Billionen-Frage im Angesicht von Putin und Trump: Wie aufrüsten? Fünf Experten antworten

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Das Geld ist da – der Plan auch? Europa und Deutschland wollen sich für einen russischen Angriff wappnen. Wir haben Experten nach dem „Wie“ gefragt.

München/Rottach-Egern – Der erste Wirbel hat sich gelegt, die ersten Programme und Pläne sind verabschiedet – nun wird es langsam ernst. Denn mit Geld alleine ist es nicht getan. Europas Billionen-Euro-Frage lautet: Wie sollen die EU und ihre Mitgliedsstaaten all die neuen (Schulden-)Mittel für die Verteidigung einsetzen, um unabhängig von den USA und sicher vor Russland zu sein?

Dass sie genau das werden müssen, davon sind Experten überzeugt, selbst wenn Donald Trump und Wladimir Putin nicht mehr im Honeymoon der Machthaber sind. Wie dabei vorzugehen ist, das hat der Münchner Merkur zuletzt Experten verschiedener Hintergründe gefragt. Ein Überblick über die Forderungen und Ratschläge aus Wissenschaft, Militär, Industrie und Politik:

Bundeswehr fit machen für Verteidigung: Konteradmiral a.D. verweist auf Lehren aus Ukraine-Krieg

Jürgen Ehle kennt als Bundeswehr-Konteradmiral a.D. und langjähriger Funktionär bei Nato und EU, sehr gut die Lage des Militärs. EU wie Nato müssten wieder die „Sprache der Macht“ lernen – die Situation sei ernst, sagte Ehle unserer Redaktion.

Ehle mahnt: „Wir brauchen eine viel, viel bessere Kooperation in der Rüstungspolitik.“ Europa habe zu viele verschiedene Waffensysteme und zu wenig „Interoperabilität“. Gemeint ist damit die Möglichkeit, die verschiedenen Produkte miteinander zu verzahnen und ohne große Schulungen wechselseitig bedienen zu können. „Wir müssen die Strukturen in der Rüstungszusammenarbeit ändern und Bürokratien abbauen. Das ist das A und O auch in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.“ Nicht umsonst forderte das neue „Weißbuch“ der EU 40 Prozent der Rüstungsgüter künftig in Europa zu beschaffen.

Jürgen Ehle diente zuletzt als Konteradmiral der Bundeswehr – 2024 ging er nach gut 48 Dienstjahren in Ruhestand.
Jürgen Ehle diente zuletzt als Konteradmiral der Bundeswehr – 2024 ging er nach gut 48 Dienstjahren in Ruhestand. © K. Grapsas/fkn

Der erfahrene Soldat sieht indes in unbemannten Systemen wie Drohnen, Robotern und Co. zwar prinzipiell „die Zukunft“. Aber nicht umsonst gebe es in Russlands Angriffskrieg „unglaublich viele Opfer auf beiden Seiten“: Zu beobachten sei in der Ukraine auch ein „Stellungskrieg wie im Ersten Weltkrieg“, so Ehle. „Es wird künftig wohl eine Kombination aus Stellungskrieg und modernster unbemannter Waffentechnik geben.“ Das berühre auch Bereiche jenseits des simplen Material-Kaufs. „Dass wir mehr Soldaten brauchen, ist eine der Lehren des Ukraine-Kriegs“, sagt der langjährige Bundeswehr-Entscheider. Vielleicht auch deshalb werde nun wieder eine Wehrpflichtdebatte geführt.

Militärische Stärke gegen Putin: Verteidigungsexperte sieht „Bedarf im gesamten Spektrum“

Ulf Steindl, Experte des Austrian Institute for European and Security Policy, sieht vor allem dringenden Bedarf an sehr grundlegenden Investitionen: Der Großteil der Gelder müsse „in den Ausbau der eigenen rüstungsindustriellen Basis fließen, um Europas Unabhängigkeit, Autonomie und Handlungsfähigkeit zu stärken“, sagt er unserer Redaktion auf Anfrage. Tatsächlich beziehen die EU-Staaten bislang viele Rüstungsgüter aus den USA. Als – politisch schwieriger – Partner beim Rüstungskauf rückte zuletzt die Türkei wieder in den Fokus.

Auch Steindl betont entsprechend: Neue Beschaffungen müssten gemeinsam erfolgen und der europäischen Rüstungsindustrie zugutekommen. Ausnahmen könne es geben. Beim Aufbau von Munitionsvorräten etwa sei Pragmatismus geboten – und teils Zusammenarbeit mit Drittstaaten.

Welche Güter nun nötig sind? „Der Bedarf umfasst das gesamte Fähigkeitsspektrum“, erklärt Steindl. „Priorität haben jedoch Luftraumverteidigung, Drohnen und deren Abwehr“, ebenso wie „‚strategic enablers und Durchhaltefähigkeit“. Unter „strategic enablers“ versteht man Techniken und -services, die die Basis für konkrete Handlungen sind – etwa Satelliten- und Geheimdienstaufklärung oder Logistik zur Verlegung von Menschen und Material.

