Soll mehr Investitionen erlauben - Auch CDU will jetzt Reform: Drei Ideen für eine neue Schuldenbremse

Was ist die Schuldenbremse überhaupt?

Die Schuldenbremse ist eine Regelung im Grundgesetz, die 2009 von der Föderalismuskommission von Bund und Ländern beschlossen wurde. Sie soll die strukturelle Neuverschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte begrenzen. Strukturell bedeutet in diesem Fall unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung und unabhängig von Sondereffekten wie Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen.

Die strukturelle Neuverschuldung darf demnach pro Jahr nur 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Letzteres lag im vergangenen Jahr bei 4,19 Billionen Euro, die zulässige Neuverschuldung für den Bundeshaushalt läge also bei 14,6 Milliarden Euro. Hinzu kommt eine Formel, die in konjunkturell schwachen Zeiten wie derzeit höhere Schulden erlaubt und in Zeiten des Aufschwungs niedrigere Grenzen setzt. Demnach liegt die zulässige Neuverschuldung für dieses Jahr bei 39 Milliarden Euro und dürfte wegen der schwachen Konjunktur in einem Nachtragshaushalt auf rund 50 Milliarden Euro erhöht werden.

Für außergewöhnliche Krisenbelastungen sind zudem Ausnahmen von der Schuldenbremse zulässig. Davon hat die Bundesregierung beispielsweise während der Corona-Krise in den Jahren 2020 bis 2022 Gebrauch gemacht, um die zahlreichen Konjunkturprogramme zu finanzieren.

Was ist das Problem mit der Schuldenbremse?

Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Ausgaben, die ein Staat tätigen kann: Gegenwartsausgaben und Zukunftsausgaben. Zu ersteren zählen alle Ausgaben, die unmittelbar wirken und keine langfristigen Auswirkungen haben. Dazu zählen beispielsweise Sozialausgaben oder Steuererleichterungen. Letztere werden auch trivial als Investitionen bezeichnet. Der Ausbau eines Ladenetzes für Elektroautos beispielsweise hat heute nur einen geringen Effekt, wird aber in Zukunft enorm wichtig sein und dann auch zu höheren Einnahmen führen. Politiker neigen naturgemäß dazu, eher kurzfristig wirkende Ausgaben zu bevorzugen, weil deren positive Effekte Wählerstimmen sichern. Genau dies soll durch die Schuldenbremse eingeschränkt werden.

Politiker fast aller Parteien sind sich einig, dass die Schuldenbremse eine Bundesregierung derzeit an Investitionen hindern würde, weil sie nicht zwischen Investitionen und kurzfristigen Ausgaben unterscheidet. „Die Schuldenbremse ist eine Wachstumsbremse“, sagt etwa Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). „Investitionen können innerhalb der geltenden Schuldenregel nicht ausreichend getätigt werden“, sagt SPD-Fraktionsvize Achim Post. Die CDU äußert sich vorsichtiger, ist aber ebenfalls bereit, über eine Reform der Schuldenbremse zu sprechen, die mehr Investitionen ermöglicht. Im Kern geht es darum, dass für wichtige Zukunftsprojekte wie Klimaschutz, Dekarbonisierung und Digitalisierung hunderte Milliarden Euro benötigt werden, die mit der aktuellen Schuldenbremse nicht möglich sind. Sie gelten aber auch nicht als außergewöhnliche Umstände, die Ausnahmen von der Regel rechtfertigen würden.

Wirtschaftswissenschaftler sehen das Problem differenzierter. So argumentiert der Chef des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, dass das heutige Problem nicht aus der Schuldenbremse resultiere, sondern daraus, dass die Bundesregierungen der vergangenen 15 Jahre notwendige Investitionen vernachlässigt hätten und sich die Kosten nun auftürmten. Dies könne zwar durch eine Reform gelöst werden, sei aber nicht zwingend notwendig.

Wie könnte man die Schuldenbremse reformieren?

