Ich war kürzlich auf Mauritius unterwegs. An Stränden, am Pool – ich habe fast nie einen Lifeguard gesehen. Kein stiller Wächter im Turm, der den Horizont absucht. Stattdessen: Menschen, Sonne, Wasser. Und ein Selbstverständnis, dass alle einander im Blick haben.
Das hat mich nachdenklich gemacht: Wie kann das funktionieren? Und: Warum wäre so etwas in Deutschland kaum denkbar?
Ein anderes Verhältnis zum Wasser
In Mauritius ist das Meer allgegenwärtig. Das Rauschen, die Brandung, die Lagune – viele Menschen wachsen damit auf. Kinder lernen früh schwimmen, Familien verbringen Zeit am Meer, Vertrautheit mit Gezeiten und Strömungen gehört zum Alltag. Dieses Umfeld schafft gemeinsame Regeln, auch ohne Durchsagen oder Aufseher: Acht geben, nicht ausscheren, ein Auge auf den Nächsten haben.
Ich sah oft, wie Kinder begleitet wurden, wie Gäste ihre Nachbarn beobachteten. Nicht aus Kontrolle, sondern aus Rücksicht. Diese kollektive Aufmerksamkeit ersetzt in gewisser Weise den Lifeguard – zumindest in vielen Situationen.
Bei uns hingegen ist Wasser oft „abgetrennt“: ein Becken auf dem Gelände, ein ausgewiesener Bereich im See, Zäune, Rettungsgeräte und ganz klar definierte Aufsicht. Viele Menschen haben wenig Erfahrung mit dem Meer, mit Strömungen, mit dem Übergang von seicht zu tief. Das Risiko steigt.
Respekt statt Regeln
Was mir in diesen Tagen besonders aufgefallen ist: Es herrscht ein stiller Respekt voreinander. Niemand springt dicht neben andere ins Wasser, niemand rennt am Pool vorbei oder provoziert. Jeder nimmt Rücksicht, weil er weiß, dass hier kein anderer für seine Sicherheit verantwortlich ist.
Vielleicht liegt darin der Unterschied: Wo keine Kontrolle ist, wächst Eigenverantwortung. Wo kein Schild alles verbietet, achtet man automatisch mehr auf sich und die anderen.
Das ist kein Zufall, sondern eine Kulturfrage. Sicherheit entsteht dort, wo Respekt selbstverständlich ist – nicht, weil man muss, sondern weil man will.
Pools, Resorts und Hotelbereiche
Manche Hotels auf Mauritius weisen ausdrücklich darauf hin, dass kein Lifeguard vorhanden ist und dass man in markierten Schwimmzonen bleiben soll. In den offiziellen Guidelines for Guesthouses steht, dass ein Pool Sicherheitseinrichtungen haben muss – und wenn ein Lifeguard da ist, dieser ausgebildet sein soll.
Auch die Polytechnics Mauritius bieten ein Beach Lifeguard-Programm an, das Grundlagen der Rettung und Erste Hilfe vermittelt. Das heißt: Die Ausbildung existiert, aber sie wird gezielt eingesetzt – nicht flächendeckend, sondern dort, wo sie wirklich gebraucht wird.
Ralf Großmann wuchs im Schwimmbad auf und lebt Bäderbetrieb seit Kindheitstagen. Auf H2ohero.de teilt er seine Erfahrung aus deutschen Bädern – authentisch, alltagsnah und mit Herz für Sicherheit und Qualität. Er ist Teil unseres Experts Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Struktur statt Abwesenheit
Nur weil kein Lifeguard sichtbar ist, heißt das nicht, dass keine Sicherheit da ist. Die Mauritius Beach Authority markiert Badezonen mit Bojen, Tafeln und Hinweisschildern.
Wenn man sich daran hält, funktioniert das System erstaunlich gut. Es lebt vom Mitdenken. Von einem stillen Einverständnis, das auf Gegenseitigkeit beruht: Ich pass auf dich auf – und du auf mich.
Warum wir das nicht einfach übernehmen können
In Deutschland geht das nicht so leicht. Zu groß sind Haftungsfragen, Erwartungen und Vorschriften. Jeder Badegast rechnet mit Aufsicht, jedes Bad braucht Nachweise, jede Gemeinde klare Strukturen.
Ein fehlender Lifeguard wäre bei uns kein Zeichen von Vertrauen, sondern von Fahrlässigkeit. Und genau das macht den Unterschied: Wir haben uns daran gewöhnt, dass jemand aufpasst – und verlernen dabei manchmal, selbst Verantwortung zu übernehmen.
Der stille Wächter
Auf Mauritius ersetzt das Miteinander vieles, was bei uns offiziell geregelt werden muss. Der Lifeguard sitzt dort nicht auf dem Turm, sondern verteilt sich auf viele Schultern.
Der stille Wächter ist das Bewusstsein füreinander.
Ich habe am Strand Familien gesehen, die sich gegenseitig beobachteten, Touristen, die sich gegenseitig warnten, Kinder, die gelernt haben, nicht zu weit hinauszugehen. Kein System der Welt kann das ersetzen.
Fazit
Ja, in Mauritius sitzt oft kein Lifeguard. Aber das heißt nicht, dass niemand wacht. Es ist ein System des Zusammenhalts, der Rücksicht und der kollektiven Aufmerksamkeit.
Todesfälle gibt es auch dort – aber selten, gemessen an den Millionen Badegästen jährlich.
Wir können nicht alles übernehmen, was dort funktioniert. Aber wir können etwas lernen: dass Sicherheit nicht nur durch Aufsicht entsteht, sondern durch Haltung.
Wenn jeder hinschaut, wenn jeder Verantwortung übernimmt, dann braucht man manchmal keinen Turm – sondern nur Menschen, die füreinander da sind.