Vor 80 Jahren: US-Soldaten befreiten KZ-Häftlinge aus einem Güterzug bei Iffeldorf - ein Buch bringt Licht ins Dunkel

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Das historische Bild zeigt die Hofmark in Iffeldorf, links der ehemalige Gasthof Alte Post (heute Limnologische Station der TU München). In den Häusern an der Hofmark wurden damals KZ-Häftlinge einquartiert. © Gemeinde Iffeldorf

Am 30. April 1945 befreiten US-Soldaten bei Iffeldorf rund 2400 jüdische KZ-Häftlinge, viele mehr tot als lebendig, aus einem Güterzug. Die Soldaten quartierten den größten Teil in Iffeldorf ein. Was damals geschah und lange ein blinder Fleck in der Dorfgeschichte blieb, hat Hans-Gunther Hoche recherchiert. Es entstand das Buch „Moses in Iffeldorf“.

Die SS versuchte 1945 am Ende des Krieges, die Häftlinge aus den Konzentrationslagern zu Fuß und in Güterzügen ins KZ Dachau und in dessen Außenlager und von da weiter ins Ötztal zu bringen, um sie dort als Arbeitssklaven und menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Mehrere Züge rollten durchs Oberland. Einer davon, mit rund 2400 jüdischen KZ-Häftlingen, strandete nahe dem Bahnhof Iffeldorf-Staltach. Weil Bahnstrecken unpassierbar waren, war der Zug erst auf der damaligen Isartalbahnstrecke nach Bichl gefahren. Auf der Kochelseebahnstrecke sollte er weiter nach Tutzing und von dort Richtung Süden. Er kam nur bis Iffeldorf. US-Soldaten befreiten die KZ-Häftlinge.

Viele Menschen waren mehr tot als lebendig

Es waren unbeschreibliche Zustände. Viele Menschen waren mehr tot als lebendig. Andere überlebten den Transport nicht. An manchen Tagen soll es weder Essen noch Wasser gegeben haben. Sie wurden von ihren Peinigern beschimpft und geschlagen. Die Viehwaggons waren so voll, dass sich die Menschen nicht hinlegen konnten, so der Bericht eines polnischen Häftlings. Viele Waggons hatten kein Dach. Über den Köpfen war Stacheldraht gespannt, durch den es regnete und schneite.

Zusammengetragen hat dies alles Hans-Gunther Hoche. Der 79-Jährige, geboren in Baden-Württemberg, der viele Jahre in den USA und in Brasilien gelebt hat, bei der Lufthansa arbeitete und 2009 von München nach Iffeldorf zog, hat die Daten von 460 Häftlingen ausgewertet, mit einigen Telefoninterviews geführt, Kontakte zu drei ehemaligen US-Soldaten geknüpft und in Iffeldorf mit neun Zeitzeugen gesprochen. Aus der akribischen Recherche ist das Buch „Moses in Iffeldorf“ entstanden. Hoche erzählt von den Ereignissen nüchtern, was das Buch zu einer erschütternden Lektüre macht. Im Epilog hatte er zudem die Lebensgeschichte von elf KZ-Häftlingen und einem US-Soldaten in Kurzbiografien zusammengefasst.

Recherche begann vor 15 Jahren

Hans-Gunther Hoche begann bereits vor 15 Jahren mit seinen Recherchen. Als er nach Iffeldorf zog, habe er sich dem Iffeldorfer Konzertchor von Andrea Fessmann angeschlossen, erzählt er. Bei einer Chorprobe habe jemand „Judengräber“ in Iffeldorf erwähnt. „Das hat meine Neugier geweckt.“ Er habe damals aber gemerkt, dass in Iffeldorf darüber nicht viel Wissen vorhanden ist. Hans-Günther Hoche begann zu forschen. Ein Jahr später hielt er in Iffeldorf einen ersten Vortrag über den KZ-Todeszug. „Mit relativ wenig Daten“, wie er zugibt. Er habe damals nur Informationen von sieben Frauen und zwei Männern aus Iffeldorf gehabt, nicht von ehemaligen Häftlingen.

