Renten-Kaufkraft im Tölzer Land gering – Senioren von Altersarmut betroffen: „Die Leute schämen sich“
Die Renten-Kaufkraft im Tölzer Land ist im Deutschland-Vergleich gering. Für einige Senioren bedeutet das, dass sie im Alter in Armut leben müssen. Besonders Frauen sind betroffen.
Bad Tölz-Wolfratshausen – Der Landkreis ist ein teures Pflaster. Die Lebenshaltungskosten sind wie im gesamten Oberland überdurchschnittlich hoch. Eine aktuelle Studie des Prognos-Instituts im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft zeigt: Gerade auf Rentner hat das Auswirkungen. Die regionale Kaufkraft der Rente lag im Jahr 2021 bei nur 925 Euro. Damit liegt der Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen auf Platz 367 von 400. Zwar haben einige Rentner auch privat oder betrieblich vorgesorgt. Für viele Senioren bedeutet die niedrige Kaufkraft jedoch, dass sie im Alter in Armut leben müssen. Im Alltag sind Betroffene dadurch teils stark eingeschränkt, betonen Vertreterinnen von Sozialverbänden.
Teure Gastronomie, wenig günstiger Wohnraum: Schwierige Situation für Senioren mit kleiner Rente
Für Ruth Kunzmann, Vorsitzende des VdK-Ortsverbands Tölzer Land, ist der Kampf gegen Altersarmut eine Herzensangelegenheit. Vor allem die hohen Preise in der Gastronomie geben ihr zu denken. „Essen gehen ist gigantisch teurer geworden“, sagt Kunzmann. „Wer kauft sich denn einen Schweinebraten für 16 Euro?“ Daran merke sie am häufigsten, wie viele anfangen zu sparen. „Die Leute teilen sich zusammen ein Getränk und einen Obazdn.“
Gerade für chronisch Kranke sei es jedoch gefährlich, schlecht zu essen. Auch günstiger Wohnraum sei immer schwieriger zu bekommen, ergänzt Kunzmann. „Wir bieten Unterstützung an“, berichtet die VdK-Ortsvorsitzende. Vielen helfe es bereits, bei der Sprechstunde auf ein offenes Ohr für Sorgen zu stoßen. „Aber die Hilfe wird selten genommen, weil die Betroffenen sich schämen. Die Leute sind einfach traurig.“
Aber die Hilfe wird selten genommen, weil die Betroffenen sich schämen. Die Leute sind einfach traurig.
Kunzmann fordert daher Vergünstigungen für Betroffene, etwa ein kostenloses Busticket. Auch bei der Inklusion sei noch viel Luft nach oben, mahnt sie an: „Es gibt in Bad Tölz zwei Gaststätten, die man mit dem Rollstuhl besuchen kann.“ Denn viele Wirtshäuser hätten ihre Toiletten im Keller.
Altersarmut: Sozialverbände wollen Vorurteile abbauen
Es gehe bei der Altersarmut auch darum, Vorurteile abzubauen. Junge Menschen seien schließlich die Rentner von morgen. „In Deutschland gilt: Wenn du was geleistet hast, hast du im Alter auch Geld. Aber wie soll sich eine Familie im Niedriglohnsektor etwas ansparen?“, fragt sich Kunzmann.
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„Wir wissen von Senioren, die essen nur Haferflocken“, sagt auch Ellen Wagner, Fachdienstleitung Soziale Dienst bei der Caritas. Das Thema sei bei den Betroffenen „schambehaftet“. Allerdings habe Altersarmut „konkrete Auswirkungen auf die Lebensqualität“. Die wiederum hänge auch vom Wohnort ab. „Gerade in kleineren Orten ist es schwierig, am Leben teilzunehmen, wenn man nicht mobil ist.“
Altersarmut ist auch im Oberland verbreitet
Entgegen vieler Meinungen sei Altersarmut auch im Tölzer Land verbreitet. Umso wichtiger sei es, dass bei Jüngeren ein größeres Bewusstsein für das Thema geschaffen wird. Betroffene sollten sich außerdem „trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen“. Schon mit Kleinigkeiten könne man vielen sehr helfen.
Sozialpädagogin Isabelle Hagen von der Diakonie nennt ein weiteres Beispiel. „Mir ist es oft begegnet, dass Rentner hohe Zuzahlungen bei Medikamenten haben“, berichtet Hagen. „Und da geht es um Medikamente, die unerlässlich für die Gesundheit sind.“ Auch Dinge wie orthopädische Schuhe seien oft sehr teuer. „Das ist dann der Punkt, wo die Betroffenen sagen: ,Ich weiß nicht mehr weiter.’“
„Eine Lage, für die viele nichts können“: Hilfe wird selten in Anspruch genommen
Mobil zu bleiben, ist im Alter für viele ein wichtiges Thema. Doch die Kosten dafür steigen immer weiter. „Die Leute kommen nicht mehr raus und können nicht mehr am Leben teilnehmen“, warnt Hagen. „Die Menschen bleiben zu Hause, und da ist niemand.“ Als Folge dieser Einsamkeit entstehe ein Teufelskreis. „Wenn man keine soziale Teilhabe hat, kriegt niemand mehr mit, wie es den Betroffenen geht“, erklärt Hagen. Das Thema Altersarmut sei mit vielen Tabus behaftet. „Die Personengruppen sind oft sehr genügsam, sie wollen viel allein schaffen und ihre Ansprüche nicht so stark durchsetzen – zumindest ohne Hilfe“, beobachtet Hagen. Dabei gebe es durchaus Möglichkeiten, wie Rentner Unterstützung erhalten können.
„Es ist eine Lage, für die viele nichts können“, analysiert die Sozialpädagogin. Die Menschen seien „wahnsinnig dankbar, wenn sie die Unterstützung bekommen, die ihnen zusteht“. Hilfe zu beantragen, sei jedoch oft mit Hürden verbunden. „Es ist sehr aufwendig, alle nötigen Anträge und Unterlagen auszufüllen“, berichtet Hagen und appelliert: „Wir sollten Brücken bauen für die gesellschaftliche Teilhabe.“
Ein Mann ist keine Lebensversicherung.
Betroffen von Altersarmut sind häufig Frauen, erläutert Seniorenbeirätin Ute Reuter. In Bayern sei die Altersarmut bei Frauen am höchsten. Jede dritte Frau bekomme eine Rente zwischen 300 und 600 Euro. Frauen seien daher oft von ihren Partnern abhängig. „Ein Mann ist keine Lebensversicherung“, warnt Reuter und appelliert an alle jungen Frauen, sich für den Notfall zu wappnen. „Altersarmut beginnt in jungen Jahren.“ (vfi)