Analyse von Ulrich Reitz - Der Osten ohrfeigt die abgehobene Ampel - und schafft einen letzten Exit-Moment
Der nach Karl Lauterbach „beste Bundeskanzler, den wir je hatten“, hat mit seiner Ampelkoalition bei den beiden ostdeutschen Wahlen eine heftige Klatsche kassiert. Die drei Berliner Regierungsparteien brachten es in Sachsen und Thüringen gemeinsam nicht einmal mehr auf 15 Prozent der Wählerstimmen.
Die Liberalen, ohnehin der schwächte Teil der Koalition von Olaf Scholz, erlitt in den beiden ostdeutschen Ländern ein Desaster. Sie flog aus beiden Parlamenten, es bedeutet für sie das größte anzunehmende Trauma. Die Aussicht, dass ihr auch bei der Bundestagswahl in gut einem Jahr die außerparlamentarische Opposition droht, dürfte die amtierende Bundesregierung in den nächsten Wochen, mehr noch als der zehrende Kampf ums Geld, an den Rand ihrer Existenz bringen.
Die letzte Exit-Möglichkeit der Liberalen aus der Ampel
Denn die beiden – existenziellen – Wahlniederlagen bedeuten für die Liberalen zugleich dies: die letzte Chance, aus der Berliner Koalition auszuscheiden, um im bereits heraufziehenden Bundestagswahlkampf gegen die beiden dann Ex-Partner Rot und Grün harte Oppositionspolitik zu machen. Und zwar, um sich vor der Bedeutungslosigkeit zu retten. Die wurde an diesem Wahlabend deutlich: FDP-Ergebnisse wurden in Balkendiagrammen schon gar nicht mehr ausgewiesen.
In den so gut wie ausschließlich von Bundesthemen geprägten Polit-Wettbewerben haben die ostdeutschen Wähler ein erstaunliches Selbstbewusstsein an den Tag gelegt. Von den Warnungen bis hin zu Einschüchterungsversuchen, ihre Stimmen sowohl der rechtsradikalen wie der „links-konservativen“ Wagenknecht-Partei zu versagen, haben sie sich erkennbar nicht beeindrucken lassen, im Gegenteil:
Die politischen Debatten waren polarisiert wie nie, die Wähler hat das mobilisiert – die Wahlbeteiligung war in beiden Bundesländern hoch wie nie. Jeder dritte Wähler entschied sich dabei für eine Partei, die von der Politprominenz im Westen Deutschlands (allzu?) schlicht „Nazi“ genannt wird. Entsprechend äußerte sich die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, ebenso wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU.
Eine Entscheidung gegen das Berliner Establishment
Nun wird man aber kaum einem Drittel der sächsischen wie thüringischen Wähler vorhalten können, „Nazi“ zu sein. Sie haben sich, durchaus Druck-resilient, gegen das Berliner Establishment entschieden. Und gegen den Stil, den vor allem SPD und mehr noch Grüne geprägt haben: im Besitz der „Wahrheit“ zu sein, es in jedem Fall besser zu wissen und die Moral dabei auf der eigenen Seite zu haben.
Die für die Bürger – teuren – Eingriffen auf den Heizungskeller und das Verbrenner-Auto und den von vielen als verstörend empfundenen Angriffen auf das biologische Geschlechterverständnis haben den Eindruck einer abgehobenen Moral-Politik mal um mal genährt.
Dies in Kombination mit der fehlenden Kompetenz zur Lösung der von den Bürgern als dominierend empfundenen Problemen auf zwei Themenfeldern – ungesteuerte Migration und Russlands Krieg in der Ukraine – addierte sich zu einem Gift-Cocktail für die Berliner Ampel.
Mit anderen Worten: Die Berliner Regierung hat geliefert, was niemand bestellt hat. Und was alle bestellt haben, hat sie nicht geliefert. Dies freilich auch noch mit der Attitüde eines arroganten Klassenprimus. Und mit dem wollte schon auf dem Schulhof niemand spielen. Viel mehr als die Ampel kann eine Regierung einfach nicht falsch machen.