US-Soldaten befreiten die KZ-Häftlinge

Als die jüdischen KZ-Häftlinge am 30. April 1945 aus dem Güterzug befreit wurden, schickten US-Soldaten den größten Teil der ausgemergelten, kranken Menschen, etwa 1800 bis 2000, nach Iffeldorf, um sich dort einzuquartieren. Die Soldaten erlaubten ihnen auch, 48 Stunden lang zu plündern. Iffeldorf selbst hatte damals etwa 900 Einwohner.

„Meine Idee war, herauszufinden, was passiert ist, als die zwei Menschengruppen aufeinandertrafen“, sagt Hoche. Auf der einen Seite die Iffeldorfer, die verängstigt waren und nicht wussten, wie ihnen geschah. Mit sieben Frauen und zwei Männern führte er Interviews. „Meine Gesprächspartner waren sehr offen“, sagt Hoche. Auf der anderen Seite die jüdischen Häftlinge aus einer anderen Kultur und mit einer anderen Sprache, Menschen, die dem Tod entronnen, aber traumatisiert und entwurzelt waren. Mit ihnen nach so vielen Jahren Kontakt zu knüpfen, war ungleich schwieriger. Hoche recherchierte in Archiven des ehemaligen KZ Dachau und des Internationalen Roten Kreuzes. Die größte Quelle war aber das Archiv der 1994 von US-Regisseur Steven Spielberg gegründeten Shoah Foundation. Einen direkten Zugang erhielt Hoche über das Institut für Zeitgeschichte in München. Er sammelte dadurch Daten von 460 der rund 2400 KZ-Häftlinge, die in Iffeldorf gestrandet waren. Mit einigen konnte er Telefoninterviews führen. Zwei leben ihm zufolge noch, beide in den USA. Der eine werde im September 100, so Hoche.

„Moses in Iffeldorf“ heißt das Buch, das Hans-Gunther Hoche über die KZ-Häftlinge geschrieben hat, die im April 1945 in Iffeldorf strandeten. Iffeldorf - 4/2025
„Moses in Iffeldorf“ heißt das Buch, das Hans-Gunther Hoche über die KZ-Häftlinge geschrieben hat. © Wolfgang Schörner

Was vor 80 Jahren in Iffeldorf geschah, als die KZ-Häftlinge ins Dorf kamen, hat der Autor anhand dieser Zeitzeugen-Aussagen nachgezeichnet. „In der ersten Zeit war bei uns wirklich alles voll, überall sind sie gelegen, hier und dort, im Haus und auf der Tenne. Dort oben waren hundert. Im Schlafzimmer meiner Eltern haben Sechse aus den Betten rausgeschaut. Polnische und ungarische Juden. Gemischt Jung und Mittelalter. Auf der Tenne waren Männer. Sonst hauptsächlich Frauen.“ So berichtet es die Tochter eines Bauern in der Hofmark.

Zwei Brüder, heißt es in dem Buch, brachen damals in die Sparkasse ein und nahmen Geldscheine mit. Nicht um sich zu bereichern, sondern um damit Feuer zu machen und zu kochen. Hoche schreibt, dass die befreiten Häftlinge die Kleiderschränke plünderten, um die „verfluchten Zebrauniformen“ loszuwerden. Aus einem Pavillon an der Hofmark, der einst Turnhalle und Theatersaal war und im Krieg einem Münchner Händler als Lagerstätte seiner Schuhkollektion diente, versorgten sie sich mit fabrikneuen Schuhen. Es hätten sich aber nicht alle an Plünderungen beteiligt, selbst in dieser extremen Situation nicht, schreibt Hoche.

Die Essensausgabe organisierten damals der Bürgermeister und US-Soldaten. Nachts herrschte Ausgangssperre. Anfang Mai brach Typhus aus. Und es kam mit der Zeit immer mehr zu Konflikten zwischen den Einwohnern, die ihre Höfe und Häuser verlassen mussten, und den befreiten Häftlingen. Hoche berichtet in seinem Buch aber auch von positiven Erfahrungen. Es entwickelten sich Freundschaften.

