China will weltweiten Rückzug der USA nutzen: „Europa wird zerrieben zwischen Großmächten“
Unter Donald Trump verabschieden sich die USA von ihrer Rolle als weltweite Führungsmacht. Zurück bleiben Leerstellen, die China nur zu gerne besetzt.
Kaum im Amt, kündigte Donald Trump das Pariser Klimaschutzabkommen auf. Auch die internationale Entwicklungszusammenarbeit will der neue US-Präsident beenden. „Unter Trump verlassen die USA zunehmend die regelbasierte Ordnung der Nachkriegszeit. Die Welt kehrt also zu einem sehr fragilen System zurück, in dem alleine die Macht des Stärkeren zählt“, sagt Julia Gurol-Haller vom German Institute for Global and Area Studies. „In dieser neuen Welt wird China versuchen, seine Einflusssphären auszuweiten.“
Frau Gurol-Haller, unter Donald Trump werden die USA zunehmend zur isolationistischen Macht, das Land zieht sich aus vielen internationalen Institutionen zurück. Wird China diese Lücken füllen?
Wir haben schon während der ersten Trump-Präsidentschaft einen Rückzug der USA gesehen. Beispielsweise ist das Land damals zum ersten Mal aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen. Heute geht Trump allerdings viel systematischer vor, sodass in ganz vielen Bereichen Leerstellen entstehen, die China füllen könnte. Peking nutzt das nun, um die traditionelle westliche Hegemonie zu unterwandern. Wir sehen zwischen China und den USA also nicht mehr nur einen Wettkampf in Handelsfragen und um technologischen Vorsprung. Sondern auch einen Wettkampf der Ideen und um die Vorstellung, wie die globale Weltordnung aussehen soll.
Will China die USA als Führungsmacht ersetzen?
Nein, das glaube ich nicht. China geht es auch nicht darum, die regelbasierte internationale Ordnung zu zerstören, so wie das Russland anstrebt. Auch in China sehen viele die UN als zentralen und wichtigen Bestandteil der internationalen Ordnung. Vielmehr will China die Regeln ändern, nach denen gespielt wird. Das heißt, Peking will eine stärker China-zentrierte Weltordnung schaffen, in der die USA zwar nicht ersetzt werden, in der aber China die dominierende Macht ist.
Zur Person
Julia Gurol-Haller ist Research Fellow beim German Institute for Global and Area Studies in Hamburg. Sie forscht unter anderem zur chinesischen Außenpolitik und zu globalem Autoritarismus.

„China nutzt das von den USA geschaffene System, um es von innen heraus zu verändern“
Wie sieht das konkret aus?
Wir sehen schon seit Jahren zwei parallele Entwicklungen. Zum einen operiert China innerhalb der bestehenden Strukturen: Peking will den eigenen Einfluss im UN-System ausbauen und dort eigene Regeln und Normen setzen. China nutzt das bestehende, vor allem von den USA geschaffene System, um es von innen heraus zu verändern.
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Und die zweite Entwicklung?
Parallel dazu sehen wir, wie neue Institutionen entstehen, die ähnliche Aufgaben übernehmen wie die bestehenden – zum Beispiel die Asian Infrastructure Investment Bank oder die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Mit dem Unterschied, dass dort China den Ton angibt.
Ist China heute besser auf Trump vorbereitet als noch vor acht Jahren?
Ja, auf jeden Fall. Das sieht man zum Beispiel daran, wie China auf die neuen Trump-Zölle reagiert hat …
Trump hat Zusatzzölle in Höhe von zehn Prozent auf Importe aus China erlassen, Peking hat darauf unter anderem mit Zöllen auf Kohle und Flüssigerdgas reagiert.
Damit hat die chinesische Regierung weitaus zurückhaltender reagiert als während des Handelskriegs in Trumps erster Amtszeit. China signalisiert so einerseits Stärke, andererseits aber auch Kompromissbereitschaft, und scheint darauf bedacht zu sein, kurzfristig möglichst wenig Schaden anzurichten und gleichzeitig die Bandbreite der möglichen Reaktionen aufzuzeigen. Denn China befindet sich in einer viel schwächeren Position als 2018, als Präsident Trump seinen ersten Handelskrieg begann. Die chinesische Wirtschaft ist mehr denn je von Exporten abhängig, gleichzeitig stagniert das Wirtschaftswachstum. In einem erneuten Handelskrieg gäbe es also nur Verlierer.

„China wird auch liefern müssen“
Wo verfängt das Narrativ von China als angeblichem Hüter der regelbasierten Ordnung?
