Machtpolitik im Israel-Iran-Krieg: Saudi-Arabiens Gratwanderung inmitten der Nahost-Eskalation
Inmitten der Nahost-Eskalation droht wegen des Israel-Iran-Kriegs der Sturz des Regimes. Saudi-Arabien hält sich als Akteur noch bewusst im Hintergrund. Eine Analyse.
Riad – Die Eskalation zwischen Israel und Iran erreicht knapp eine Woche nach Beginn des Israel-Iran-Kriegs eine neue Stufe: Tel Aviv fliegt präventive Angriffe, Teheran droht mit Vergeltung – auch gegen US-Stützpunkte in der Golfregion. Washington wiederum schweigt bislang zur Frage möglicher US-Militärschläge. Besonders betroffen ist derzeit die Zivilbevölkerung in Iran und Israel, doch in den Anrainerstaaten wächst die Sorge vor einem geopolitischen Flächenbrand. Die Rolle von Israel im Krieg sorgt derweil in der Bevölkerung für Kritik.
Inmitten der Nahost-Eskalation hielten sich Staaten wie Saudi-Arabien zunächst zurück, auch andere arabische Nationen sind aktuell Beobachter an der Seitenlinie. Dennoch blieb es nicht bei Zurückhaltung: Die Regierung in Riad und Jordanien ließen zuletzt iranische Raketen in ihren Lufträumen abschießen. Zeitgleich wird der militärische Einsatz Israels faktisch geduldet. Saudi-Arabien verurteilte die Kämpfe zwar als „blanke Aggression“ Israels, doch zugleich sorgt dieses Vorgehen für Kritik. Für Riad stellt sich eine strategische Grundfrage: Will das Königreich mehr sein als nur Zuschauer? Vielleicht sogar zum stillen Hegemon der Golfregion aufsteigen, sollte es zum Sturz des Regimes im Iran kommen?
Saudi-Arabien inmitten der Nahost-Eskalation: Sturz von Iran-Regime hätte gravierende Folgen
Seit dem Beginn der multiplen Krisen in der Golfregion und spätestens aber nach dem Hamas-Überfall auf Israel präsentiert sich Saudi-Arabien als „Plattform der Diplomatie“, wie Sebastian Sons vom Center for Applied Research in Partnership with the Orient gegenüber der Frankfurter Rundschau von Ippen.Media sagt. Das Vorgehen der Regierung Riads, auch mit Blick auf die aktuelle Nahost-Eskalation, lässt sich dabei auf drei Säulen zusammenfassen: strategische Autonomie, Stärkung der Führungsrolle und beständige Stabilität, die die Wirtschaftskraft Saudi-Arabiens sichern soll.
Auch wenn gegenwärtig ein Sturz des Regimes im Iran als Folge der Nahost-Eskalation drohen könnte, scheint der Weg Saudi-Arabiens klar: Riad will keine Seite wählen – sondern die Bühne selbst sein. Dennoch kam es in den vergangenen Tagen zu einer vorsichtigen Positionierung: Riad bezeichnete die Islamische Republik als Bruderstaat, berichtet die Tagesschau.
Die auffällige Wortwahl verdeutlichte einmal mehr, dass alte Rivalitäten zwischen dem sunnitisch geprägten Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran weiter in den Hintergrund gerückt sind. Jenseits dieser Rhetorik fahre Saudi-Arabien aber einen ganz anderen Kurs, sagte Stefan Lukas der Deutschen Welle, Geschäftsführer des Analyse- und Beratungsunternehmens Middle East Minds. „Inoffiziell beteiligt sich Saudi-Arabien durchaus an den Aktionen gegen den Iran.“
Israel-Iran-Krieg: Saudi-Arabien als „Brückenbauer“ bei Sturz des Regimes in Teheran
Die geopolitische Situation im Nahen Osten war in den vergangenen Jahren durchweg durch die Machenschaften des Iran geprägt: Als Teil seiner „Achse des Widerstands“ bekämpften Hamas, Hisbollah oder die Huthi-Rebellen den israelischen Staat, der per Staatsdoktrin der erklärte Todfeind des Regimes in Teheran ist. Doch zuletzt bröckelte die Vorherrschaftsstellung der Republik, andere Akteure gewannen an Relevanz – wie etwa Saudi-Arabien.
Das Königsreich tritt immer wieder „als Vermittler und Brückenbauer auf“, so Sons. Mit klaren Zielen: „Erstens möchte das Königreich als unersetzlicher Partner in der globalen Diplomatie angesehen werden, das sich nicht einem Lager – weder Ost noch West – zuordnen lässt, sondern eine Politik der strategischen Autonomie verfolgt.“ Saudi-Arabien würde es so gelingen, seine eigene Bedeutung als Verhandlungspartner zu verbessern.
