Viele Politiker und Prominente fordern mehr Leistungsbereitschaft, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Doch der Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann zeigt auf, dass nicht Leistung, sondern Herkunft und Verbindungen entscheidend für Erfolg und hohe Einkommen sind.
Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage hierzulande mehren sich in letzter Zeit die Stimmen, die eine wesentliche Ursache in der mangelnden Leistungsbereitschaft der Deutschen zu erkennen glauben, vor allem in der jüngeren Generation.
Prominente wie Uli Hoeneß oder Friedrich Merz äußern sich diesbezüglich sehr deutlich. Hoeneß spricht davon, dass Leistung wieder mehr in den Vordergrund gestellt werden müsse, und fährt fort: „Wir müssen wieder mehr arbeiten, dann hat man auch mehr Erfolg." Merz schlägt in dieselbe Kerbe, wenn er eine größere Leistungsbereitschaft und mehr Arbeitsstunden von den Deutschen verlangt. Wenn die Arbeit „eine unangenehme Unterbrechung unserer Freizeit bleibt, dann können wir den Weg weitergehen. Aber der führt in einen massiven Wohlstandsverlust.“ Er fordert eine dementsprechende Mentalitätsveränderung.
Erfolg und hohes Einkommen sollten nicht diskreditiert, sondern wie in den USA positiv gewürdigt und als Ausdruck von Leistung anerkannt werden. Er kommt dann auf seine Person und sein eigenes Millioneneinkommen zu sprechen. „Ich freue mich darüber, es ist nichts vom Himmel gefallen, ich habe dafür gearbeitet. Und ich habe auch vielleicht mehr gearbeitet als acht Stunden am Tag.“ Für viele Menschen dürften sich die Appelle erst einmal plausibel anhören. Sie enthalten aber gleich drei wesentliche Fehlannahmen.
Über Michael Hartmann
Michael Hartmann, geb. 1952, ist emeritierter Professor der TU Darmstadt. Er studierte Soziologie, Politikwissenschaft, Philosophie, Psychologie, Geschichte und Germanistik. Nach Promotion (1979) und Habilitation (1983) lehrte er von 1999 bis 2014 Soziologie. Zu seinen bekanntesten Werken gehören „Die globale Wirtschaftselite“ (2016) und „Die Abgehobenen“ (2018). Er erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Preis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (2008), und ist regelmäßig in Medien und Talkshows präsent.
Der „American Dream“ verliert an Glaubwürdigkeit
Der erste Irrtum ist der Glaube, dass Reichtum und Erfolg in den USA sehr viel stärker gewürdigt würden als hierzulande. Dieses Bild eines in der Bevölkerung verbreiteten „American Dream“ von der Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär war bis zur Jahrtausendwende im Kern wohl zutreffend. Seit der Finanzkrise hat sich das Bild aber deutlich gewandelt. Nach einer Umfrage des Wallstreet Journals glaubte letztes Jahr nur noch ein gutes Drittel der Bevölkerung an diesen Traum und unter den Jüngeren sogar nur noch gut ein Viertel. Auch in den USA hat sich die Stimmung angesichts der drastisch gewachsenen Kluft zwischen den Reichen und der Normalbevölkerung massiv verändert, ein Grund für den Erfolg von Donald Trump.
Es besteht kein direkter Zusammenhang zwischen Leistung und hohem Einkommen
Zweitens ist hohes Einkommen nicht zwingend, ja nicht einmal im Durchschnitt ein Ausweis besonderer Leistungsbereitschaft. Die höchsten Einkommen resultieren durchweg aus den Erträgen der größten Vermögen. Die überwiegende und im Zeitverlauf stetig steigende Mehrheit dieser Vermögen stammt aber aus Erbschaften. Die Erben haben für die Erträge aus diesen Erbschaften keinerlei eigene Leistung erbracht.
Eingeschränkt gilt das aber auch für etliche der hohen Arbeitseinkommen. Um bei Friedrich Merz zu bleiben, so hat er seine höchsten Einnahmen als Anwalt eher seinen politischen Verbindungen als seiner besonderen Leistungsbereitschaft und -qualifikation zu verdanken. Die sehr lukrativen Aufträge bei der Privatisierung der Ruhrkohle AG und der WestLB wurden einmal unter der Ägide eines CDU-Ministerpräsidenten und einmal durch die SoFFin unter einer CDU-FDP-Bundesregierung erteilt. Wenn Merz darauf verweist, dass er für sein hohes Einkommen auch mehr als acht Stunden pro Tag gearbeitet habe, so vergisst er hinzuzufügen, dass er nach Medienberichten bei der letztlich gescheiterten Privatisierung der WestLB für ein gutes Jahr Arbeit mehr als zwei Millionen Euro kassiert hat, pro Tag inklusive Wochenende 5000 Euro.
