„Grüne Energie wird Wettbewerbsvorteil“ – Wacker-Chemie-Chef fordert mehr Tempo bei Energiewende

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

KommentareDrucken

Ein Strommast auf einem Feld: Christian Hartel, Chef von Wacker Chemie, wünscht sich mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien. © Sven Kaeuler / dpa

Über die Energiepolitik in Deutschland und Europa wird viel debattiert. Christian Hartel, Geschäftsführer von Wacker Chemie, erklärt im Interview, weshalb das Überleben des Standorts am grünen Strom hängt.

Burghausen – Die AfD hat unter anderem mit lauter Kritik an der Energiewende hohe Zustimmungsraten eingeholt und fordert eine Renaissance der fossilen Brennstoffe. Das ist genau der falsche Weg, um Deutschland aus der Krise zu führen, sagen über 50 namhafte Unternehmen, die mit der Stiftung Klimawirtschaft einen Brandbrief an die Politik geschrieben haben. Eines ist Bayerns größter Stromverbraucher: Wacker Chemie. Im Interview erklärt Geschäftsführer Christian Hartel, weshalb das Überleben des Standorts am grünen Strom hängt.

Herr Hartel, Sie haben den Brandbrief für die Energiewende mitunterzeichnet. Warum?

Für uns als Industrieunternehmen ist es enorm wichtig, in einem Land zu sein, in dem die Rahmenbedingungen stimmen und wir unser Geschäft sicher weiterentwickeln können. Es geht um alle Aspekte, die es braucht, um erfolgreich zu wirtschaften: Dazu gehören Fachkräfte – auch aus dem Ausland – und bezahlbare, grüne Energie.

Sie selbst haben Werke in den USA und China, wo der Strom zwischen zwei und fünf Cent die Kilowattstunde kostet, in Deutschland deutlich mehr. Können wir da in Zukunft mithalten?

Da bin ich absolut zuversichtlich. Erneuerbare Energie, insbesondere Photovoltaik, ist die mit Abstand günstigste Energie auf dem Planeten. Kohlenstoffbasierte Energie ist teurer, selbst wenn man die Schäden durch CO₂ nicht einrechnet. In den 2030er-Jahren werden wir sehen, dass das funktioniert. China hat die wirtschaftliche Bedeutung der Erneuerbaren verstanden und vergangenes Jahr über 200 Gigawatt Solarleistung installiert. Zum Vergleich: In Deutschland waren es auch im Rekordjahr 2023 nur 14 Gigawatt.

Und in den USA?

Teilweise getrieben durch den Inflation Reduction Act, aber auch durch unternehmerische Entscheidungen entstehen in den USA riesige Solar- und Windparks, wo die Leute vor Ort Geld verdienen. Wir spüren das auch bei der Nachfrage für unser Polysilizium: Vergangenes Jahr wurden weltweit 450 Gigawatt Solarleistung installiert, dieses Jahr werden es 500 sein.

In Phasen ohne Sonne und Wind sollen in Zukunft teure Wasserstoffkraftwerke einspringen. Wird Strom unterm Strich nicht teurer?

Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Wir als chemische Prozessindustrie sind bisher darauf ausgerichtet gewesen, möglichst konstant und mit hoher Auslastung zu arbeiten. Durch den steigenden Anteil der Erneuerbaren werden wir mehr Schwankungen sehen, auch in der Preisfindung. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, unsere Kapazitäten flexibler auszubauen, um das stärker zu nutzen.

Gerade Ihre Polysiliziumproduktion braucht aber konstant Strom.

Das ist richtig, aber wenn es besondere Preisspitzen gibt, können wir die Last auch teilweise zurückfahren und dann mehr produzieren, wenn der Strom wieder günstig ist. Man darf bei der Thematik nicht so sehr einzelne Unternehmen in den Fokus nehmen, sondern muss das Gesamtsystem sehen.

Das heißt?

Elektroautos werden zum Beispiel in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine ganz wichtige Rolle spielen. Sie werden den Strom aufnehmen, wenn er günstig ist, und abgeben, wenn er teuer ist. Das wird die Spitzen und Täler am Strommarkt ein Stück weit glätten. Dieser Faktor wird unterschätzt.

Christian Hartel lenkt Bayerns größten Chemiekonzern. Für den strategisch wichtigen
Halbleiter-Rohstoff Polysilizium will er grünen Strom.
Christian Hartel lenkt Bayerns größten Chemiekonzern. Für den strategisch wichtigen Halbleiter-Rohstoff Polysilizium will er grünen Strom. © FOTO: OLIVER BODMER

Trotzdem warnen Kritiker vor der Dunkelflaute.