Saudi-Arabien inmitten der Nahost-Eskalation: Riad will zum „Friedensstifter“ werden
Die gegenwärtige Haltung Saudi-Arabiens ist zugleich aber auch eine Gratwanderung: Breite Teile der Bevölkerung unterstützen Palästina, Kritik an Israel gibt es immer wieder. Das geht unter anderem aus Studien des Washington Institute und der Amercian University in Cairo aus den vergangenen Jahren hervor. Riad positioniert sich zwar mit rhetorischer Schärfe, aber mit faktischer Vorsicht. Kern des Vorgehens ist es unter anderem auch die Aufwertung der eigenen politischen Relevanz voranzutreiben, wie Sons erklärt. Womit auch die Legitimität des Kronprinzen Mohammed bin Salman nach innen und außen und sein Image als „Friedensstifter“ gestärkt werden könnten.
Das Königreich benötige zudem regionale Stabilität, „um die ehrgeizigen Pläne zum Umbau der eigenen Wirtschaft umzusetzen. Dafür müssen ausländische Investitionen angelockt werden, was durch die Krisen in der direkten Nachbarschaft gefährdet wird. Umso mehr setzt das Königreich auf diplomatische Bemühungen, um das eigene Geschäftsmodell zu sichern.“
Auswirkungen von Israel-Iran-Krieg: Sturz von Teheran wäre für Saudi-Arabien „Horrorszenario“
Die Auswirkungen der aktuellen Eskalation im Israel-Iran-Krieg sind allerdings weniger im Interesse von Saudi-Arabien, ein Sturz des Regimes im Iran würde die Lage weiter verschlimmern. „Für das Königreich stellt die aktuelle Konfrontation ein Horrorszenario dar, da damit die wichtigsten Ziele – regionale Stabilität zugunsten des nationalen wirtschaftlichen Fortschritts – bedroht sind“, erklärt Sons. „Riad ist daher vor allem daran gelegen, Gesprächskanäle zu Iran offenzuhalten und kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen.“ Dass sich die Lage im Israel-Iran-Krieg durch den Sturz des Regimes in Teheran hin zu einem gefährlichen Machtvakuum verschieben könnte, birgt aus Sicht Saudi-Arabiens unkalkulierbare Konsequenzen für die Region.
Unter anderem könnte es „Anstieg militanter dschihadistischer Gruppen, wirtschaftliche Krisen oder beeinträchtigte Handelswege mit sich bringen“, so Sons. Wie die Financial Times berichtet, zeigen Analysen, dass die Golfmonarchien, Saudi-Arabien eingeschlossen, zwar die Nähe zum Iran suchen, aber gleichzeitig die Machtverhältnisse in ihrem Sinne beeinflussen wollen. Zu gleichen Einschätzungen kommen auch andere Experten: Abdulaziz Sager vom Gulf Research Center warnt, dass aktuell „Sicherheitsbedrohungen ganz oben auf der Liste der Risiken“ für Anrainerstaaten stehen. Hesham Alghannam (Carnegie) weist hingegen auf die Gefahr von Störungen im Ölexport und direkte Angriffe auf US‑Stützpunkte hin.
Sorge vor Sturz im Iran: Saudi-Arabien bleibt Israel-Iran-Krieg offiziell neutral
Nach Einschätzung der Deutschen Welle handelt Saudi-Arabien angesichts der aktuellen Eskalation in Nahost leise, aber konsequent geopolitisch. Dass sich Riad gegenwärtig in einer neuen Rolle wiederfindet, schreibt derweil die Financial Times: „Die Golfmonarchien suchen engere Beziehungen zu Teheran, um sich aus einem Krieg herauszuhalten. Sie verurteilen israelische Aktionen, um einen regionalen Flächenbrand zu vermeiden.“ Für Saudi-Arabien positioniert sich demnach offiziell als neutraler Akteur, der beide Seiten im Auge behält, statt klar Partei zu ergreifen.
Die eigenen Ambitionen bestätigt auch der saudische Energieminister: „Wir reagieren nur auf tatsächliche Entwicklungen, nicht auf hypothetische Szenarien“, erklärte er laut Reuters. Ob diese Strategie langfristig trägt, ist offen – und hängt maßgeblich vom weiteren Verlauf der Eskalation ab. Nach Einschätzung der Washington Post verfolgen die Golfstaaten allerdings den Plan, die Auswirkungen der israelischen Angriffe auf Iran einzudämmen. Für Saudi-Arabien verdeutlicht dies den Druck, Deeskalation politisch und diplomatisch zu betreiben.
Rolle von Saudi-Arabien inmitten der Nahost-Eskalation – Stiller Architekt im Hintergrund?
Offiziell agiert Saudi-Arabien angesichts des Israel-Iran-Kriegs weitestgehend neutral, doch hinter den Kulissen scheint das Königreich als aktiver Architekt an der künftigen Gestaltung des Nahen Ostens mitzuwirken – nicht ohne Eigennutz. Riad will nicht nur Stabilität, sondern verfolgt seine eigenen diplomatischen und wirtschaftlichen Ziele in der Golfregion. Dafür ist eine Konstanz bei sicherheitspolitischen Fragen unumgänglich. Das Motto: Nicht Partei ergreifen, sondern politisches Kapital aus der Neutralität schlagen. Während andere Golfstaaten noch Raketen zählen, hat Saudi-Arabien bereits längst die Bühne betreten – als stiller Taktgeber angesichts eines drohenden Flächenbrands im Nahen Osten. (fbu)