Erding im Aufruhr: Wir sind Klopp
Der Meistertrainer kommt, und jeder Erdinger will und darf aufs Foto. Und die Fußballer des FC Hörgersdorf haben einen besonderen Grund für ein Treffen.
Erding - Alle reden von Liverpool, Dortmund und Mainz, doch auch den FC Hörgersdorf hat Jürgen Klopp zur Meisterschaft geführt. Zumindest war sein Videogruß bei der Sportgala der Heimatzeitung (wir berichteten) nochmal ein kräftiger Motivationsschub fürs Titelrennen im Jahr 2023. Deswegen steht nun eine FCH-Delegation vor dem Weißbräuzelt und hofft auf ein paar Worte mit dem Meistertrainer. Denn es ist Klopp-Tag in Erding, der erste überhaupt.
Vor fünf Jahren engagierte ihn der Erdinger Weißbräu als Markenbotschafter, am Montag ist er zum ersten Mal in die Stadt gereist, die nun Kopf steht. Die lokale Prominenz füllt nach dem Eintrag ins Goldene Buch ihre Insta- und sonstigen Social-Media-Seiten, auf dem Erdinger Herbstfest laufen am Dienstag mehr Menschen im Liverpool- als im Bayern- oder Sechzger-Dress rum – und Jürgen Klopp? Lässt sich erst einmal mit Tracht im Gewandhaus Gruber ausstatten.
Es ist noch nicht einmal 9 Uhr, als der Fußballtrainer seinen Tag mit Shopping beginnt. Danach geht’s weiter zur gemeinsamen Brauereiführung mit Magdalena Neuner, der andere Sport-Superstar des Weißbräu. Die Düfte aus der Mälzerei seien ihm bestens vertraut, erzählt Klopp. Seine Oma hatte einst eine Brauerei im Schwarzwald. Das erzählt er dann vor den Weißbräu-Mitarbeitern auf dem Firmengelände. Eine kleine Bühne ist aufgebaut, die gut 200 Plätze davor füllen sich schnell.
Isabel Losleben, viele Jahre Fußballerin beim FC Langengeisling, freut sich auf Klopps Auftritt („Ich mag, wie er über die Emotionalität seine Mannschaft erreicht“), der Berglerner Fußballer Fabian Taubmann ebenso („Ich würde gern so spielen, wie er es in der Premier League praktiziert hat, taktisch anspruchsvoll, aber auch mit einer gewissen Härte“). Ineke Ramakes sitzt trotz eines Schlüsselbeinbruchs in der ersten Reihe, im Dortmund-Dress. „Ich hoffe, dass er da unterschreibt, auch wenn er schon lange nicht mehr bei meinem BVB ist“, sagt sie.

Natürlich macht er das, ehe er mit Wolfgang Kuffner auf der Bühne steht. Der neue Geschäftsführer Marketing und Vertrieb der Brauerei moderiert die gemeinsame Fragerunde. Schnell wird klar: Klopp mag zwar erstmals in Erding sein („So nah am Flughafen und trotzdem kein Fluglärm? Wow“), aber man kennt sich. Kuffner und Klopp nehmen sich auf die Schippe, der Umgang ist so, wie es sich der 57-Jährige wünscht: „Nach außen riesengroß, nach innen familiär“, so sei es auch bei seinen drei Klubs gewesen. „Das Glück hatte ich dreimal, aber ich will es nicht strapazieren“, sagt er. Bekanntlich hat er nach neun Jahren den FC Liverpool verlassen, den er einst als Zehntplatzierten der Premier League übernommen und zum Meister gemacht hat.
„Das jetzt ist die erste Fußballsaison seit 2001 ohne Jürgen Klopp“, sagt Kuffner. „Und es hat trotzdem geklappt“, entgegnet dieser lachend. Die vergangenen 23 Jahre habe er ganz gut hingekriegt, aber den Vereinen gehe es auch ohne ihn gut. Außerdem: „Ich bin nicht in Rente, ich habe Pause.“ Das ist die gute Nachricht, die schlechte: Löwen-Trainer wird er nicht. „Wie sagt der Schönheitschirurg nochmal? Enthauptungen nehmen wir nicht vor“, scherzt er. Überhaupt ist er bestens gelaunt, weil es ihm mit seiner Entscheidung gut gehe, betont er.