Dafür würden vermutlich die meisten Menschen mehr als acht Stunden täglich arbeiten. Auch abgesehen von der Person Merz lässt sich am Beispiel seines erlernten Berufs zeigen, wie lose der Zusammenhang zwischen individueller Leistung und Verdienst ist. Bei den Anwälten hängt die Höhe der Honorare in erster Linie am Gegenstands- oder Streitwert. Das bedeutet, dass vollkommen unabhängig von der Arbeitsbelastung des Anwalts die Vertretung von Unternehmen oder reichen Privatleuten stets sehr viel lukrativer ist als die von durchschnittlichen Menschen oder gar die von Sozialhilfeempfängern. Die Klientel ist entscheidend, nicht die persönlichen Arbeitsstunden.
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Leistung ist für den Zugang zu Elitepositionen nicht ausschlaggebend
Drittens schließlich ist auch beruflicher Erfolg weit weniger mit der individuellen Leistung zu tun, als es das Bild von der Leistungsgesellschaft verspricht. Das gilt für viele Bereiche, ganz besonders aber für die Spitzenpositionen. Für den Zugang zu diesen Toppositionen sind Persönlichkeitsmerkmale ausschlaggebend, die mit Leistungsbereitschaft allenfalls sehr begrenzt zu tun haben.
Sicherlich arbeiten die Personen, die dort sitzen, hart. Das war für ihren beruflichen Erfolg aber nicht der entscheidende Faktor. Entscheidend war letztlich der Habitus, den sie in ihrer Kindheit und Jugend erworben haben. Da die Entscheider in der Regel nach dem Muster der sozialen Ähnlichkeit auswählen, haben diejenigen, die wie sie in bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien aufgewachsen sind, einen klaren Vorteil gegenüber allen anderen.
Nur so lässt sich die faszinierende Kontinuität bei der sozialen Rekrutierung der Vorstandschefs der 100 größten deutschen Unternehmen erklären. Seit langen Jahrzehnten liegt der Anteil der sozialen Aufsteiger aus Arbeiterschaft und Mittelschichten unter 20 Prozent. Sollte das Tempo, in dem die sozialen Aufsteiger in den letzten 100 Jahren aufgeholt haben, so bleiben, dann wird es noch über 1000 Jahre dauern, bis die Aufsteiger wenigstens jeden zweiten Vorstandsvorsitz innehaben. Das ist mehr als ernüchternd und mit dem Anspruch einer Leistungsgesellschaft sicherlich nicht vereinbar.
In den anderen Sektoren sieht es nicht ganz so krass aus, aber die deutschen Eliten in ihrer Gesamtheit stammen auch zu knapp zwei Dritteln aus den genannten bürgerlich-, großbürgerlichen Kreisen, den oberen knapp vier Prozent der Bevölkerung. Allein aus dem Großbürgertum, den oberen fünf Promille der Bevölkerung, kommt jedes vierte Elitenmitglied. Das ist verglichen mit den Elitenmitgliedern aus Arbeiterfamilien eine Überrepräsentation um gut das 200fache.
Der Ruf nach mehr Leistungsbereitschaft klingt aus dem Mund von Merz hohl
Der Ruf nach größerer Leistungsbereitschaft klingt sicher immer etwas hohl, wenn er von denen erhoben wird, die zu den Profiteuren der nicht auf Leistung beruhenden Erfolgsmechanismen gehören. Das gilt auch für Hoeneß, der als Fußballer und Manager sicherlich überdurchschnittliche Leistungen gezeigt, sein hohes Gehalt aber eben auch dem leistungsunabhängigen massiven Anstieg der Managergehälter in den letzten drei Jahrzehnten verdankt hat.
Manchmal wird das Missverhältnis zwischen Leistung und Gehalt sogar oberflächlich sichtbar, wie z.B. bei den Boni der Bahnvorstände oder bei den millionenschweren jährlichen Zahlungen von VW an Ex-Vorstände, die sich zum Teil, wie etwa Winterkorn oder Stadler, wegen ihrer Handlungen sogar vor Gericht verantworten mussten oder noch müssen.
Skepsis dem „American Dream“ und auch generell dem Credo von der Leistungsgesellschaft gegenüber trifft die Realität doch weit besser, als Protagonisten wie Merz oder Hoeneß wahrhaben wollen.
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