Abschiebung trotz Ausbildung: Junge Frau (18) muss Deutschland verlassen – Wut und Fassungslosigkeit

  1. Startseite
  2. Deutschland
  3. Hessen

Kommentare

Rund 80 Teilnehmer finden sich am Montag zu einer Mahnwache vor dem Regierungspräsidium in Gießen zusammen. Sie setzen sich für die Rückkehr der 18-jährigen Aysu nach Deutschland ein. © Constantin Hoppe

Eine 18-Jährige aus Großen-Linden wurde Ende der vergangenen Woche in ihr Heimatland Aserbaidschan abgeschoben - trotz Aussicht auf einen Ausbildungsplatz. Gegen ihre Rückführung regt sich nun Widerstand.

Linden/Gießen - Die Wut und Fassungslosigkeit der Menschen, die sich am Montag vor dem Regierungspräsidium in Gießen zusammenfanden, ist spürbar. »Holt Aysu zurück«, skandieren sie immer wieder. Weil eine 18-Jährige am vergangenen Donnerstag Deutschland verlassen musste - trotz Schulbesuch und bestehendem Ausbildungsvertrag.

Aysu, eine junge Frau aus Aserbaidschan, lebte bislang in einer Mädchenwohngruppe in Großen-Linden. Vor zwei Jahren kam sie mit ihren Eltern nach Deutschland. Bereits kurz darauf wurde ihr straffällig gewordener Vater in sein Heimatland abgeschoben. Und ihre Mutter verschwand - wo sie sich heute aufhält, ist unbekannt - und ließ die damals 16-Jährige alleine zurück. Seitdem galt sie als unbegleitet Minderjährige.

Aysu durfte keine Arbeit nachgehen – 18-Jährige bekommt Panikattacke

Doch Aysu biss sich durch: Sie lernte Deutsch, machte einen Schulabschluss in Wetzlar und wollte dieser Tage eine Ausbildung zur Pflegefachkraft in Linden beginnen. Am Donnerstag brachen die 18-Jährige und der Leiter der Jugendwohngruppe, Elmar Schaub, zu einem turnusgemäßen Termin in die Ausländerbehörde des Landkreises auf. »Wir waren guter Dinge und haben gescherzt«, erinnert sich Schaub. Dazu hatten sie allen Grund, gingen sie doch davon aus, dass Aysu endlich ihre Arbeitsberechtigung erhalten solle. Denn bislang wurde sie in Deutschland nur geduldet und durfte darum keiner Arbeit nachgehen.

»Als wir dort im Büro saßen, kamen plötzlich drei Polizisten herein und erklärten uns, dass Aysu Deutschland verlassen müsse«, sagt Schaub. Für die 18-Jährige sei eine Welt zusammengebrochen. »Sie hat eine Panikattacke bekommen und ist schließlich ohnmächtig vom Stuhl gefallen«, erzählt Schaub. Noch am Donnerstag um 18.30 Uhr hob der Flieger aus Frankfurt nach Baku ab - Aysu mit an Bord.

„Sie war ein Beispiel dafür, wie gut die Unterbringung in einer Wohngruppe sein kann“

Zu ihren Unterstützern vor dem Regierungspräsidium gehören unter anderem die Leiter der Lindener Wohngruppe, ihre bisherigen Mitbewohnerinnen und die »Omas gegen Rechts«. Sie alle wollen erreichen, dass die 18-Jährige zurück nach Deutschland darf. Aysu sei gut integriert gewesen, habe in kurzer Zeit die Sprache gelernt und sei ein Vorbild in ihrem Umfeld gewesen. »Sie war ein Beispiel dafür, wie gut die Unterbringung in einer Wohngruppe sein kann«, erklärt Schaub.

Besonders unverständlich finden er und alle anderen bei der Mahnwache, dass eine zukünftig gefragte Fachkraft in der Pflege abgeschoben werde, während im Ausland Werbung für Pflegefachkräfte gemacht wird.

»Da sind Sachen passiert, die dürfen so nicht passieren«, Schaubs Stimme ist die Wut anzuhören. »Wie kann man jemanden verhaften und abschieben, der sich bemüht und etwas Gutes tun will und von dem auch unser Land etwas hat?«

Ausbildungsplatz in Linden für Aysu stand bereit

Noch etwas macht diesen Fall der Abschiebung zu etwas Besonderem, sagt Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrats, der sich ebenfalls der Kundgebung angeschlossen hat. Denn Aysu wurde unmittelbar aus einer Jugendhilfeeinrichtung abgeschoben. Quasi unter dem Schutz des Landkreises heraus. Erst im März, unmittelbar nach ihrem 18. Geburtstag, hatte die junge Frau einen Antrag gestellt, weiter in der Wohngruppe leben zu dürfen. Seit Juni war bekannt, dass sie den Ausbildungsplatz in Linden bekommen könne.

Warum die Duldung von Aysu nicht verlängert worden sei, fragen sich am Montag viele - eine Antwort blieb aus.

Die Hoffnung der Unterstützer: Die junge Frau zurück nach Deutschland zu holen. Die Schwierigkeit daran ist, dass nach ihrer Abschiebung gegen sie ein Wiedereinreise-Verbot besteht. Dieses sollte aufgehoben werden und Aysu zurück nach Deutschland geholt werden - für die Ausbildung zur Pflegefachkraft, erklärt Gerlinde Bauer von den »Omas gegen Rechts«: »Mag die ganze Republik, von rechten Wahlerfolgen getrieben, sich in Abschiebungshysterie überbieten - in unserer Stadt wollen wir das nicht zulassen!«

Abschiebung aufgrund einer Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge

Dafür hatte der Verein, der auch zu der Mahnwache aufgerufen hatten, einen Brief an das Regierungspräsidium vorbereitet, um seine Forderungen kundzutun. Diesen wollte am Montag jedoch niemand annehmen - bis sich der Bundestagsabgeordnete Felix Döring (SPD) einschaltete und im Regierungspräsidium anrief. Kurz darauf durften er und eine Vertreterin des Vereins das Schreiben überbringen.

Wie das Regierungspräsidium Gießen am Montagabend in einer Mitteilung erklärte, erfolgte die Abschiebung aufgrund einer Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Die Ausreisepflicht habe in diesem Fall bereits seit zwei Jahren bestanden, eine freiwillige Ausreise sei nicht erfolgt und frühere Abschiebeversuche seien nicht erfolgreich verlaufen. Genauere Details in dem Fall könne das RP nicht liefern: Diese dürfen erst nach einer schriftlichen Schweigepflichtsentbindung der betroffenen Person erteilt werden, so ein RP-Sprecher.

Nach Angaben aus ihrer bisherigen Wohngruppe hat niemand Aysu in Baku erwartet - die 18-Jährige sei in ihrem Heimatland auf sich alleine gestellt. Mittlerweile habe sie sich zumindest eine Unterkunft organisiert, berichtet die Leitung der Wohngruppe, die nach wie vor Kontakt zu ihr hält. (con)

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion