Im Kern geht es um die Frage, ob ausreisepflichtige terroristische Gefährder oder Straftäter unbefristet in Abschiebehaft verbracht werden dürfen, um ihr Abtauchen zu verhindern. Dazu müsste Deutschland sein Gesetz ändern.
Gefährder und Straftäter tauchen vor Abschiebung ab
Zuletzt hatte der Fall des IS-Attentäters Issa al Hasan Schlagzeilen gemacht, der in Solingen drei Menschen ermordet hat und sich zuvor der Abschiebung entzogen hatte.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte daher den Vorschlag gemacht, die Abschiebehaft in solchen Fällen auf 24 Monate zu verlängern und bei gefährlichen Personen im Zweifel zu entfristen. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) – zugleich Sprecher aller SPD-geführten Innenministerien – übt scharfe Kritik: „Eine unbefristete Freiheitsentziehung ohne Aussicht auf tatsächliche Abschiebung wäre zweifellos verfassungswidrig“, sagte sein Sprecher der „Welt am Sonntag“.
FOCUS online hat dazu jetzt alle Bundesländer nach ihrer Rechtsauffassung gefragt.
Die Antworten zeigen: Die meisten – auch SPD-geführten Bundesländer – sind offen für eine neue Regelung.
Grüne Ministerin: Bund soll Dauer-Gewahrsam schaffen
Für das Land Rheinland-Pfalz schreibt das Integrationsministerium der Grünen-Politikerin Katharina Binz FOCUS online: "Für Ausländer, die ausreisepflichtig sind und schwer straffällig werden oder von denen eine besondere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder eine terroristische Gefahr ausgeht, muss der Bund allerdings die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, diese Ausreisepflichtigen solange in Gewahrsam nehmen zu können, bis diese Personen selbstständig das Land verlassen oder abgeschoben werden können."
Zustimmung für Dobrindt aus grünem Baden-Württemberg
Für das grün-schwarz regierte Land Baden-Württemberg, das sich seit langem für „Ausreisezentren“ einsetzt, antwortet das Migrationsministerium auf die FOCUS-online-Anfrage. Staatssekretär Siegfried Lorek (CDU): "Wir haben uns daher bereits in der Vergangenheit dafür eingesetzt, ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder in Ausreisezentren unterzubringen, um deren Aufenthalt in Deutschland effektiv zu beenden. Die Initiative von Bundesminister Dobrindt unterstütze ich ausdrücklich.“
SPD-Länder sind offen für Dobrindts Pläne
Während die SPD-Innensenatorin von Berlin die Ablehnung ihres Hamburger SPD-Kollegen teilt, sind die anderen SPD-geführten Länderministerien durchaus offen. Es komme vor einer Bewertung auf den konkreten Gesetzesvorschlag an, schreibt etwa das SPD-geführte Innenministerium des Saarlands: "Bei der Beantragung und Anordnung von Abschiebungshaft gilt es insbesondere verfassungsrechtliche Hürden zu beachten. Vor diesem Hintergrund bleibt vor einer Bewertung und Folgenabschätzung zunächst der konkrete Gesetzesvorschlag abzuwarten.“
Das SPD-Innenministerium von Niedersachsen schreibt, ob Dobrindts Vorschlag sich umsetzen lasse, hänge stark vom konkreten Gesetzestext ab: "Die rechtlichen Hürden für einen unbefristeten Freiheitsentzug dürften jedoch ausgesprochen hoch sein.“
Auch das Bremer Innenministerium schreibt, eine Bewertung des Vorschlags könne nur angesichts konkreter Vorschläge erfolgen. Für Straftäter gebe es überdies die Möglichkeit einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung.
Das Innenministerium des SPD-regierten Landes Brandenburg schreibt: "Maßnahmen zur Optimierung von Rückführungen – insbesondere von Straftätern und Gefährdern – werden grundsätzlich begrüßt.“ Generell solle sich der Bund stärker engagieren – etwa durch ein "Bundesausreisezentrum.“
Sächsischer Innenminister Schuster bringt neues Argument ein
Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) weist die verfassungsrechtliche Kritik aus Hamburg zurück. Gegenüber FOCUS online sagt er: "Man darf nicht vergessen, dass der Ausreispflichtige die Freiheitsbeschränkung jederzeit selbst beenden kann, indem er schlicht und einfach Deutschland verlässt.“ Wer aus der Haft raus will, kommt raus, muss aber ausreisen.
Die Abschiebehaft ähnele der Beugehaft und sei eben kein Freiheitsentzug wie in der Strafhaft, so Schuster: "Die Abschiebehaft ist kein Übel, das der Staat dem Betroffenen mutwillig zufügt, sondern dient der Umsetzung einer Pflicht, die allein ihn selbst trifft.“ Daher begrüße Sachsen Dobrindts Vorschlag, der die Erfolgsaussichten von Rückführungen verbessere. Auch alle anderen befragten Unions-regierten Länder äußerten sich gegenüber FOCUS online positiv.
Das Bundesinnenministerium schreibt FOCUS online, dass der Vorstoß Dobrindts auf einem Vorschlag der EU-Kommission für eine Rückkehrverordnung fuße. Wie zahlreiche andere EU-Innenminister unterstütze er den Vorschlag für die Verordnung.