Die Kritiker der Energiewende kommen vor allem aus der alten Energiewelt, wo man alles zentral an einem Kraftwerk regeln musste, da konnte man sich keine Schwankungen vorstellen. Damit kann man aber umgehen. Dabei wird auch die Künstliche Intelligenz helfen.

Bisher hat aber kaum jemand flexible Stromtarife oder die nötigen vernetzten Stromzähler. Ist die Gesellschaft schon so weit?

Das Sparpotenzial ist tatsächlich noch nicht so ganz in der Bevölkerung angekommen. Wenn ich mein E-Auto zur richtigen Zeit lade, ist das sehr günstig, viele intelligente Stromzähler machen das sogar automatisch. Sie müssen die Menschen zu Nutznießern der Energiewende machen. Das gilt auch für die Diskussion um Windräder. Da gibt es sehr erfolgreiche Beispiele für Bürgerbeteiligungen. Da könnte auch die Politik mehr tun, um die Menschen zu überzeugen: Es ist nicht nur gut für das Klima, sondern auch für die Arbeitsplätze und den eigenen Geldbeutel.

Grüner Strom kann mit fossiler Elektrizität konkurrieren. Für Prozesswärme in der Industrie ist es aber oft günstiger, einfach Kohle zu verbrennen. Ist Strom wirklich die Allzweck-Lösung?

Am Ende: Ja, grüner Strom. Ich erwarte, dass es in der nächsten Dekade auch weltweit Preise für CO₂-Emissionen geben wird. Dann rechnet es sich, wenn ich bereits einen elektrifizierten Prozess habe. Und grüne, günstige Energie wird angesichts weltweiter CO₂-Bepreisung ein Wettbewerbsvorteil sein.

Sie erwarten CO₂-Preise auch in China?

Das könnte ich mir vorstellen. Gleichzeitig wird der erneuerbare Strom aber so viel günstiger, dass sich die Frage, ob Kohle nicht rentabler ist, gar nicht mehr stellt. Und wer das in der Politik erkennt, sichert den Wettbewerbsvorteil von morgen. In Texas können Sie heute grünen Strom für vier Cent beziehen–ohne Subventionen, einfach weil es sich rechnet. Unsere jahrelange Forderung nach einem Industriestrompreis ist dort quasi Realität.

Weil es im Norden mehr günstigen Windstrom gibt als im Süden, könnte die EU Deutschland in mehrere Preiszonen aufspalten. Wäre das für die Industriepolitik nicht sinnvoll?

Es gibt nur einen Grund, warum wir diese Diskussion überhaupt haben: Weil man den Ausbau der Stromtrassen politisch nicht mit der nötigen Geschwindigkeit durchgeführt hat. Die Industriestandorte in Bayern sind teilweise über 100 Jahre gewachsen. Die kann man nicht einfach verpflanzen. So wurde jahrelang verpasst, die notwendigen Leitungen Richtung Norden zu bauen. Das wird nun nachgeholt. Jetzt Preiszonen zu schaffen, wäre aus zwei Gründen falsch: Die Industrie im Süden hätte höhere Strompreise, das wäre fatal für die Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig würde sich das Geschäftsmodell für die Leute, die in Norddeutschland in Windräder investiert haben, nicht mehr rechnen, die hätten weniger Abnehmer und niedrigere Preise.

Auch namhafte Experten sagen, dass die Energiewende ohne Atomkraft nicht gelingen kann.

Ich bin kein Fan neuer Atomkraftwerke aus einem wesentlichen Grund: Ich halte den erzeugten Strom für zu teuer. Bei den wenigen neuen Projekten – etwa in Finnland und England – kommen Sie niemals auf einen Strompreis von sechs bis sieben Cent, wie wir ihn heute in Deutschland haben, sondern eher auf das Doppelte. Die Entscheidung, bestehende, abgeschriebene Meiler abzuschalten, hat uns aber sicher nicht weitergebracht.

Der Standort Burghausen steht für Sie nicht infrage. Aber würden Sie in neue Kapazitäten investieren?

Wir erweitern aktuell unsere Ätzlinie für Halbleiterpolysilizium – aber das ist kein sehr energieintensiver Prozess. In der jetzigen Situation ist es schwierig, über neue Kapazitäten für energieintensive Prozesse nachzudenken. Dazu fehlt auch die Planungssicherheit, die ein Brückenstrompreis gegeben hätte.

Mit dem Brückenstrompreis hätte es neue Investitionen in die energieintensive Fertigung gegeben?

Wir haben immer Pläne in der Schublade, unsere Produktion zu erweitern, und dazu gehört auch die Polysilizium-Fertigung in Bayern. Grundvoraussetzung sind aber wettbewerbsfähige, planbare Energiepreise.

Auch interessant

Kommentare