„Enormes Potenzial zur Heilung schwerer Krankheiten“: Roche eröffnet Gentherapiezentrum in Penzberg
Bei Roche in Penzberg wurde am Dienstag ein Entwicklungszentrum für Gentherapien eröffnet. Das Biotechnologie-Unternehmen wird nach eigenen Angaben als bislang einziges Unternehmen in Deutschland virale Genvektoren erforschen, entwickeln und im Industriemaßstab herstellen. Die Investition beläuft sich auf rund 90 Millionen Euro.
Penzberg – Bei der Gentherapie werden, vereinfacht gesagt, kranke beziehungsweise mutierte Gene ausgetauscht, die für schwere Krankheiten verantwortlich sein können. Bei der Eröffnung des Gentherapiezentrums am Dienstag hieß es, dass die Gentherapie eine neue Ära der Medizin einläute, sie habe enormes Potenzial zur Heilung zahlreicher schwerer Krankheiten, und Roche sei ein Pionier auf dem Gebiet. Eine entscheidende Rolle spiele dabei das Werk in Penzberg. Das neue Entwicklungszentrum für Gentherapien ist nach Roche-Angaben in Deutschland bislang einzigartig.
Zu der Eröffnungsfeier gekommen waren hohe Roche-Vertreter aus Basel sowie Wissenschaftler wie die Virologin Ulrike Protzer, Direktorin des TU-Instituts für Virologie und des Helmholtz-Zentrums in München, sowie Stylianos Michalakis, Leiter der Arbeitsgruppe Gentherapie für Augenerkrankungen an der LMU-Klinik. Ministerpräsident Markus Söder ließ sich per Live-Video zuschalten.
Entwicklung von Genvektoren für neuartige Gentherapien
Roche will nach eigenen Angaben in dem Gentherapiezentrum die Entwicklung von Genvektoren für neuartige Gentherapien vorantreiben. Dabei handelt es sich um gentherapeutische Wirkstoffe, die als Träger verwendet werden, um gesunde Gene in menschliche Zellen von Patienten einzuschleusen. Sie sollen in dem Gentherapiezentrum zugleich im Industriemaßstab für klinische Studien hergestellt werden.
Markus Haindl, Leiter der Gentherapie-Forschung und Entwicklung bei Roche, beschrieb die Vektoren als Briefumschläge mit spezifischen Adressaufklebern, die therapeutische DNA an ihr Ziel bringen. Diese Genvektoren, erklärte Roche, „eröffnen als Transportvehikel für DNA völlig neuartige Möglichkeiten, die Ursachen verschiedenster schwerer Erkrankungen auf DNA-Ebene zu behandeln und künftig sogar heilen zu können“.

Viele schwere Krankheiten, so das Unternehmen, würden aufgrund von Fehlfunktionen oder Mutationen in den menschlichen Genen entstehen. Um diese zu behandeln, werden im Labor hergestellte DNA-Abschnitte oder therapeutische Gene mit korrekter Erbinformation in die betroffenen Körperzellen der Patienten eingeschleust. Die Genvektoren würden dabei die Aufgabe als sichere und effiziente Transportvehikel übernehmen. Das Besondere an Gentherapien sei, so Roche, dass sie den genetischen Defekt gezielt behandeln und so die Ursache direkt therapieren, also nicht nur die Symptome einer Krankheit lindern. Ebenso hätten sie das Potenzial, eine Krankheit per Einmalbehandlung zu heilen. Wobei es bei der Feier auch hieß, dass die Entwicklung von Gentherapien erst am Anfang steht. Betont wurde außerdem die Bedeutung einer Zusammenarbeit von universitärer Forschung und Unternehmen.
„Es klingt wie Science-Fiction, ist aber real“
„Es klingt wie Science-Fiction, ist aber real“, sagte Moderatorin Kim Selle bei der Feier, die – nach dem Rundgang im Gentherapiezentrum für eine ausgewählte Schar – vor großem Publikum im Roche-Casino stattfand. Der Penzberger Werkleiter Paul Wiggermann griff den Satz auf: „Aus Science-Fiction wird Realität, die für Patienten weltweit Hoffnung bedeutet.“ Er sprach davon, dass es etwa 8000 seltene Krankheiten gibt, von denen nur zwei Prozent therapierbar und viele genetisch bedingt seien. Gentherapien, an denen weltweit und eben auch in Penzberg geforscht werde, böten neue Möglichkeiten zu heilen. Sie hätten das Potenzial einer Revolution. Die Entscheidung des Konzerns, in Penzberg 90 Millionen Euro für das neue Gentherapiezentrum zu investieren, bezeichnete Wiggermann „als starkes Zeichen für den Innovationsstandort Penzberg“. Gentherapie-Chef Haindl sagte, Gentherapien seien ein großes Versprechen auf Heilung von Krankheiten, aber auch von enormer Komplexität.
Gestörter Kontakt zu Ministerpräsident Söder
Hagen Pfundner, Vorstand der Roche Pharma AG, sagte, dass Roche 90 Millionen Euro in das Gentherapie-Zentrum investiere, um weiter in der Champions League zu bestehen, ein Fußballvergleich, mit dem er auf den per Video zugeschalteten Ministerpräsidenten Söder überleitete. Er danke der bayerischen Staatsregierung, dass sie „unermüdlich auf die Bundesregierung eingewirkt hat, die fehlgeleitete Politik zu ändern, die die Gesundheitsindustrie behindert hat“, sagte Pfundner. Was Söder – er weilte bei einer Kabinettssitzung – gerne hörte. Dessen Redefluss („Wir sind extrem dankbar, dass wir so ein innovatives Unternehmen in Bayern haben“) musste jedoch wegen technischer Tonstörungen vorzeitig abgebrochen werden. Die Reaktion des zwangsweise verstummten Ministerpräsidenten: Er hielt ein Zettel mit dem Wort „Sorry“ in die Kamera.
100 Arbeitsplätze in dem Gentherapiezentrum
Tatsächlich in Betrieb gehen wird das Gentherapiezentrum mit insgesamt 100 Arbeitsplätzen laut Roche voraussichtlich im kommenden Mai. Das Unternehmen errichtete dafür kein neues Gebäude, sondern verwendete ein nicht genutztes Produktionsgebäude im westlichen Teil des Werkgeländes. Das Gebäude wurde in der ersten Hälfte des Jahres 2022 bis auf die Grundmauern und die Fassade entkernt und dann innerhalb von 20 Monaten zum Gentherapiezentrum verwandelt. Dort stehen laut Roche nun rund 2500 Quadratmeter Labor-, Produktions- und Lagerfläche für die Entwicklung und Produktion der Genvektoren zur Verfügung. Insgesamt hat das Penzberger Werk von Roche Diagnostics momentan rund 7700 Mitarbeiter.