In den vergangenen Jahren „war ich in keinem Moment zu 100 Prozent bei den Leuten, weil ich immer dachte, dass ja gleich mein Handy summen könnte. Und heute weiß ich nicht einmal, wo gerade mein Handy liegt“. Jetzt sei die Zeit für die privaten Dinge, wobei er bei der Hausarbeit nur für den Hol- und Bring-Dienst zu gebrauchen sei, also für Getränkekisten und Müllentsorgung.
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Da muss Magdalena Neuner, Mutter von drei Kindern, ein wenig schmunzeln. Sie verrät, dass sie das Wohn- zum Bügelzimmer gemacht hat, um möglichst viel von Olympia zu sehen. Auch Klopp schwärmt von Olympia und den Paralympics. Er erzählt die Geschichte des körperlich beeinträchtigten Brasilianers. „Der schwimmt die 100 Meter Rücken in 1:47 Minuten, gewinnt Gold und strahlt die größte Lebensfreude aus, die ich in den letzten zehn Jahren gesehen habe“, erzählt Klopp und fragt: „Und jetzt stellen wir uns vor, wie es ihm gehen würde ohne Sport? Wo er sich dieses Selbstbewusstsein sonst holen kann.“
Ich bin nicht in Rente, ich habe Pause.
Als Kuffner die vielen Krisen der Welt anspricht, meint Klopp: „Ich hoffe, hier sitzt keiner, der von mir die Antwort erwartet, wie man politische Probleme regelt.“ Das könne er nicht. „Aber ich wäre superhappy, wenn Deutschland Olympia kriegen würde. Es würde uns ein Licht am Ende des Tunnels geben, so dass wir nebenher an einer positiven Sache arbeiten könnten.“ Die richtige Herangehensweise sei idealerweise positiv. „Positiv basiert auf Optimismus. Optimismus basiert auf den Dingen, die uns jeden Tag begegnen. Und dazu kann der Sport beitragen.“
Klopp spricht über Franz Beckenbauer, der der Held seiner Kindheit gewesen sei und den er 2005 kennenlernen durfte. „Er ist so normal aufgetreten, und da wusste ich: Du musst eben kein Arschloch werden, wenn du ein Star bist.“ Das Gleiche habe für Pele gegolten – „die beiden größten Fußballer und gleichzeitig die besten Kerle“. Magdalena Neuner bezeichnet er als „absoluten Superstar, ich habe jede Sekunde geliebt, wie sie aktiv war. Und ich habe es geliebt, wie sie ihre Karriere beendet hat, und ich mag es total, wie sie heute da steht: ein Superstar, der glücklich geblieben ist“. Vorher hatte die Biathlon-Olympiasiegerin ihn schon als „total nahbar, lustig, humorvoll und bodenständig“ bezeichnet.
Ähnlich sieht das Dortmund-Fan Ramakes: „Ein ganz sympathischer Mann und überhaupt kein Star-Gehabe“. Sie hat nicht nur ihr Autogramm bekommen, sondern auch ein gemeinsames Bild. Ein sehr gemeinsames Bild, denn alle anwesenden Weißbräu-Mitarbeiter wollen mit dabei sein, weshalb das Unternehmen eine Tribüne aufbauen ließ.

Es wird nicht das letzte Foto sein. Klopps letzter offizieller Erding-Termin steigt auf dem Herbstfest mit den Sportlern vom Team Erdinger Alkoholfrei, wo er für zahllose Selfies lächelt. Und da wären noch die Fußballer vom FC Hörgersdorf, die auch zwei Jahren nach der Sportgala beeindruckt waren, vom Trainer, der ihren verpassten Aufstieg mit seinen Tiefschlägen beim FSV Mainz verglichen und Mut zugesprochen hat. „Und seid ihr dann im Jahr danach aufgestiegen?“, fragt Klopp. „Natürlich“, sagt Fußballchef Josef Schmittner. Jetzt ist das Team nach vier Spielen noch punktlos. „Ist ja noch früh in der Saison“, beruhigt Klopp. Mehr ist es diesmal nicht an aufbauenden Worten, aber vielleicht reicht das schon. Der nächste Gegner – ausgerechnet der einstige Aufstiegsrivale Türkgücü – sollte sich auf was gefasst machen.