichtig für chinesische Marken: Bereit zu sein für langwierige bürokratische Prozesse. Viele Fahrzeuge in Deutschland werden nicht gekauft, sondern geleast, oder über Flottenbetreiber abgenommen. Doch hierbei gilt es, Risiken zu managen. Daher müssen aufwendige Schadenseinstufungen und Restwerteinschätzungen vorgenommen werden. Das braucht Zeit. Viele chinesische Hersteller hätten das unterschätzt, sagt Gollob. Eine Abkürzung könne man hier nicht nehmen.
Wie sehr und wie schnell die Verkäufe für chinesische Hersteller in Deutschland anziehen werden, hängt aber nicht nur von den Marken selbst, sondern auch von einer weiteren wichtigen Gruppe ab: Den Autohändlern. Bevor ein Vertrag mit einer Marke geschlossen wird und die Fahrzeuge wertvollen Platz auf der Verkaufsfläche einnehmen, analysieren Händlergruppen genau, auf welche Marken es sich zu setzen lohnt. Doch für viele ist die schiere Fülle an neuen, hierzulande noch vollkommen unbekannten Autobauern, ein Buch mit sieben Siegeln. Welche Hersteller sind verlässlich, auch was die Versorgung mit Ersatzteilen angeht? Bei welchen muss man befürchten, dass sie bald wieder pleite gehen?
Provinzen unterstützen lokale Marken
Was das Risiko angeht, kann man zwischen den staatlichen chinesischen Automobilherstellern wie zum Beispiel SAIC, und den rein privaten unterscheiden, zu denen meist die jüngeren E-Auto-Startups gehören, sagt Daniel Kirchert, Automobilexperte mit knapp 20 Jahren Erfahrung in Führungspositionen bei internationalen Automobilherstellern in China und Gründer des Startups Noyo Mobility, einer digitalen Vertriebsplattform, auf der vor allem chinesische Hersteller ihre E-Autos in Europa verkaufen können.
„Nur eine Handvoll der ‚traditionellen‘ Original Equipment Manufacturer (OEM) in China, also derjenigen die 20 Jahre oder älter sind, ist privat“, sagt Kirchert. „Dazu gehören zum Beispiel BYD oder Geely. Der Großteil der OEMs sind staatseigene Konzerne: Dongfeng, FAW und Changan sind unter der Zentralregierung und alle anderen unter Provinzregierungen. Bei den großen Provinzunternehmen ist es nicht wahrscheinlich, dass sie pleitegehen oder sich konsolidieren, weil starke lokale Interessen dahinterstehen.“
Denn jede Provinz will ihre automobile Erfolgsgeschichte, und wird sich das auch was kosten lassen – ob es marktwirtschaftlich sinnvoll ist, oder nicht, sagt Kirchert. „Ich glaube, dass bei einer Konsolidierung am Ende 25 oder 35 Unternehmen übrigbleiben werden, einfach weil jede der 32 Provinzen Chinas alles dafür tun wird, ihre eigene Automobilindustrie am Laufen zu halten.“
EU-Zölle und Imageprobleme erschweren die Zusammenarbeit
Am stationären Handel kommt kein Autohersteller vorbei, reine Online-Distribution wird mit den deutschen Kunden nicht funktionieren, sagt Christian Voßkamp, einer der Geschäftsführer der Bleker Gruppe, die 14 Autohäuser betreibt. Die Bedingungen dafür seien aktuell optimal. Denn bei vielen Autohändlern werden Flächen frei, weil traditionelle Hersteller wie der Stellantis-Konzern ihre Vorgaben für Ausstellungsflächen verkleinert hätten. Sein Unternehmen sei bisher jedoch erst von einem chinesischen Hersteller angesprochen worden, wundert sich Voßkamp.
Ob er mit einem chinesischen Hersteller zusammenarbeiten würde, da ist sich der Autohändler indes noch nicht sicher: Durch mögliche EU-Strafzölle ist das Risiko für die Zusammenarbeit mit chinesischen Autoherstellern aktuell schwer abschätzbar. Zudem fürchtet Voßkamp einen Negativ-Image-Transfer. Denn obwohl er sich nicht intensiv mit China beschäftigt, wird er von der Medienberichterstattung verunsichert. Was, wenn die Kunden aufgrund politischer Entwicklungen keine chinesischen Autos mehr kaufen? „Wenn ich mir Ladas auf die Fläche gestellt hätte, hätte ich jetzt ein Problem,“ sagt Voßkamp.
Hausaufgaben für neue Player
Damit die chinesischen Autohersteller erfolgreich auf dem deutschen Markt Fuß fassen, hält Berater Gollob folgende Schritte für erforderlich:
- Die Wahl des passenden Distributionsmodells sowie das Aufsetzen einer passenden Infrastruktur, also Agenten- / Händlernetze, Ersatzteilversorgung und Service.
- Ein Governance-Modell, das der chinesischen Firma einerseits und einem europäischem Management-Stil andererseits gerecht wird. Am Negativbeispiel Great Wall Motors sei deutlich geworden, dass hier Schäden entstehen können. Aufgrund von Differenzen mit dem Management hatten viele Mitarbeiter am Standort in München gekündigt.
- Die chinesischen Hersteller müssen ihre Hausaufgaben machen. Strategische Themen wie zum Beispiel langfristig stabile lokale Partnerschaften aber auch operative Herausforderungen wie Schadenseinstufung und Restwerteinschätzung wurden von einigen beim Market Entry unterschätzt.
Eins ist für den Automobilexperten jedoch klar: „Die Chinesen haben lange angekündigt, dass sie auf unserem Markt erfolgreich sein wollen, sie haben in Fünf-Jahresplänen immer wieder darauf hingewiesen: Wir werden euch nicht mit Verbrennungsmotor angreifen, sondern mit einem neuem Antriebsstrang. Wenn einer ankündigt, was er tut, und dann auch noch sehr präzise, und dann Jahr für Jahr seine Ziele erreicht, dann muss man davon ausgehen, dass auch das Gesamtziel erreicht wird.“
Ob es ein „Tsunami“ sein wird, der kommt, bleibt abzuwarten. Aber es ist davon auszugehen, dass die Autoverkäufe chinesischer Hersteller auch in Deutschland bald in Schwung kommen. Von Julia Fiedler