„Woke“ Linke, schrille Rechte – und die Gefahr Trump: Retten die nicht-weißen Minderheiten die USA?
Die US-Demokratie steht vor der Wahl am Abgrund. Daran hat Donald Trump Anteil, sagt Experte Stephan Bierling – und erklärt eine überraschende Hoffnung.
„Es geht mir nicht nur um die politische Kultur, das ist mir zu wenig. Es geht wirklich um die Demokratie“: Bei der US-Wahl am Dienstag (5. November) steht viel auf dem Spiel – so sieht es auch der deutsche USA-Experte Stephan Bierling. „Es ist die wichtigste Wahl in meinem Leben in irgendeinem Land“, sagt er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

Dass der Urnengang so unglaublich bedeutsam ist, liege einerseits am Kandidaten Donald Trump. Der Republikaner sei jemand, „der die Demokratie wirklich einzuschränken und zu bedrohen bereit ist“, warnt Bierling. Zugleich aber seien die Vereinigten Staaten so polarisiert und sei die überwältigende Mehrzahl der Wähler in ihren Positionen enorm festgefahren, meint der Politologe der Uni Regensburg. Hoffnung hat Bierling aber dennoch – just mit Blick auf eine Entwicklung, die „viele Weiße verängstigt“ habe.
Trump gegen Harris: Die Probleme des US-Demokratie sind älter als der Wahlkampf 2024
Bierling hat unlängst ein großes Werk über die politische Geschichte und Situation der USA vorgelegt: „Die Unvereinigten Staaten“ heißt das Buch (C.H. Beck, 28 Euro). An Problem-Diagnosen mangelt es darin nicht. Da sei etwa das präsidentielle politische System der USA, das eigentlich auf Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg angewiesen ist – und angesichts der aktuellen Rolle der Parteien als „Kampfverbände“ ausgesetzt scheine.

Oder auch die sozialen Medien, die eine demokratische „Illusion“ eindrücklich widerlegten, wie Bierling sagt: die einer gemeinsamen „Unterhaltung“ über die wichtigsten Fragen des Staatswesens. Bis in die 90er-Jahre habe das Fernsehen einen gemeinsamen Platz für Debatten geliefert. Erst mit Kabelfernsehen, dann mit Twitter und Co. habe sich die Gesellschaft „zersplittert“. Mit „Echokammern“ immer wieder bestätigter Meinungen als „Brandbeschleuniger“ für die Polarisierung. Gerade Trump habe die sozialen Medien als erster im großen Stile im Wahlkampf genutzt. Zugleich konzentriere sich der Wahlkampf nicht mehr auf die schrumpfende Zahl an Wechselwählern – sondern auf die Mobilisierung des jeweils eigenen Lagers. Auch in den Umfragen seien kaum noch Reaktionen auf größere Entwicklungen erkennbar.
Verfassungsreformen und Gesetzesänderungen werden der US-Demokratie wohl nicht helfen, meint Bierling. Die US-Verfassung sei die am „schwierigsten zu verändernde der Welt“, sagt der Experte. „Unter den Bedingungen der parteipolitischen Polarisierung werden wir gerade auf dem Weg nicht weiterkommen.“ Er setzt auf einen gesellschaftlichen Wandel.
Meine news
US-Wahl 2024: „Kulturkämpferische Themen eingeprügelt“ – hilft der demografische Wandel?
„Wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, dass es weiße, gut ausgebildete Politiker waren, die diese Polarisierung mit so kulturkämpferischen Themen wie Waffenbesitz und Abtreibung und Schulgebet in die Bevölkerung hereingeprügelt haben, weil das sehr viel Loyalität bei der Bevölkerung hervorrief und zu hoher Wahlbeteiligung führte“, sagt Bierling. Die USA aber wandelten sich demografisch, genau das sei aus seiner Sicht „die letzte große Hoffnung“: Ab 2045 seien nach Stand der Dinge die Weißen eine Minderheit in den Vereinigten Staaten.
Momentan wirke diese Aussicht als „Spaltpilz“, als Quelle der Angst – letztlich könne sie aber stabilisieren und entpolarisieren. Denn asiatische Amerikaner, lateinamerikanisch-stämmige Amerikaner hätten „ganz andere Probleme als die weißen Eliten, die an den Unis ausgebildet und verdorben wurden“, so Bierling: „Sie wollen ein normales Leben führen, wollen Infrastruktur und eine ordentliche Schule haben, wollen Unternehmen gründen können.“ „Sie sind viel normaler als das, was wir heute mit der schrillen Debatte auf der Rechten mit Abtreibung und Immigration und auf der Linken oft mit der Wokeness-Bewegung und Gender-Sternchen erleben“, urteilt er.
Wahl-Niederlage Trumps als „Geschenk“: „Trump ist eine Gefahr für die Demokratie“
Mit dem Anwachsen dieser Gruppen müsse die Politik auch diese „Brot-und-Butter-Themen“ in den Fokus nehmen, sagt der Politologe. Tatsächlich gebe es schon jetzt Anzeichen für erste Annäherung – Umfragen gäben Hoffnung, „dass vielleicht die schlimmsten kulturkämpferischen Zeiten hinter uns liegen“: Etwa bei den Themen Abtreibung und Immigration marschierten die Parteien stärker Richtung Mitte.
In diesem Kontext aber wäre eine Wahlniederlage Donald Trumps „ein großes Geschenk“, erklärt Bierling. Die Polarisierung sei zwar schon seit den Emanzipationsbewegungen der 60er-Jahre im Wachsen begriffen. Gerade Trump habe aber eine „spalterische, hetzerische, verleumderische“ Begrifflichkeit in die US-Politik eingeführt. Sollte er nicht gewinnen, sei das ein Zeichen dafür, dass diese Art des Regierens und der Wahlkampfführung nicht mehr mehrheitsfähig sei. „Man kann viel Negatives über Kamala Harris sagen, aber eins ist sie nicht: eine Gefahr für die Demokratie“, sagt Bierling. „Trump ist eine Gefahr für die Demokratie.“ (Das komplette Interview mit Bierling zur US-Wahl lesen Sie hier.)