Vor allem in Ländern des Globalen Südens. Dadurch, dass sich China als alternativer Partner in Stellung bringt, haben diese Länder mehr Möglichkeit, zwischen verschiedenen Kooperationspartnern zu wählen. Viele dieser Länder empfinden die amerikanisch geprägte Weltordnung und die Dominanz der USA schon lange als ungerecht und sehen sich den bestehenden internationalen Institutionen nicht angemessen repräsentiert und fordern daher deren Reform.
Aber kann China das Versprechen überhaupt einlösen, die USA in vielen Bereichen als Führungsmacht abzulösen?
Natürlich reicht es nicht, wenn China jetzt mit Floskeln um sich wirft. China wird auch liefern müssen. Nehmen wir den Klimaschutz. Donald Trump hat am ersten Tag seiner Präsidentschaft das Pariser Klimaschutzabkommen verlassen, woraufhin China sich sofort als verlässlicher Partner präsentiert hat, der weiter zu dem Abkommen steht. Das klingt erstmal sehr gut. Aber China ist eben auch der weltweit größte Emittent von Treibhausgasen und verbraucht mehr Kohle als jedes andere Land.
Was folgt daraus?
Nur wenn China es schafft, seine Emissionen zu senken, sinken auch die globalen Emissionen. Sollte das tatsächlich gelingen, wäre das für Peking eine Chance, eine Führungsrolle in der globalen Klimapolitik zu übernehmen. Wenn nicht, macht sich China unglaubwürdig.
„Auch bei der Entwicklungszusammenarbeit bringt sich China in Stellung“
Donald Trump will auch USAID schließen, die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit.
Entwicklungszusammenarbeit ist ein Bereich, in dem China bislang ein eher irrelevanter Akteur ist. Von China finanzierte Aktivitäten machen bisher nur einen Bruchteil der UN-Entwicklungsarbeit aus, hier sehen wir vor allem westliche Geldgeber. China hat außerdem sehr wenig Erfahrung, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen oder der Verteilung humanitärer Hilfe in Konfliktgebieten. Das sind klassische Aufgaben von USAID. Aber auch hier entsteht durch den Rückzug der USA eine Leerstelle, die China langfristig stärker füllen könnte. Wir sehen bereits, dass sich China auch hier in Stellung bringt.
Haben Sie ein Beispiel?
China hat zuletzt angekündigt, beispielsweise in Nepal Projekte in den Bereichen Bildung und Gesundheit zu unterstützen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass China kurzfristig die wegfallenden USAID-Mittel ersetzen kann und wird.
Welche Rolle kann China bei der Bewältigung von Krisen wie etwa im Nahen Osten spielen?
Im Nahen Osten treten bislang die USA als Sicherheitsgarant auf. Das ist eine Rolle, die China nicht ausfüllen kann. Schon alleine, weil China kaum Erfahrung hat in Bereichen wie Mediation oder Peacekeeping. Trotzdem wird Peking versuchen, sich auch in der internationalen Sicherheitspolitik stärker in Stellung zu bringen. Das zeigt auch die Globale Sicherheitsinitiative, die Xi Jinping 2022 verkündet hat. Ein Grund dafür sind die weltweiten wirtschaftlichen Interessen Chinas, etwa im Rahmen der Neuen Seidenstraße.
Bislang ist die chinesische Haltung: Wir mischen uns nicht in innere Angelegenheiten anderer Länder ein.
China wird diese Haltung ein Stück weit über Bord werfen müssen. Weil Peking gezwungen sein wird, in Kriegs- oder Krisengebieten zu intervenieren, um seine Investitionen dort zu schützen. Diese Haltung: uns interessieren nur wirtschaftliche Interessen, ansonsten bleiben wir apolitisch – das wird China nicht mehr aufrechterhalten können, wenn sich die USA immer weiter zurückziehen.
Welche Folgen hat das?
Unter Trump verlassen die USA zunehmend die regelbasierte Ordnung der Nachkriegszeit. Die Welt kehrt also zu einem sehr fragilen System zurück, in dem alleine die Macht des Stärkeren zählt. In dieser neuen Welt wird China versuchen, seine Einflusssphären auszuweiten. Für uns als Europäer entsteht so eine wahnsinnig schwierige Situation, wir werden quasi zerrieben zwischen diesen zwei Großmächten. In Zukunft werden wir uns ganz genau überlegen müssen, was eigentlich unsere eigenen Interessen sind und in welchen Bereichen wir mit den USA kooperieren und wo mit China.