Aus Angst vor Russland: EU-Erweiterung entpuppt sich als riskanter Machtpoker
Die EU berät auf ihrem Gipfel in Brüssel über ihre Erweiterung nach Osten, getrieben auch durch Russlands Machtstreben. Doch ein Ukraine-Beitritt birgt auch Risiken.
Brüssel – Eine Erweiterung der EU stand viele Jahre nicht zur Debatte – zu teuer, zu kompliziert. Doch mit dem Ukraine-Krieg hat sich die Lage geändert: Russlands Angriff auf das europäische Nachbarland verbreitet Schrecken, vor allem im Osten Europas.
Eine Strategie zur Eindämmung von Putins Machtstreben scheint zu sein, die EU weiter nach Osten auszudehnen, um Russlands Einfluss dort zu beschneiden. Deshalb ist auf dem EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag (14. Dezember) der Beitritt neuer Staaten in das europäische Bündnis das zentrale Thema. Die bisher 27 Mitglieder verhandeln, welche neuen Länder in ihren Kreis treten könnten.

EU-Erweiterung Thema beim Gipfel – Neben Ukraine noch andere Kandidaten
Kandidaten gibt es mehrere: Mit der Ukraine und Moldau könnten bald Verhandlungen starten. Georgien könnte den Status als Beitrittskandidat erhalten. Auch mit Albanien und Nordmazedonien soll möglicherweise verhandelt werden. Bosnien-Herzegowina und Serbien stehen ebenfalls auf der Liste der EU-Kommission. Beiden werden jedoch momentan wenige Chancen eingeräumt. Zu viele demokratische Kriterien sind nicht erfüllt.
Zumindest hinsichtlich der Ukraine und Moldau zeichnet sich ab, dass eine Mehrheit der EU-Mitgliedsländer ihren Beitrittsbestrebungen grünes Licht geben will. Einzig Ungarn blockiert. Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán pocht auf EU-Prinzipien, die er bei der Ukraine nicht erfüllt sieht.
Beobachter vermuten jedoch laut einem Bericht der Welt, dass auch Eigennutz dahintersteckt. Orbáns Chefberater jedenfalls sagte am Dienstag gegenüber Bloomberg, Ungarn fordere im Gegenzug für Zugeständnisse in Sachen Ukraine die 30 Milliarden Euro, die die EU derzeit an Hilfsgelder für Ungarn eingefroren hat.
Angst vor Russland treibt die EU um – es geht um geopolitischen Einfluss
Wird die EU auf diesen Erpressungsversuch eingehen? Wenn sie es tut, dann mit Blick nach Osten, gen Russland. Die aktuelle geopolitische Lage verlange es, „zu zeigen, dass die Ukraine in die EU gehört“, analysiert der Politik-Experte Fabian Zuleeg vom „European Policy Centre“ gegenüber der Welt. Die EU müsse handeln und ihre strategische Einflusssphäre vergrößern, sonst werde politisch und wirtschaftlich langfristig als Verlierer dastehen.
Bei einer Erweiterung der EU um die Ukraine und Moldau, möglicherweise auch anderer Staaten des westlichen Balkans, würde sich das Gewicht innerhalb des Bündnisses jedenfalls erheblich in Richtung Osten verschieben. Man erhofft sich so insgesamt mehr Einfluss in der Welt – und auch ein wachsender EU-Binnenmarkt dürfte bei den Bestrebungen wohl eine Rolle spielen.
EU-Erweiterung in Richtung Osten verlangt hohen Preis
Doch neben dem erhofften geostrategischen und wirtschaftlichen Gewinn würden auf die EU auch Probleme zukommen. Etwa Probleme finanzieller Art: Allein der Ukraine würden bei einem EU-Beitritt 186 Milliarden Euro innerhalb von sieben Jahren zustehen. Bei einer Erweiterung um Moldau und Georgien kämen noch einmal 74 Milliarden hinzu, heißt es laut internen Berechnungen in Brüssel, über die die Financial Times und Politico im Oktober berichteten.
Bedeutet: Die bisherigen Kandidaten müssten mehr an die EU zahlen und bekämen dafür weniger. Derzeitige Profiteure von der EU würden womöglich zu Geldgebern werden. Zudem: Einstimmige Abstimmungen innerhalb der EU – auch mit 27 Mitgliedern schon ein zähes Prozedere – würden mit einer erweiterten EU vielleicht zum unmöglichen Unterfangen. Zusammenhalt und Handlungsfähigkeit wären in Gefahr.
Macron und Scholz wollen Beitritt der Ukraine
Dennoch: Den meisten EU-Staaten scheint es der Preis wert zu sein. „Die Frage ist für uns nicht, ob wir erweitern sollen“, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Mai. Die Frage, die sich stelle, sei nur, „wie wir es tun sollen“. Gehe es nach ihm, sollten die neuen Mitglieder „so schnell wie möglich“ beitreten.
Bei ihrem Besuch in Kiew im Juni sprachen sich sowohl Macron als auch Bundeskanzler Olaf Scholz klar dafür aus, der Ukraine rasch den Status einen EU-Beitrittskandidaten zu gewähren. Und wenige Tage später sprach auch die EU-Kommission eine Empfehlung für den EU-Beitritt der Ukraine aus. (smu)
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