AfD und BSW zusammen bei 40 bis 45 Prozent – das muss man sich einmal vorstellen
Diese Anti-Establishment-, Anti-Eliten-, Anti-Berlin- und Anti-Abgehobenheit-Stimmung haben AfD und die Wagenknecht-Partei BSW so konsequent wie geschickt adressiert. Beide Parteien zusammen bringen es auf 40 bis 45 Prozent – das muss man sich einmal vorstellen.
Rechnet man in Thüringen die Linke hinzu, dann bringen es die Anti-Establishment-Parteien, die Anti-Bonner-Parteien auf knapp unter 70 Prozent Zustimmung. Der Osten ist – aus West-Sicht wirklich anders, Thüringen ist es ganz gewiss. Und noch nie war dieser Unterschied so groß wie 35 Jahre nach der deutschen Einheit.
Die CDU hatte dem nur in Sachsen etwas entgegenzusetzen. Sie konnte dabei vom Bonus des amtierenden Regierungschefs Michael Kretschmer profitieren. Dem zuletzt auch noch bescheinigt wurde, für das erfolgreichste Bildungssystem in Deutschland verantwortlich zu sein. Was auch eine weitere, für die Union durchaus unangenehme Erkenntnis beinhaltet:
In Sachsen hat ein durchaus erfolgreicher Landes-Regierungschef gewonnen – Rückenwind aus der Bundes-Union hatte Kretschmer nicht nötig, falls es den überhaupt gab. In Thüringen jedenfalls gab es ihn offensichtlich (auch) nicht. Dass Mario Voigt über ein Vierteil der Wählerstimmen nicht hinauskommen konnte, obwohl die Landesregierung erkennbar abgewirtschaftet hatte, konnte auch ein Friedrich Merz nicht verhindern.
Macht Ausgrenzung einer radikalen Partei diese kleiner oder größer?
Umso erstaunlicher, mit welche Selbstverständlichkeit Voigt für sich und seine Partei den Regierungsauftrag ableitet. Genau genommen ist dies noch längst nicht entschieden. Es gibt auch in Thüringen keinen Landes-„Präsidenten“, der irgendjemandem einen Regierungsauftrag geben könnte. Ergo gibt es auch nicht so etwas wie einen „Wählerauftrag“ – von dem Politiker aller Parteien am Wahlabend so reden, als sei dies quasi Gottgegeben.
Wenn die so genannte „Brandmauer gegen rechts“ nicht nur das Ziel hatte, die AfD aus der Regierung, sondern sie auch klein zu halten oder kleiner zu machen, dann ist dieses Instrument, eine Erfindung der politischen Linken, auch von Medien, gescheitert. Auch dies dürfte zu weiteren Diskussionen führen, bei denen die Hauptfrage lautet: Macht Ausgrenzung einer radikalen Partei diese kleiner oder größer?
In der Rückschau fällt auch auf, dass die „Demos gegen rechts“ im Frühjahr vor allem im Westen Menschen mobilisierten, weniger im Osten. Beeinflusst haben sie die Wähler jedenfalls nicht in die gewünschte Richtung. Womöglich haben sie sogar zu einer Trotzreaktion geführt.
Baerbocks Geschichtsvergessenheit gegenüber Ostdeutschland wird bestraft
Ein letztes Wort zu den Grünen: Sie sind eine West-Partei. Ihre postmateriellen, woken Werte werden im Osten nicht geteilt, weder beim Klimaschutz, noch in der Migrationspolitik und schon gar nicht in Bezug auf die Ukraine.
Zuletzt hatte dies die Außenministerin Annalena Baerbock deutlich gemacht, die in der luxuriösen ostdeutschen West-Exklave Potsdam wohnt. Sie sagte bei einem Wahlkampfauftritt in Chemnitz, diesen Satz: „Die größten Demonstrationen in unserem gemeinsamen Land waren eben nicht 1989. Die größten Demonstrationen, die es jemals in unserem Land gegeben hat, waren im Januar, Februar und März, vielleicht auch noch mitgezählt.“
Damit hob die Spitzengrüne den persönlich riskanten Aufstand gegen die DDR-Obrigkeit auf eine „heroische“ Stufe mit den wohlfeilen „Demos gegen rechts“, die von ihr und Olaf Scholz ganz persönlich gefördert wurden. Eine größere Geschichtsvergessenheit kann man in der Politik gegenüber Ostdeutschland kaum an den Tag legen.