„Fatal für die Zukunft“ - Landkreis streicht Zuschüsse für alle Juze-Leiter
Im Juze denkt man nach der U18-Wahl nach, wie man den Jugendlichen vielleicht eine bessere demokratische Orientierung geben könnte. Kommt da die Streichung von Zuschüssen für die Jugendarbeit zu einer Unzeit?
Schongau – Bei den vorangegangenen U18-Wahlen hatten die Jugendlichen der Region noch sehr grün gewählt. Das sieht dieses Mal ganz anders aus. „Wundert euch wirklich dieses Ergebnis? In ganz Europa findet ein Rechtsruck statt. Deutschland zieht nur nach.“ Das ist einer der Kommentare unter den Stimmergebnissen der fiktiven U18-Landtagswahlen, die das Juze Schongau über ihren Instagram-Account veröffentlicht hatte. „Erschreckend, einfach erschreckend“, heißt es dort auch. Der Münchener Benjamin Nolte war bei den Direktkandidaten klar der Sieger (18,99 Prozent).
Die genauen Zahlen für die einzelnen Orte sollen nach einer Bitte des Bayerischen Jugendrings, der die U18-Wahlen koordiniert, nicht veröffentlicht werden. Mehr als 1700 Jugendliche aus der Region hatten teilgenommen und ihre Wahl getroffen, repräsentativ ist das Ergebnis sicher nicht. Schon der Blick auf die zweite Wahl für junge Leute im Vorfeld der Landtagswahlen zeigt ein anderes Bild. Dennoch schaut man etwa im Schongauer Juze besorgt auf die Tendenz Richtung rechts. Erzieher Basti Kosler ist sichtlich enttäuscht: „Da investiert man so viel und hat dann so ein Ergebnis.“ Unter dem Titel „Wer darf eigentlich wählen“ hatte er etwa ein Erklärvideo zu den Landtagswahlen auf Youtube veröffentlicht, das den Jugendlichen noch einmal einfach und anschaulich erläuterte, was die Kreuzchen Erstimme und Zweitstimme bedeuten und warum es so wichtig ist, wählen zu gehen.

„Das ist nicht nur ein Auftrag für uns, sondern für die ganze Jugendarbeit.“
„Wir müssen definitiv etwas tun und Aufklärungsarbeit leisten, das ist der Auftrag der Jugendarbeit“, findet Schongaus Juze-Leiterin Christina Annibalini. Die Sozialpädagogin stellt sich etwa Demokratie-Aufklärungskurse vor, die wieder ein größeres Bewusstsein dafür schaffen könnten, wie wichtig Demokratie für unser Zusammenleben ist und wie man diese aktiv schützen kann. „Das ist nicht nur ein Auftrag für uns, sondern für die ganze Jugendarbeit. Wir müssen handeln“, ist Annibalini überzeugt.

Wie beide betonten, ist im Juze Schongau natürlich eine politische Neutralität gegeben, bei den Jugendwahlen sowieso. Sehr wohl sprach man mit den Jugendlichen aber darüber, dass das Landesamt für Verfassungsschutz die AfD als Gesamtpartei unter Beobachtung hat und was man unter dem Begriff Populismus versteht.
„Obwohl wir gerade solche Wahlergebnisse haben, werden uns Gelder gekürzt.“
Wie die beiden Juze-Mitarbeiter einschätzen, hätten bei den Jugendlichen vielfach die provokativen Wahlsprüche der AfD verfangen. Und der „Wahl-O-Mat“ der Bundeszentrale für politische Bildung weise viele junge Menschen mit Migrationshintergrund eher in die falsche Richtung, außer sie haben die Parteiprogramme studiert.
Basti Kosler ist aber auch aus anderen Gründen wütend. „Obwohl wir gerade solche Wahlergebnisse haben, werden uns Gelder gekürzt.“ Gerade eben hat der Landkreis Weilheim-Schongau 350 000 Euro für die Personalkosten der Leitungen in den Jugendzentren gestrichen. Mit einer Übergangsfrist von einem Jahr müssten – Stand heute – die Gemeinden dann die Personalkosten komplett alleine tragen. Auf immerhin rund 70 000 Euro jährlich müssen die Städte Schongau, Penzberg und Weilheim sowie die beiden Marktgemeinden Peißenberg und Peiting verzichten.
In Peißenberg schaut man kritisch auf die Kosten
Öffentlich thematisiert wurde dies bisher nirgendwo, aber seit dieser Woche haben die betroffenen Kommunen die Ankündigung auch schriftlich auf dem Tisch. Zu welchem Datum die Streichung des Kostenzuschusses erfolgen soll, darüber gehen in den Rathäusern die Meinungen auseinander. „Das ist nicht so einfach umsetzbar“, ist etwa Peißenbergs Bürgermeister Frank Zellner überzeugt. Man habe längerfristige Vereinbarungen, die eingehalten werden müssten, für 2024 habe er eine Finanzierungszusage. Auch gebe es eine Unterstützungspflicht seitens des Landkreises.
