Nach Hanija-Attentat in Teheran: Experte sieht „eine Demütigung für den Iran“
Israel hat zwei Attentate innerhalb weniger Stunden durchgeführt. Ein Experte erklärt, was die gezielten Tötungen von Israel-Feinden für die Region bedeuten.
München – Droht nach Israels tödlichen Angriffen auf zwei seiner wichtigsten Gegner in Beirut und Teheran nun eine weitere Eskalation im Nahen Osten? Unsere Zeitung hat den Direktor des Center for Middle East and Global Order (CMEG) Ali Fathollah-Nejad danach gefragt.
Herr Fathollah-Nejad, zunächst ließ Israels Antwort auf die tödliche Hisbollah-Attacke im Golan auf sich warten. Dann wurden in einer Nacht gleich zwei prominente Feinde gezielt getötet. Wie schätzen Sie nun die Lage im Nahen Osten ein?
Das ist sicher eine Eskalation. Dass zwei Top-Figuren der von Iran angeführten sogenannten Achse des Widerstands in deren eigenen Hochburgen Beirut und Teheran gezielt ausgeschaltet wurden, ist eine israelische Machtdemonstration. In Teheran waren bei der Vereidigung des iranischen Präsidenten auch noch 70 ausländische Würdenträger zugegen. Für die Islamische Republik ist es eine Demütigung, dass sie ihre Top-Gäste – nichts anderes war Hamas-Führer Ismail Hanija – nicht schützen kann. Für die Elite im Iran war das sicher ein Schockmoment.
Hat es Sie überrascht, dass Israel statt eines großen Militärschlags gegen die Hisbollah gezielt einzelne Personen angegriffen hat?
Das reiht sich ein in eine Serie von ähnlichen gezielten Tötungen seit Beginn des Gaza-Krieges, die für die sogenannte Achse des Widerstands herbe Rückschläge waren. Israels Ziel ist dabei natürlich eine möglichst große Abschreckung. Aber dieses Schwert ist auch zweischneidig. Denn schon in der Vergangenheit wurde der Druck aus der eignen Unterstützerbasis und von Verbündeten auf den zunächst noch eher zurückhaltend reagierenden Iran dadurch immer größer – und gipfelte schließlich in einem direkten Angriff des Iran auf Israel im April.
Israelisches Attentat gegen Hamas-Chef: „Strategen in Teheran zerbrechen sich gerade den Kopf darüber“
Auch diesmal kann der Iran kaum auf sich sitzen lassen, dass Israel „unseren Gast in unserem Haus ermordet“, wie der iranische Ajatollah Ali Chamenei es ausdrückt, oder?
Tatsächlich kann nun wieder ein ähnliches Szenario entstehen. Der Iran und auch die Hamas könnten unter Zugzwang geraten, falls sie nicht direkt reagieren. Ein solches Zeichen der Schwäche werden beide unter allen Umständen vermeiden wollen. Ich glaube, die Strategen in Teheran zerbrechen sich gerade den Kopf darüber, wie man das auflösen kann, ohne in einen direkten Krieg mit den USA oder Israel zu geraten.
Das will der Iran weiterhin vermeiden?
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Die Islamische Republik kann sich einen solchen Krieg nicht leisten, weil er die Stabilität und die Sicherheit des Regimes gefährden würde. Man will die USA nicht mit in einen Krieg ziehen. Und man will auch Irans Kronjuwel, die Hisbollah im Libanon, nicht in einen großen Krieg mit Israel verwickeln – denn das hieße, sie gegebenenfalls zu opfern, denn immerhin braucht man sie noch für die Zukunft.
Welche Gegenreaktionen des Iran halten Sie für möglich?
Es gibt mehrere Möglichkeiten einer iranischen Antwort. Pro-iranische Kräfte im Irak und in Syrien könnten die amerikanische Militärpräsenz dort ins Visier nehmen. Die Huthis im Jemen – die auch Teil der iranischen Achse sind – könnten Raketen auf Israel abfeuern. Dass sie dazu in der Lage sind, haben sie in der jüngsten Vergangenheit gezeigt. Die Hisbollah ist an der Nordfront zu Israel ebenfalls unter Zugzwang, auf die Ausschaltung ihres Top-Kommandeurs zu reagieren – sie wird sich dabei eng mit Teheran abstimmen. Was genau passieren wird, ist sehr schwierig zu sagen. Dazu müsste man die Kosten-Nutzen-Kalkulation des iranischen Regimes voraussehen können, das zwischen seiner Gesichtswahrung und der Stabilität der eigenen Macht abwägen muss. Was man aber sagen kann: Die Situation ist gerade sehr gefährlich.
Israels Doppelschlag gegen die pro-iranische Achse: Fuad Shukr und Ismail Hanija
Hamas-Auslandschef Ismail Hanija wurde nach Angaben der Terrororganisation nach seiner Teilnahme an der Vereidigung des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian bei einem Angriff Israels getötet, während er die iranische Hauptstadt Teheran besuchte. Hanija galt als Verfechter einer pragmatischen Linie im Konflikt mit Israel. Das Existenzrecht eines israelischen Staates erkannte die Hamas jedoch auch unter ihm nie an. Nach dem Großangriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 gab es Videoaufnahmen Hanijas, der die Bilder des sich entfaltenden Überfalls anschaut. Danach geht er zum Gebet, um „Gott für diesen Sieg zu danken“. Nur Stunden vor Hanijas Tod tötete Israels Armee nach eigenen Angaben auch den ranghöchsten Kommandeur der Hisbollah im Libanon, Fuad Schukr, den sie für den tödlichen Raketenangriff auf den Golanhöhen verantwortlich macht.
Interview: Sebastian Horsch