Ernährungswissenschaftler Uwe Knop - „Nahrhafte Bestandteile der Toten“ – Forscher finden klare Spuren von Kannibalismus
Die dunklen Geheimnisse der Menschheitsgeschichte geben weiterhin Rätsel auf. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop taucht tief in die Praxis des Kannibalismus unserer Vorfahren ein und liefert überraschende Einblicke.
Was hat die neue Studie zum Kannibalismus unserer Vorfahren gezeigt?
Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Göttingen hat in einer aktuellen Studie folgende neue Erkenntnisse zum Bestattungsritual späteiszeitlicher Gesellschaften in Mitteleuropa veröffentlicht: Verarbeitungsspuren an menschlichen Überresten aus der Maszycka-Höhle in Südpolen deuten auf eine systematische Zerlegung der Verstorbenen hin - und das ist ein klares Zeichen für alltäglichen, kulturellen Kannibalismus.
Das Forscherteam identifizierte mit modernen Methoden eindeutige Spuren, die auf eine Zerlegung der Menschen unmittelbar nach ihrem Tod hindeuten. Schnittspuren an Schädelfragmenten zeugen vor einer Abtrennung von Muskelansätzen und der Kopfhaut, während lange Knochen zerschlagen wurden, um an das Knochenmark zu gelangen.
Der Erstautor Francesc Marginedas vom Catalan Institute of Human Paleoecology and Social Evolution erklärt dazu: „Die Position und Häufigkeit der Schnittspuren sowie die gezielte Zerschlagung von Knochen lassen keinen Zweifel, dass hier nahrhafte Bestandteile der Toten gewonnen werden sollten.“
Über Uwe Knop

Uwe Knop, Jahrgang 1972, ist Diplom-Ernährungswissenschaftler, Buchautor, und Referent für Vorträge bei Fachverbänden, Unternehmen und auf Ärztefortbildungen. Sein neues Buch "ENDLICH RICHTIG ESSEN" erschien im August 2024.
Warum haben sich die Menschen gegenseitig gegessen, war es „Kannibalismus aus Not“?
Die vielfältigen künstlerischen Zeugnisse weisen auf günstige Lebensbedingungen in dieser Zeit hin. „Daher erscheint es unwahrscheinlich, dass der Kannibalismus aus Not praktiziert wurde“, so Prof. Dr. Thomas Terberger, Mitautor von der Universität Göttingen. Es ist demnach eher möglich, dass es sich um Gewaltkannibalismus handelt.
“Nach dem Kältemaximum der letzten Eiszeit kam es zu einem Bevölkerungswachstum, und das kann zu Konflikten um Ressourcen und Territorien geführt haben. Und Kannibalismus ist vereinzelt bereits im Zusammenhang mit Gewaltkonflikten bezeugt. Außerdem sind in der Maszycka-Höhle menschliche Überreste mit Siedlungsabfall vermischt, was auf keinen respektvollen Umgang mit den Toten hindeutet", ergänzt Erstautor Marginedas.
Rein aus ernährungsphysiologischer Sicht können Menschen also Menschenfleisch essen?
Ja, rein aus ernährungsphysiologischer Sicht ist das kein Problem. So makaber es klingt: Rein organisch können Menschen Menschen gut verdauen. Einer der bekanntesten Fälle von Kannibalismus ist der Absturz des Fluges 571 der uruguayischen Luftwaffe in den Anden im Jahr 1972.
Die Überlebenden waren über 70 Tage in extremer Kälte und ohne Nahrung gefangen. Um zu überleben, sahen sie sich gezwungen, das gefrorene Fleisch der verstorbenen Passagiere zu essen. Die Überlebenden des Flugzeugabsturzes mussten also zu Kannibalen werden, um nicht selbst zu sterben.
Wie ist der Verzehr von Menschenfleisch gesetzlich, ethisch und moralisch zu bewerten?
Der Verzehr von Menschenfleisch ist ein ethisch und moralisch hochkomplexes Thema. In extremen Notsituationen, wie dem oben genannten Flugzeugabsturz, stellt sich die Frage, ob das Überleben des Einzelnen über dem Respekt vor dem menschlichen Körper und den Toten steht.
Die Meinungen darüber gehen auseinander, und es gibt keine einfachen Antworten. Rechtlich gesehen ist Kannibalismus illegal, auch in Notsituationen. Es gibt jedoch juristische Argumente, die besagen, dass in extremen Notsituationen, in denen das Überleben auf dem Spiel steht, Handlungen gerechtfertigt sein könnten, die normalerweise als illegal gelten.
Aber auch das ist nur eine Facette - hinzu kommt der psychologische Faktor: Die Überlebenden des Flugzeugabsturzes in den Anden berichteten von schweren psychischen Belastungen aufgrund ihre Handlungen. Sie litten unter Schuldgefühlen, Traumata und Depressionen. Andere Menschen zu essen, mit denen man sich vorher noch nett unterhalten hat, das ist vielleicht körperlich, aber sicher nicht seelisch leicht zu verdauen.
Dieser Content stammt vom FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.