Machtkampf in Kiew: Was Klitschkos Kritik an Selenskyj bedeutet

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Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, fordert vom ukrainischen Präsidenten mehr Transparenz. © Gonchar/Getty Images

Bürgermeister Klitschko kritisiert den ukrainischen Präsidenten Selenskyj – Expertin: „Er bringt sich in Stellung für eine spätere Zeit etwa nach dem Krieg oder wenn Wahlen anstehen.“

München – Es scheint, als würde sich die beiden nicht kennen. Treffen oder Telefonate finden seit Kriegsbeginn nicht statt. Gemeinsame Bilder existieren nicht. Nicht einmal ein Händeschütteln.

Dabei würde man meinen, dass der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew und der ukrainische Präsident gelegentlich aufeinandertreffen, in Kriegszeiten sogar zusammenarbeiten. Aber zwischen Bürgermeister Vitali Klitschko und Präsident Wolodymyr Selenskyj herrscht politische Eiszeit.

Mit dem Ukraine-Krieg sind innenpolitische Querelen in der Ukraine in den Hintergrund gerückt. Seither wird ein Bild eines Landes gezeichnet, das sich vor dem gemeinsamen Feind Russland eint. Kritik gibt es nur hinter vorgehaltener Hand. Doch der Krieg verschleißt die Gesellschaft, der Frust wächst. Die leise Opposition wird plötzlich lauter.

Klitschko: „Es gab zu viele Informationen, die sich mit der Realität nicht deckten“

Ungewöhnlich harsch ist der ehemalige Box-Weltmeister Vitali Klitschko jetzt seinen Präsidenten Selenskyj angegangen. „Die Leute fragen sich, wieso wir auf diesen Krieg nicht besser vorbereitet waren“, sagte Klitschko jüngst dem schweizerischen Nachrichtenportal „20 Minuten“. Klitschko fordert mehr Transparenz. Selenskyj solle sich ehrlich machen. „Es gab zu viele Informationen, die sich mit der Realität nicht deckten“, kritisiert Klitschko.

Wolodymyr Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte auch immer wieder Klitschko. © Efrem Lukatsky/AP

Während er die Ukraine im Krieg in einer Sackgasse wähnt, hält Selenskyj an einer anderen Erzählung fest. „Momentan setzt er sehr stark auf einen Sieg der Ukraine und sieht diesen Sieg in ziemlich starren Kategorien“, sagt Susan Stewart, Expertin für ukrainische Innenpolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Doch nach einem Sieg sieht es gerade nicht aus. Klitschko warnt jetzt sogar vor einer Autokratie. „Mit dem Krieg gab es in der Ukraine eine erhebliche Zentralisierung von Entscheidungsträgern“, sagt Stewart. „Für Kriegssituationen ist das nicht unüblich, allerdings prägt diese Zentralisierung Selenskyj für sein mögliches Verhalten nach dem Krieg.“

Parteien in der Ukraine sind wenig ideologisch geprägt

Wie es für Selenskyj einmal weitergeht, hängt also auch vom Ende des Krieges ab. „Bestimmte Personen wie etwa Vitali Klitschko versuchen sich in Stellung zu bringen – für eine spätere Zeit etwa nach dem Krieg oder wenn Wahlen anstehen“, sagt Stewart. So wirkt Klitschkos Prognose, Selenskyj werde für seine Fehler zahlen, fast wie ein Wahlkampfversprechen.

Allein aus parteipolitischer Sicht kommen die beiden Männer nicht wirklich zusammen. Klitschko ist Mitgründer der Udar-Partei. Würde die Ukraine in die Europäische Union (EU) aufgenommen werden, wäre die Udar-Partei Teil der Europäischen Volkspartei (EVP) – ebenso wie die CDU. Selenskyjs Partei Sluha Narodu dagegen wäre Teil der europäischen Liberalen – wie die FDP. Doch die Parteienlandschaft in der Ukraine ist nicht mit der in Deutschland zu vergleichen. Der konservative Teil der Opposition ist zersplittert. „In der Ukraine sind die Parteien selten ideologisch geprägt, im Sinne parteipolitischer Positionen“, sagt Ukraine-Expertin Stewart. „Die Parteien haben sich eher um Persönlichkeiten herumgebildet.“

Es ist also ein Machtkampf zwischen Selenskyj und Klitschko. Schon 2019 – vor Kriegsbeginn – wollte Selenskyj Klitschko entmachten. Das Anti-Korruptionsbüro ermittelte. Und auch im Krieg kritisierte der Präsident Kiews Bürgermeister für die Sicherheitslage in der Hauptstadt.

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