Diese Frage diskutieren Ökonomen in Deutschland spätestens, seit im vergangenen Jahr die Diskussion um die Schuldenbremse Fahrt aufgenommen hat. Auslöser war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds und zu Sondervermögen im Allgemeinen vor rund einem Jahr, das ein plötzliches Loch von 60 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt riss.

Die „Goldene Regel Plus“

Der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hatte bereits vergangenes Jahr einen Vorschlag erarbeitet. Sie basiert auf der „Goldenen Regel“, die in Deutschland vor Einführung der Schuldenbremse galt. Damals wurden die Kredite für Bruttoinvestitionen nicht auf die Neuverschuldung angerechnet. Bruttoinvestitionen sind alle Ausgaben, die der Staat tätigt, die wertsteigernd sind, also etwa für die Infrastruktur oder in Sachgüter.

Die Goldene Regel hatte zwei Probleme: erstens, dass sie viele Ausnahmen zuließ, die zudem oft vage definiert waren und daher von den Bundesregierungen leicht ausgenutzt werden konnten, und zweitens, dass durch die Fokussierung auf die Bruttoinvestitionen auch die Instandhaltung schuldenfrei war. Im Ergebnis war die Regel damit weitgehend wirkungslos, weshalb eben die Schuldenbremse beschlossen wurde. 

Der wissenschaftliche Beirat schlägt nun eine strengere „Goldene Regel Plus“ vor. Dabei sollen nur noch Nettoinvestitionen von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Nettoinvestitionen sind alle Ausgaben des Staates für die Infrastruktur oder den Erwerb von Sachgütern abzüglich des Wertverlustes bestehender Anlagen. Also vereinfacht gesagt, wenn der Staat eine neue Autobahn für 5 Milliarden Euro baut, währenddessen aber der Wertverlust aller anderen Autobahnen bei 2 Milliarden Euro liegt, dann beträgt die Nettoinvestition nur 3 Milliarden Euro. Die Milliarden für die Instandhaltung aller anderen Autobahnen müsste unter den Regeln der Schuldenbremse finanziert werden.

Der Vorteil dieser Goldenen Regel Plus wäre, dass die Bundesregierung beliebig in die Zukunft investieren könnte, dabei auf wirklich wertsteigernde Ausgaben beschränkt wäre. Der Haken liegt in der Definition dessen, was wirklich eine Investition ist und was eine Abschreibung auf bestehende Werte. Der Beirat schlägt deswegen vor, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die die Haushalte von Bund und Ländern jedes Jahr genau darauf prüft. Diese Aufgabe könnte zum Beispiel der Bundesrechnungshof übernehmen. Er müsste dann jede Ausgabe, die nicht unter die Schuldenbremse fallen soll, erst genehmigen.

Gekappte Goldene Regel

Die Bundesbank schlägt eine andere Reform vor. Sie nennt sie die „Gekappte Goldene Regel“, dabei orientiert sich der Vorschlag mehr an der jetzigen Schuldenbremse. Die erste Idee ist, dass die erlaubte Neuverschuldung sinkt, wenn die Abschreibungen des Staates höher ausfallen als seine Investitionen. Einfach erklärt bedeutet das, dass eine Regierung weniger Schulden machen darf, wenn sie den Wertverlust der deutschen Infrastruktur nicht mindestens erhält. So wäre ein Mindestmaß an Investitionen für jedes Jahr gesichert. Höhere Investitionen sollen aber nicht die Schuldengrenzen erhöhen. Das würde dazu führen, dass eine Regierung Konsumausgaben zurückfahren muss, um eine bestimmte Mindestsumme jedes Jahr in den Erhalt der Infrastruktur zu investieren. Allerdings setzt es keinen Anreiz für den Ausbau derselbigen.