CDU-Experte warnt vor Putin – und davor, „nur mehr vom Alten zu machen“

Roderich Kiesewetter, Außenexperte der CDU und Bundeswehr-Oberst a.D., forderte zuletzt im Interview, beim Einsatz der Verteidigungsmilliarden „Lektionen aus den Kriegen der letzten zehn Jahre zu lernen“ – statt „nur mehr vom Alten zu machen“. Als entscheidend hätten sich etwa „Drohnenverwendung, Drohnensteuerung, frühe Aufklärung“ erwiesen. Ebenso „das Verhältnis von Aufwand und Mitteln“.

CDU-Politiker und Bundeswehr-Oberst a.D. Roderich Kiesewetter am Freitag beim Litauisch-Deutschen Forum in München.
CDU-Politiker und Bundeswehr-Oberst a.D. Roderich Kiesewetter am Freitag beim Litauisch-Deutschen Forum in München. © Florian Naumann

So ließen sich mit vergleichsweise günstigen Drohnen sehr teure Radarsysteme und andere Stellungen bekämpfen. Andererseits seien sehr teure Raketen gegen sehr einfache Drohnen im Einsatz, weil passendere Mittel fehlten. Im Interview äußerte Kiesewetter eine weitere Mahnung: Gegebenenfalls auch ohne zwischenstationierte Präzisionsraketen und Marschflugkörper der USA müsse Europa in der Lage sein, etwa russische Kommandoposten zu erreichen: „Auch, um eine russische Erpressung zu verhindern.“ Auf diesem Feld müsse man „viel, viel schneller handeln“ und eigene Systeme entwickeln.

Kiesewetter hat zugleich einen Rat, wenn es um die Herkunft der Rüstungsgüter geht: Die EU solle sich bei Partnern umsehen, sagt der CDU-Politiker auch angesichts der Volten von Donald Trump – etwa in Südkorea, Japan, den Philippinen, Indonesien oder Australien. „Diese Länder gehören zu den Verteidigern der regelbasierten Ordnung, von freier Bündniswahl und Unverletztlichkeit der Grenzen“. Wenn man „dazwischen“ stehende Länder wie Brasilien und Indien einbinde, könne man von deren Innovationskraft profitieren – und zeigen, dass Ideen von Frieden und Freiheit nicht geografisch begrenzt, sondern offen für alle seien.

Rüstung aus ökonomischer Sicht: Produktion anheben, Technologien ausbauen – „Riesenchance“

Lars-Hendrik Röller gehört zu den profiliertesten Ökonomen Deutschlands in Sachen konkreter Politikberatung. Er arbeitete unter Angela Merkel zehn Jahre im Kanzleramt und war auch Chefunterhändler etwa bei G7-Gipfeln. Röller sieht die wichtigste Aufgabe darin, mehr Verteidigungsgüter in Europa zu produzieren, wie er dem Merkur im Interview sagte. Zugleich müsse man europäisch abgestimmt vorgehen: „Damit nicht jeder sein eigenes System hat, sondern man Skaleneffekte nutzt und die Produktion anhebt.“

Das seien vor allem Fragen der Struktur – aber das neue Geld sei natürlich „hilfreich im Umsetzen dieser Strukturen“. Über gewisse Technologien verfüge Europa zwar noch nicht, sagte der Wirtschaftsexperte. „Das heißt, der Prozess wird Zeit brauchen. Aber: Man kann das verstetigen und damit der europäischen Industrie ein Signal geben, sich zu entwickeln, zu investieren.“ Unternehmen etwa im Automobilbereich überlegten bereits, Drohnen zu bauen.

Zu seiner Zeit im Kanzleramt habe die Gesellschaft derartige Debatten nicht hören wollen. Die Politik habe jetzt – wenn sie die neuen Schulden sinnvoll nutze – eine „Riesenchance“. Deutschland müsse nun aber auch die verbleibenden Jahre nutzen, um sich besser vor einem Angriff Russlands zu wappnen.

Rüstungsindustrie sieht breiten Bedarf: „Althergebrachter Kampf genauso wie Drohnen“

Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, möchte den Entscheidern von Politik und Militär auf Nachfrage eigentlich nicht vorgreifen – durchaus verständlich, vertritt er doch die gesamte, recht diverse Branche.

„Mir sagen die Experten, wir brauchen im Grunde sowohl die Ausstattung für den hergebrachten Kampf auf dem Land als auch elektronische Rüstung – Drohnen, Drohnenabwehr und so weiter“, sagte Atzpodien dennoch zuletzt im Gespräch mit unserer Redaktion. Den Bedarf bestimme aber nicht die Industrie, sondern die Nato.

Klare Präferenzen äußerte der Wirtschaftsvertreter hingegen zum „Wie“ des Rüstungskaufs. Damit die Rüstungsindustrie schnell liefern könne, müsse vor allem der Bedarf Europas zusammengefasst vorliegen. „Wenn jedes Land einzeln auf die Industrie zugeht, wird es sehr viel schwieriger“, betonte Atzpodien. An dieser Stelle sind sich also Experten einig. (fn)

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