Russland setzt auf Satan-Raketen – und atomare Abschreckung

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Russland vertraut weiterhin auf Nuklearwaffen; mit neu zu positionierenden Raketen möchte Putin den Westen verängstigen – was wohl auch funktioniert.

Moskau – Die RS-28-Sarmat-Rakete bliebe für die Modernisierung der russischen Verteidigung von zentraler Bedeutung – trotz der Herausforderungen durch fehlgeschlagene Tests und Rückschläge, schreibt Amir Daftari. Der Newsweek-Autor zitiert Sergei Karakajew, demzufolge die Stationierung des silobasierten Sarmat- beziehungsweise Satan-2-Raketensystems voranschreite. Der Kommandeur der Strategischen Raketenstreitkräfte (SMF) bezeichnete das gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Tass als einen entscheidenden Schritt der Modernisierung des russischen Atomarsenals. Wladimir Putin reagiert damit auf die forscheren Raketen-Offensiven der Ukraine, obwohl ihm dieses Raketensystem selbst neuerdings wiederholt um die Ohren geflogen war.

Die Sarmat-Rakete ist im Westen auch unter dem Namen Satan bekannt und soll die verbliebenen russischen Interkontinentalraketen RS-20 beziehungsweise RS-SS-18 Satan ersetzen, womit Russland seine Nuklearstreitkräfte sukzessive modernisieren wolle, wie Timothy Wright berichtet. Der Autor des Thinktank International Institute for Strategic Studies (IISS) schätzt, dass Russland über ungefähr 40 silobasierte SS-18 verfügt – genau wie diese soll, laut dem IISS-Analysten, auch der Nachfolger jeweils bis zu zehn unabhängig zielbare Wiedereintrittsraketen tragen. Optimisten gehen von bis zu 15 inkludierten Atomsprengköpfen aus.

Eine RS-28 Interkontinental-Rakete löst sich in einem gleißenden Feuerball aus ihrem Silo und tritt ihre ballistische Flugbahn an.
Russland hat angekündigt, mehr moderne Interkontinental-Rakete RS-28 Sarmat zu statinionieren. Damit will Wladimir Putin seine Atom-Drohung gegen den Westen untermauern. © IMAGO / Russisches Verteidigungsministerium

Atom-Arsenal wächst: Laut Putin könne der Betrieb der russischen Super-Waffe aufgenommen werden

Allerdings sei das Sarmat-Programm lediglich der Spiegel der gesamten kriselnden russischen Industrie, behauptet Maxim Starchak. 2018 hätte die RS-28 der Truppe schon zur Verfügung stehen sollen. Wie der Analyst der in Washington D.C. ansässigen Carnegie-Stiftung im Oktober vergangenen Jahres geschrieben hat, ließe das aber noch auf sich warten – anders als Präsident Wladimir Putin, der habe verlauten lassen, dass die Massenproduktion jetzt aber beginnen und der Betrieb der russischen Super-Waffe aufgenommen werden könne. Weit gefehlt.

„Putins bewusste Mehrdeutigkeit – mangelnde Spezifität – ist eine gezielte Taktik, die darauf abzielt, bei seinen Gegnern Zweifel zu säen. ... Putins Anwendung ... ist speziell auf einen laufenden Krieg zugeschnitten und daher allgemein formuliert, um eine feste Verpflichtung zum Einsatz von Atomwaffen zu vermeiden und Putin alle Optionen offenzuhalten.“

Ende September hatten Satellitenbilder einen vermeintlich fehlgeschlagenen Raketentest offenbart. Wie mehrere Medien berichteten, hat sich auf dem Kosmodrom Plessezk eine Explosion ereignet. Das als „Weltraumbahnhof“ bekannte Gelände im Verwaltungsbezirk Archangelsk liegt im Nordwesten Russlands und dient beispielsweise als Testgelände für Interkontinentalraketen. Eine Explosion ist ein äußerst seltenes Ereignis, das eigentlich nur alle 50 Jahre vorkommen sollte, wie das Magazin Defense Express behauptete. Der letzte vergleichbare Vorfall sei die Explosion während des ersten Teststarts der sowjetischen Interkontinentalrakete R-16 gewesen; im Oktober 1960 auf dem Kosmodrom Baikonur. Die Rakete gilt als Rückgrat der jetzt erneuerten russischen Atomdoktrin.

Die neueste Ankündigung beziehungsweise Drohung entbehrt jedoch jeglicher Details zur Stationierung von Mengen oder Regionen. Zeitgleich allerdings unterstreicht Sergei Shoigu via Tass die Bedeutung der erweiterten russischen Atomdoktrin – auch die Kooperation mit einem Atomwaffen führenden Staat und einem daraus folgenden konventionellen Angriff könne für die Ukraine einen Atomschlag durch Russland nach sich ziehen, sagte der ehemalige Verteidigungsminister der russischen Föderation.

Russlands Masche: Säbelrasseln mit dem Atomprogramm ein Zeichen von Bluff und Großspurigkeit

„Im Allgemeinen ist die Doktrin unkompliziert, klar und transparent. Ich glaube, wir haben alles explizit dargelegt. Deshalb fordern wir unsere Kollegen, insbesondere im Westen, auf, sie sorgfältig zu lesen, ohne Teile aus dem Kontext zu reißen oder falsch wiederzugeben. Alles ist klar und präzise dargestellt“, sagt Shoigu. Moskau reagiert damit darauf, dass die USA und ihre NATO-Verbündeten ihre Zustimmung zum Einsatz von Präzisionswaffen mit großer Reichweite auf Russland gegeben hatten.