Zellner betont, wie wichtig die Jugendarbeit im Juze sei. „Die Nachfrage ist da, das wollen wir beibehalten.“ Das Juze sei eine ganz wesentliche Anlaufstelle. Allerdings schaut er kritisch auf die Kosten: „Der Markt wird das Angebot nicht 1:1 ersetzten können.“ Als Beispiel nennt er die Anpassung der Öffnungszeiten. „Aber wir planen mit dem Status quo“, so Zellner. Der Haushalt des Landkreises sei noch nicht aufgestellt, die Streichung bisher nur ein „Einsparungsvorschlag der Kommission“. Der Seitenhieb in Richtung Aktionsbündnis und die Kämpfer fürs Schongauer Krankenhaus kommt aber doch. „Jugendarbeit ist wichtig, kann aber ohne Geld nicht funktionieren. Da ist es die Frage, ob man zwei Notaufnahmen braucht.“
Seit 1. Oktober gibt es in Peißenberg eine neue Juze-Leiterin: Julia Schäfer kam für Wolfgang Stabbauer und ist, im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, nun direkt bei der Gemeinde angestellt. Zwei der fünf Juze-Leiter sind aber nach wie vor beim Landkreis angestellt: Peter Gruber (Juze Penzberg) und Jürgen Schaffarczik (Peiting).
Peitings Bürgermeister unterstreicht die Bedeutung der Jugendarbeit im Ort
Auch Peitings Bürgermeister Peter Ostenrieder unterstreicht die Bedeutung der Jugendarbeit im Ort, im Haushalt 2024 seien die Planungskosten für ein gänzlich neues Jugendzentrum auf einem mittlerweile gemeindeeigenen Grundstück vorgesehen. Das Juze solle „unter kompetenter Leitung“ weitergeführt werden. „Aus diesem Grund werden wir die Stelle eines Sozialpädagogen zeitnah ausschreiben, sobald eine endgültige Entscheidung im Landratsamt gefallen ist“, so Ostenrieder. Die Stelle werde voraussichtlich im gemeindlichen Haushalt ab 2024 eingeplant.
Kreisjugendring sieht Kürzungen äußerst kritisch
Beim Kreisjugendring sieht man die Kürzungen in der offenen Jugendarbeit äußerst kritisch. „In der Jugendarbeit zu streichen, ist fatal für die Zukunft“, so Herbert Haseitl, KJR-Leiter im Landkreis mit Sitz in Weilheim.„Grundsätzlich setzt sich der KJR für den Erhalt der offenen Jugendarbeit in den Gemeinden vor Ort ein – so wurde das auch schon in unserem Vorstandsgremium beschlossen, nachdem wir von den Kürzungen erfahren hatten.“ Die Entscheidung sei getroffen worden, ohne mit der Jugendhilfe gesprochen zu haben, kritisiert Haseitl.
Diskutiert wird nun umso mehr, diese Woche etwa in der KJR-Vollversamnmlung. Auch der Jugendhilfe-Ausschuss tagte bereits, bei dem der KJR beratendes Mitglied ist. „Es ist auch Zielsetzung des Landkreises, dass die Stellen in den Jugendzentren nicht gestrichen werden“, ist sich Haseitl sicher. Er sieht großen Austauschbedarf für die kommenden Wochen. Man müsse sehen, ob vielleicht vor Ort Aufgaben in der offenen Jugendarbeit übernommen werden, für die die Kommunen gar nicht zuständig seien. Letztlich liege die Verantwortung aber beim Landkreis, so Haseitl.
„Bloß weil das Ergebnis nicht gefällt“, möchte er den Ausgang der U-18-Wahlen nicht in Zusammenhang mit dem Bedarf in der offenen Jugendarbeit bringen. „Man muss die Entscheidung der jungen Menschen als relativ bewusste Wahlentscheidung sehen“, so Haseitl. Weiter politische Bildungsarbeit zu machen, sei aber ebenso wichtig wie die Beteiligung der Jugendlichen vor Ort zu stärken – speziell im ländlichen Raum. Der KJR setzt sich auch für die allgemeine Wahlalter-Absenkung ein. Fakt ist: Die Teilnehmer der jetzigen Jugendwahlen sind die Wähler von morgen. Bei den Europawahlen 2024 dürfen schon 16-Jährige an die Wahlurnen.
Zwei Wahlen, zwei Konzepte
Die U18- und Juniorwahlen sind zwei unterschiedliche Projekte, weshalb die Ergebnisse auch nicht gut vergleichbar sind. Bei den U18-Wahlen waren in Bayern 60 000 Schüler, an der Juniorwahl 220 000 Schüler beteiligt.
Auch die Kinder und Jugendlichen im Landkreis hatten beide Möglichkeiten, probeweise ihre Stimme abzugeben, allerdings verfolgen die beiden Wahlen ganz andere Ansätze: Die bundesweite U18-Wahl organisieren Vertreter der offenen Jugendarbeit wie das Kinderhilfswerk, Bundes- und Landesjugendringe sowie Jugendverbände. Das ist also politische Bildung im außerschulischen Bereich, auch wenn sich die Wahllokale durchaus in einer Schule befinden können.
Die Juniorwahlen des gemeinnützigen Berliner Vereins „Kumulus“ kommen im Ablauf den „echten“ Wahlen ein Stückweit näher, richten sich aber ausschließlich an Schulen und wurden im Landkreis überwiegend an weiterführenden Schulen angeboten. Ein weiterer Unterschied ist die Altersbegrenzung bei den Juniorwahlen (nur Schüler ab der 7. Klasse).
Die U18-Wahlen unterliegen diesen Regularien bewusst nicht, auch der Zehnjährige darf teilnehmen. Man möchte so die Hemmschwellen abbauen und eine Zugänglichkeit für alle ermöglichen. Bei den Juniorwahlen hingegen musste mittlerweile wohl wegen der großen Nachfrage die Anzahl der Schulen begrenzt werden. Alle Ergebnisse: www.u18.org und www.juniorwahl.de.