Dafür würde die Bundesbank die Schuldengrenzen erhöhen, dies aber an Nettoinvestitionen knüpfen. So dürfte die Bundesregierung statt 0,35 dann zum Beispiel 0,5 Prozent des BIP in Neuverschuldung stecken, die zusätzlichen 0,15 Prozent müssten aber durch Nettoinvestitionen gefüllt werden. Sinkt die gesamt deutsche Schuldenlast auf unter 60 Prozent des BIP, könnte die Schuldengrenze auf 1,0 Prozent steigen, wobei dann 0,65 Prozent für Nettoinvestitionen reserviert wären. Um das einmal in absoluten Zahlen zu verdeutlichen: 0,15 Prozent für Nettoinvestitionen wären derzeit rund 6,3 Milliarden Euro pro Jahr, 0,65 Prozent entsprächen 27 Milliarden Euro. Da die deutsche Schuldenquote derzeit bei 6,36 Prozent liegt, wäre zudem ein hoher Anreiz für die nächste Bundesregierung da, diesen Wert schnell auf unter 60 Prozent zu drücken, um mehr Geld für Investitionen freizuschalten.

Die Bundesbank würde sogar so weit gehen, dem Bund auch zu erlauben, Investitionen für die Bundesländer und Kommunen zu bezahlen. Das würde etwa einen zentral finanzierten Ausbau des Bildungssystems ermöglichen. Diese Unterstützung des Bundes könnte wiederum an fiskalische Bedingungen in den Ländern und Kommunen geknüpft werden. Also nur Bundesländer, die gut selbst wirtschaften, bekämen dann Geld für Investitionen aus Berlin.

Schuldenbremse an Zinsen knüpfen

Ökonomen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) schlagen vor, die Schuldengrenzen stärker an den Zinsen zu orientieren. Sie wollen damit das Problem lösen, dass die aktuelle Schuldenbremse nicht beurteilt, wie tragbar neue Schulden wären. Ist etwa die Gesamtverschuldung Deutschlands gering und das Zinsniveau für neue Kredit ebenfalls, dann wären auch höhere neue Schulden kein Problem. Muss der Staat für neue Kredite aber hohe Zinsen zahlen, sind diese weniger tragbar. Als Mechanismus, um die Tragfähigkeit von Schulden zu beurteilen, schlagen die Ökonomen deswegen vor, die nach Schuldenbremse jedes Jahr erlaubte Obergrenze an das Verhältnis der Zinskosten der bisher gemachten Schulden zu den für das jeweilige Jahr erwarteten Steuereinnahmen zu knüpfen. Je höher diese Zins-Steuer-Quote ist, desto weniger neue Schulden sind erlaubt. Das hätte für die Bundesregierung den Anreiz, für höhere Steuereinnahmen zu sorgen, was in der Regel bei einer besser laufenden Konjunktur der Fall wäre – am Ende würde also die Gesamtheit davon profitieren.

Was wird am Ende passieren?

Noch steht in den Sternen, ob es überhaupt eine Reform der Schuldenbremse geben wird. SPD und Grüne sind dafür und wollen eine Form, die höhere Nettoinvestitionen erlaubt. Das wären die Varianten der Goldenen Regel Plus und der Gekappten Goldenen Regel. Unionschef Friedrich Merz hat bisher nur signalisiert, dass man darüber reden könnte. Ohne den CDU-Vorsitzenden geht es dabei nicht. Die Schuldenbremse steht eben in der Verfassung und eine Änderung derselbigen kann nur über eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag beschlossen werden. Vor der Neuwahl ginge das nur über eine Einigung von SPD, Grünen, CDU und CSU. Ab März werden sich die Anteile verändern. Nach aktuellen Umfragen kämen aber auch dann nur diese vier Parteien für eine Reform der Schuldenbremse in Frage, da davon auszugehen ist, dass keine der vier mit der AfD über eine Reform verhandeln möchte. Das BSW wäre nach aktuellem Stand mit zu wenig Abgeordneten vertreten, um Einfluss zu nehmen, FDP und Linke gar nicht mehr im Bundestag vertreten. Allerdings kann sich dahin bis Ende Februar noch vieles ändern.

Dass es zu einer Reform der Schuldenbremse kommen wird, ist relativ wahrscheinlich. Die jetzt regierenden SPD und Grüne sind sowieso dafür und die Union weiß auch, dass ihnen ohne Reform die Hände für Investitionen gebunden sind, sollten sie die Wahl gewinnen. Auf was sich alle Parteien am Ende einigen, bleibt aber abzuwarten.