Nach dieser Ankündigung wurden russische Militärstandorte in den Regionen Kursk und Brjansk von amerikanischen und britischen Raketen angegriffen. „Seit Ausbruch des Krieges ist Putins wiederholtes Säbelrasseln mit dem Atomprogramm ein Zeichen von Bluff und Großspurigkeit“, kommentiert Rishi Paul. Laut dem politischen Analysten des britischen Thinktanks European Leadership Network (ELN) hätten die Westmächte gezeigt, dass sie – zumindest in den Augen Moskaus – vorsichtig bis an die Grenze gehen können, ohne sie zu überschreiten.

In Pauls Argumentation sucht Putin die Kommunikation mit dem Westen, um ihm zu zeigen, was Russland bewegen könnte, wenn Putin das nur wollte. Paul zielt darauf ab, dass Putin vor dem Einsatz seiner neuen Rakete Oreshnik die Gefechtslage zwar einerseits eskalieren ließ, andererseits das US-amerikanische Zentrum zur Bedrohungsreduzierung nur 30 Minuten zuvor über den Raketenstart informiert hatte. Das zielte, so Paul, „eindeutig darauf ab, Fehlinterpretationen vorzubeugen und das Risiko einer unmittelbaren nuklearen Eskalation zu mindern“. Damit habe Putin wohl erkannt, dass sein Handeln den Weltkrieg zur Folge haben könne und der Gefahr von Fehleinschätzungen und einem unkontrolliert eskalierenden Konflikt mit dem Westen offenbar vorbauen wollte.

Ukraine-Krieg als Vorspiel: RS-28-Sarmat hat das Potenzial, um dem Westen mit dem Weltkrieg zu drohen

Dem Analysten Paul zufolge gilt als schärfstes Schwert in diesem Krieg die offene Frage: Was wäre wenn? Oder wie er sagt: „Putins bewusste Mehrdeutigkeit – mangelnde Spezifität – ist eine gezielte Taktik, die darauf abzielt, bei seinen Gegnern Zweifel zu säen.“ Zwar sei die Verwendung von Mehrdeutigkeit in der Nukleardoktrin nicht nur in Russland zu beobachten, sondern wird auch von anderen Atommächten angewandt, wie er sagt. Aber Putins Anwendung sei von ihrer eigenen Art: „Sie ist speziell auf einen laufenden Krieg zugeschnitten und daher allgemein formuliert, um eine feste Verpflichtung zum Einsatz von Atomwaffen zu vermeiden und Putin alle Optionen offen zu halten.“

Die RS-28-Sarmat hat genau dieses Potenzial, um dem Westen mit dem Weltkrieg zu drohen. Laut Maxim Starchak hatte das Vorgänger-Modell SS-18 von Mitte 1990er-Jahre an in Kraft sowie Größe Maßstäbe gesetzt und die gegenseitige nukleare Abschreckung zwischen den Blöcken bestimmt – als problematisch erwies sich im Nachhinein lediglich, dass dieses Programm in der Ukraine gefertigt worden war, wie der Analyst im Oktober vergangenen Jahres geschrieben hat.

Russland hatte sich dann dazu entschlossen, die SS-18 zu überholen, um deren Nutzungsdauer zu verlängern; was durch die wachsenden Spannungen mit der Ukraine und mit der Annexion der Krim 2014 unmöglich wurde. Die Einsatzfähigkeit der russischen Raketenstreitkräfte sei hoch – das veröffentlicht gerade die britische BBC aufgrund von Aussagen eines übergelaufenen Offiziers derjenigen Kräfte, die die Stützpunkte überwachen. Russlands Atomwaffen seien voll einsatzfähig und kampfbereit, betonte die Quelle, die die Briten als „Anton“ bezeichnen. „Die Arbeiten zur Instandhaltung der Atomwaffen werden ständig durchgeführt, sie werden keine Minute unterbrochen“, sagt er.

Die Nato in Alarmstimmung: „Der Kreml tut alles, um die Nerven des Westens auf die Probe zu stellen.“

Allerdings betont die BBC, die Authentizität des ehemaligen russischen Offiziers nur halbwegs verifizieren zu können. Ihm zufolge seien die Truppen ständig im Training und hätten eine Reaktionszeit bis zur Zündung von zwei Minuten gehabt. Wie die BBC schreibt, habe Anton das „mit einem Anflug von Stolz“ gesagt. Allerdings sei ihm befohlen worden, seine Untergebenen zu indoktrinieren. „Sie sagten, ukrainische Zivilisten seien Kämpfer und müssten vernichtet werden! Das ist für mich eine rote Linie – es ist ein Kriegsverbrechen. Ich habe gesagt, ich werde diese Propaganda nicht verbreiten“, wie Anton gegenüber dem Sender angegeben habe. Daraufhin sei er an die Front versetzt worden und schließlich geflohen.

Die Kontroll-Organisation Arms Control Association schreibt Russland rund 4.400 Atomsprengköpfe zu. Mitsamt der stillgelegten, aber wieder reaktivierbaren Köpfe, bestehe zwischen Russland und den Nato-Staaten Gleichstand. Nach deren Zählung verfügten alle Atommächte im März 2024 insgesamt über etwas mehr als 12.000 Atomsprengköpfe. Aber Russland hat sich unter den Atommächten zum Außeneiter entwickelt, wie BBC-Autor Will Vernon schreibt. „Der Kreml tut alles, um die Nerven des Westens auf die Probe zu stellen.“

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