Es war ein Spiel auf Augenhöhe – fast. Alexander Zverev stand im Gigantenduell von Paris Novak Djokovic gegenüber. Und verlor. Was folgte, ist ein altbekanntes Ritual: Der Wind war zu stark, das Knie zwickte, der Platz war komisch. Kurzum: Es lag nicht an mir. Willkommen in der faszinierenden Welt der Ausreden.
Ob im Spitzensport, im Job oder beim verpatzten Beziehungs-Gespräch – wenn etwas schiefläuft, schalten viele von uns blitzschnell in den Selbstschutzmodus. Wir suchen Gründe. Außen. Irgendwo. Hauptsache nicht bei uns. Warum ist das so? Und: Ist das schlimm?
Über Christoph Maria Michalski
Christoph Maria Michalski ist „Der Konfliktnavigator“ – renommierter Streitexperte, Autor des neuen Buches „Streiten mit System – Wie du lernst, Konflikte zu lieben“ und gefragter Redner. Seine praxiserprobten Methoden helfen Führungskräften und Teams, auch knifflige Situationen souverän zu meistern. Mit einem ungewöhnlichen Dreiklang aus Musikpädagoge, Erwachsenenbildner und IT-Profi bringt er Verstand, Gefühl und System in Einklang. Sein Versprechen: weniger Stress, mehr Erfolg, mehr Leichtigkeit. Privat ist er Zauberer, Marathonläufer und Motorradfan – ein lebendiger Beweis dafür, dass Energie und Kreativität keine Gegensätze sind.
Schutzschild für’s Ego – Die Funktion der kleinen Fluchten
Zunächst: Ausreden haben einen evolutionären Nutzen. Unser Gehirn möchte unser Selbstbild stabil halten. Wer sich für kompetent, stark oder teamfähig hält, bekommt beim Scheitern einen psychologischen Schlag ins Kontor. Und um diesen Schmerz zu lindern, bastelt sich unser Ich eben einen schützenden Vorhang – aus „unvorhersehbaren Umständen“, „suboptimaler Vorbereitung“ oder „einer komischen Grundenergie“.
Psychologen nennen das „Self-Serving Bias“: Der Erfolg ist mein Verdienst, das Scheitern… leider nicht. Klingt unredlich, ist aber menschlich.
Und gar nicht immer schlecht: Kleine, harmlose Ausreden wie „Ich war nicht ganz bei der Sache“ oder „Heute war einfach nicht mein Tag“ können helfen, nicht sofort in Selbstzweifeln zu versinken. Sie sind psychologische Pflaster, die uns helfen, weiterzumachen.
Wenn das Pflaster zur Maske wird: Die dunkle Seite der Ausrede
Problematisch wird es, wenn diese Schutzfunktion zur Gewohnheit wird. Dann kippt die kleine Selbsttröstung in eine systematische Verantwortungslosigkeit. Und plötzlich liegt alles am Chef, dem Wetter, den Umständen, dem Schiedsrichter. Nie an mir.
Diese Art von Ausrede ist kein Pflaster mehr, sondern eine Maske. Sie schützt nicht, sie versteckt. Und zwar die eigene Unsicherheit, die Angst vor Kritik oder – hart, aber wahr – die mangelnde Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen.
Denn wer immer Gründe im Außen sucht, verpasst die Chance zur Entwicklung. Wer sich nie fragt: „Was hätte ich anders machen können?“ bleibt im Selbstbetrug stecken. Und Selbstbetrug hat eine unangenehme Nebenwirkung: Er macht einsam. Weil andere irgendwann merken, dass man sich wegduckt.
Der kleine Unterschied: Ausrede oder Erklärung?
Dabei ist der Übergang zwischen „Ausrede“ und „Erklärung“ oft fließend. Eine Ausrede zielt auf Entlastung, eine Erklärung auf Erkenntnis. Wer nach einem Misserfolg sagt: „Ich habe zu wenig trainiert“ – übernimmt Verantwortung. Wer sagt: „Der Gegner war unfair“ – schiebt sie ab.
Die Qualität einer Aussage liegt nicht im Wortlaut, sondern in der inneren Haltung. Ausreden dienen dem Ich. Erklärungen öffnen Türen für das Wir. Und wer als Führungskraft, Sportler oder Partner ernst genommen werden will, sollte sich fragen: Will ich Recht behalten – oder will ich wachsen?
Ehrlich scheitern macht charismatisch
Interessanterweise steigt die persönliche Ausstrahlung oft dann, wenn jemand ehrlich über sein Scheitern spricht. Der Satz „Ich habe’s vergeigt, aber ich weiß jetzt, woran es lag“ ist zehnmal stärker als jedes Herumdrucksen. Weil er Mut zeigt. Und Mut ist nun mal ein Charisma-Verstärker.
Beispiel gefällig? Roger Federer nach einer Niederlage: „Ich war heute nicht gut genug. Punkt.“ Kein Winden, kein Rausreden. Und genau deshalb: glaubwürdig.
Auch im Business beeindruckt das. Wer einen Fehler eingesteht – nicht als Floskel, sondern mit ehrlicher Analyse – gewinnt Vertrauen. Und wer das regelmäßig tut, entwickelt Führungskompetenz. Denn wer die Verantwortung übernimmt, übernimmt auch das Steuer.
Humor statt Drama – so geht’s besser
Und wenn wir schon mal ehrlich sind: Es gibt auch charmante Ausreden. Die, die uns zum Schmunzeln bringen, ohne sich aus der Affäre zu ziehen. Der Kollege, der sagt: „Ich hatte einen Termin mit dem Bett und der hat Überstunden gemacht.“ Oder die Führungskraft, die nach einem Projektfehlschlag sagt: „Nächstes Mal frag ich vorher Google UND meine Frau.“
Humor entschärft. Und ein bisschen Selbstironie kann Wunder wirken. Nicht als Flucht, sondern als Brücke. Sie erlaubt, über sich selbst zu lachen, ohne sich kleinzumachen. Und genau das ist ein Zeichen von Souveränität.
Fazit: Ausreden sind menschlich – aber nicht alternativlos
Ja, wir alle brauchen manchmal ein weiches Kissen fürs Ego. Und das darf auch mal nach Ausrede klingen. Aber wer bei jeder Niederlage das Kopfkissen zur Ritterrüstung macht, verpasst das Beste: Die Chance, besser zu werden.
Zverev hat in Paris verloren. Was er daraus macht – das ist seine Entscheidung. Und unsere nach dem nächsten Fehltritt auch. Ob wir dann sagen „Ich hatte einfach Pech“ oder „Das war Mist, aber ich lerne daraus“ – macht den Unterschied zwischen einem Umweg und einer Sackgasse.
Denn echte Größe zeigt sich nicht im Siegen, sondern im Verlieren mit Haltung.
Lesetipp (Anzeige)
"Streiten mit System: Wie du lernst, Konflikte zu lieben" von Christoph Maria Michalski
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.