Podiumsdiskussion in Memmingen beleuchtet aktuelle Situation der Bäuerinnen und Bauern
Im Gedenkjahr „500 Jahre Zwölf Artikel“ diskutierten Landwirte, Politik und Verbände in Memmingen über Werte, Zukunft und Herausforderungen der Landwirtschaft.
Memmingen – Was bewegt Bäuerinnen und Bauern aktuell? Auf welche Zukunft arbeiten sie hin und welche Werte sind ihnen wichtig? Welche politischen und ökologischen Weichenstellungen stellen drängende Fragen der Stunde? Das Kulturamt der Stadt Memmingen hat im Rahmen des Gedenkjahres „500 Jahre Zwölf Artikel“ diese Fragen aufgegriffen und Landwirtinnen und Landwirte sowie Fachvertreter aus Politik und landwirtschaftlichen Interessengruppen im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Steinheimer Zehntstadel miteinander ins Gespräch gebracht.
Podiumsdiskussion beleuchtet aktuelle Situation der Bäuerinnen und Bauern
Kulturamtsleiter Sebastian Huber begrüßte die rund 60 Gäste im Dorfgemeinschaftshaus, unter ihnen etwa 30 aktive Landwirte. Der historische Anlass werfe die Frage auf: „Welche Relevanz haben die Forderungen der Bauern vor 500 Jahren für unsere Gegenwart?“ Konkret gehe es bei dieser Veranstaltung darum, den aktuellen Zustand und die Zukunft unserer Landwirtschaft und der Rahmenbedingungen zu beleuchten.
Moderatorin Dr. Veronika Heilmannseder eröffnete die Runde zunächst mit einem Impuls aus dem wenige Tage zuvor uraufgeführten dokumentarischen Theaterprojekt „Vom Mut, Bauer und frei zu sein“. Unter der Leitung von Theaterwissenschaftler Harald Holstein sprechen aktive Allgäuer Landwirte über Werte und Utopien und machen wie 1525 in den Zwölf Memminger Artikeln Vorschläge für eine bessere Zukunft.
Dieses Schauspielensemble war es auch, das die Anregung zur Podiumsdiskussion gegeben hat. In einem kurzen Auszug aus dem Theaterstück formulierte das Ensemble aktuelle Forderungen, oder besser „Werte und Utopien“. So werde ein „gemeinsamer Aufbruch“ gefordert, eine gesellschaftliche Übereinkunft von Bauern, Verbrauchern, Politik und Gesellschaft und ein Ende der gegenseitigen Schuldzuweisungen. Dazu brauche es Mut für einen Perspektivenwechsel und Denkräume für alle, unabhängig von Geldgebern. Man müsse unbedingt mehr miteinander statt übereinander reden, lautete die Quintessenz.
Podiumsrunde
In der anschließenden Podiumsrunde nahmen dann aus dem Ensemble Manfred Gabler, Landwirt aus Haldenwang, Hans-Jörg Fröhlich, Landwirt aus Lauchdorf und Alois Hofer, Landwirt aus Aufkirch Platz. Die Runde wurde komplettiert durch Regina Eichinger-Schönberger („Sorgentelefon“ der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau), Hans Foldenauer (Pressesprecher Bund Deutscher Milchviehhalter), MdL Mia Goller (Agrarpolitische Sprecherin im Bayerischen Landtag von Bündnis 90/Die Grünen), Markus Moser (Projektmanager Landwirtschaft bei der Günztal-Stiftung) und stellvertretende Kreisbäuerin Margit Rauh (auch Ortsbäuerin BBV Memmingen).
Margit Rauh ging in ihrem Eingangsstatement auf die Zwölf Artikel ein und hinterfragte deren Aktualität. Dabei stellte sie fest, dass nahezu alle Artikel in der heutigen Zeit noch Relevanz für aktuelle Fragen der Landwirtschaft haben. Als wesentliche Bedrohung für die Zukunft der Landwirtschaft sehe sie die große Angst, die gerade junge Bauern umtreibe, in öffentlichen Medien an den Pranger gestellt zu werden. Das sei für viele der Grund aufzugeben. Mia Goller erwiderte, dass sie sowohl aus dem Impuls des Ensembles als auch aus dem Statement von Margit Rauh die Forderung nach Brüderlichkeit und Zusammenhalt heraushöre. Ihr sei vor allem das Thema „Planungssicherheit“ wichtig. Jeder Landwirt soll sein eigener Herr sein und die Politik solle nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg Verordnungen erlassen, ohne den Berufsstand dazu gehört zu haben.
Hans Foldenauer bemängelte, dass es zwar die geforderten Gesprächsräume zumindest auf Verbandsebene bereits gebe, sehr häufig aber die Ergebnisse keinen Einfluss in der Politik fänden. „Die Ausrichtung der europäischen Agrarpolitik muss verändert werden. Wieder hin zu mehr regionalen Kreisläufen und Vermarktungsstrukturen“, forderte Foldenauer. Das Haupteinkommen der Bauern müsse wieder aus dem Verkauf ihrer Produkte kommen und nicht aus Ausgleichszahlungen aus Steuergeldern.
Modellprojekt „Günztaler Weiderind“
Markus Moser beschrieb in diesem Zusammenhang das Modellprojekt „Günztaler Weiderind“ der Günztal-Stiftung, in dem regionales Wirtschaften wieder möglich werde. Die Stiftung stehe dabei für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Verbänden, Kommunen, Unternehmen, Bürgern und der Landwirtschaft. Im Projekt werde das „Original Braunvieh“, eine ursprüngliche und fast vergessene Rinderrasse des Allgäus, im Günztal als Landschaftspfleger eingesetzt. Mit der extensiven Beweidung entstehe ein größerer Strukturreichtum auf den Flächen, da die Tiere Pflanzen unterschiedlich abweiden, mit ihren Tritten für offene Stellen sorgen und ein Kuhfladen ein neues kleines Biotop ist.
Regina Eichinger-Schönberger berichtete aus ihrer Praxis am Sorgentelefon, dass viele Landwirte über die hohe Arbeitsbelastung klagen und den Tagesalltag nicht mehr schaffen. Und gerade auch Jungbäuerinnen und Jungbauern trauten sich nicht mehr zu, den elterlichen Betrieb zu übernehmen.
Moderatorin Veronika Heilmannseder öffnete anschließend die Runde mit weiteren Stimmen aus dem Publikum, die sich teils kritisch zu den dargelegten Haltungen äußerten. Dabei wurde deutlich, dass es wohl „die“ Landwirtschaft nicht gibt, sondern jeder Betrieb individuelle Herausforderungen habe. Der eine Betrieb kämpfe mit den Regularien der Düngeverordnung, ein anderer mit der teilweise nicht umsetzbaren Forderung nach mehr Weidehaltung und der dritte mit der überbordenden Bürokratie. Entscheidend sei, dass Verbraucher, Politik und Landwirte viel stärker ins Gespräch miteinander kommen, um Vorurteile abzubauen und falsche, einseitige Bilder zu relativieren.
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