Fünf Wochen lebten die Befreiten im Dorf

Nach etwa fünf Wochen brachten die Amerikaner die ersten befreiten Häftlinge mit Armeebussen und Lastwagen ins Displaced-Person-Lager nach Feldafing, einige auch ins DP-Lager Föhrenwald (heute Waldram) bei Wolfratshausen und nach Landsberg. Von dort wanderten viele in die USA oder nach Israel aus, andere nach Kanada, Brasilien, Südafrika und Australien.

Zurück blieben damals Gräber. Im Güterzug selbst waren 17 Menschen gestorben (weitere später an Typhus). Sie wurden in Iffeldorf in Sichtweite der Gleise beerdigt. Er habe im Iffeldorfer Sterberegister nachgeschaut und herausgefunden, dass bis auf zwei alle namenlos registriert waren, erzählt Hoche. Registriert waren aber die Nummern, die den Toten von der SS auf die Arme tätowiert worden waren. So konnte Hoche über das Internationale Rote Kreuz alle Namen herausfinden. Einige andere Menschen wurden in Antdorf und Penzberg begraben. Wie viele es waren, vermag Hoche nicht zu sagen. Sie wurden später umgebettet und bei der Gedenkstätte in Dachau beerdigt.

Detektivarbeit: Die Suche nach Lili

Die befreiten KZ-Häftlinge zu finden, war nicht einfach. Es war Detektivarbeit. Hoche erzählt, dass in Iffeldorf vor allem sehr junge Leute ankamen, zwischen 20 und 30 Jahren. Als sie später auswanderten, änderten sie meist ihre Namen, die Frauen durch Heirat, die Männer, weil sie ihre Namen zum Beispiel amerikanisierten. Hoche entdeckte, dass in Iffeldorf auch drei Mädchen mit den Namen Lili, Olga und Ella Weisz gestrandet waren, von denen Lili – so wurde sie beschrieben – auffallend rote Haare hatte. Ihren Weg habe er nur bis Feldafing verfolgen können. Von dort sei sie nach New York ausgewandert. „Es war weniger als eine Nadel im Heuhaufen.“ Doch Hoche hatte Glück. Er habe jüdische Magazine aus den USA abonniert und eines Tages zufällig einen Leserbrief gelesen, in dem eine Frau schrieb, dass ihre Schwester in Iffeldorf befreit worden sei und sie unter den Lesern nach ehemaligen US-Soldaten suche, die damals dabei waren. Unterschrieben habe sie mit Lili Levinson, erzählt Hoche. War es Lili mit den roten Haaren? Hoche schaute im New Yorker Telefonbuch nach, fand fünf Lili Levinsons und schrieb ihnen allen. Eine antwortete. Es war Lili mit den roten Haaren.

Das Buch „Moses in Iffeldorf“ (176 Seiten) von Hans-Gunther Hoche ist im Hartung-Gorre-Verlag Konstanz erschienen. Preis 19,95 Euro; ISBN 978-86628-831-7. Erhältlich ist es auch als E-Book.

Gedenkstunde

Die Gemeinde Iffeldorf veranstaltet am Donnerstag, 8. Mai, eine Gedenkstunde zum 80. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung der rund 2400 KZ-Häftlinge bei Iffeldorf. Die Gedenkstunde im Bürgersaal beim Rathaus beginnt um 18.30 Uhr mit einem ökumenischen Friedensgebet. Hans-Gunther Hoche wird zudem sein Buch „Moses in Iffeldorf“ vorstellen, das dort auch erworben werden kann. Die Bevölkerung ist dazu eingeladen. Bürgermeister Hans Lang teilte dazu mit, dass sich die Gemeinde bewusst sei, welch unschätzbaren Dienst der Autor ihr mit seinen Forschungen erwiesen hat. Er habe namenlosen Menschen und auch den Toten mit den eintätowierten Nummern einen Namen gegeben sowie einen leeren Fleck der Dorfgeschichte mit den Erzählungen der Zeitzeugen gefüllt.

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