Verschenktes Potenzial für Deutschland: Großwärmepumpen können Energiekrise lösen

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Unsere Industrie und Energiegewinnung auf Klimaneutralität umzustellen, wird eine Herkulesaufgabe. Großwärmepumpen bieten dabei viel ungenutztes Potenzial, wie ein Beispiel aus Italien zeigt.

Brescia – Warum viele kleine Wärmepumpen, wenn eine Große viel mehr schafft? In Dänemark, das die Wärmewende viel früher als Deutschland angepackt hat, steht beispielsweise die weltgrößte Wärmepumpe, die 100.000 Menschen über ein Fernwärmenetz mit Wärme versorgt. Diese Technologie bietet ebenso Potenzial für Deutschland, das aber noch ausgeschöpft werden muss. Ein Beispiel dafür, wie das aussehen könnte, bietet auch ein Wärmepumpenprojekt in einem Stahlwerk im italienischen Brescia, das mehrere tausend Haushalte dort versorgt.

Das Stahlwerk ORI Martin in Brescia hat eine Großwärmepumpe von Turboden einbauen lassen
Das Stahlwerk ORI Martin in Brescia hat eine Großwärmepumpe von Turboden einbauen lassen, die tausende Haushalte mit Wärme versorgt. © Turboden

Brescia: Großwärmepumpe in Stahlwerk versorgt tausende Haushalte mt Fernwärme

Überall in Europa zerbricht man sich jetzt den Kopf, wie die Energiewende zu schaffen ist – dabei geht es nicht nur um Umweltschutz und Nachhaltigkeit, sondern auch um Unabhängigkeit von anderen Weltmächten wie beispielsweise Russland. Großwärmepumpen sind eine Technologie, die dabei helfen kann – weshalb auch Goldgräberstimmung bei Turboden im norditalienischen Brescia herrscht. Das Unternehmen, das zur japanischen Mitsubishi Heavy Industries Group gehört, produziert eigentlich Turbinen und ist nun ins Großwärmepumpengeschäft eingestiegen.

Ihr erstes Projekt haben sie vor ihrer Haustür umgesetzt – für das Stahlwerk ORI Martin in Brescia, das eine Großwärmepumpe von Turboden einbauen ließ. Es zeigt, wie die riesigen Geräte für die Energiegewinnung in der Industrie verwendet werden können. Dabei wird die Wärme aus der Kühlung des Stahlherstellungsprozesses mithilfe einer Großwärmepumpe für die Fernwärme genutzt, anstatt sie zu „verschwenden“, also über Kühltürme abzuführen. Seit vergangenem Jahr in Betrieb, versorgt sie 3500 Haushalte, die über den örtlichen Energieversorger die Fernwärme bekommen. Dabei werde die Energie den Besitzern von ORI Martin zufolge dem Versorger „zu einem sehr niedrigen Preis“ verkauft. Dazu werden pro Jahr 5000 Tonnen CO₂ eingespart.

Die Idee, die Abwärme des Stahlwerks für das lokale Fernwärmenetz zu nutzen, reiht sich in die Bemühungen der Besitzer des Stahlwerks ein, nachhaltiger zu produzieren. Bei einem Stahlwerk – einer sehr umweltschädlichen Industrie – ist das natürlich eine Mammutaufgabe, auch wenn dieses wie die meisten italienischen Stahlwerke nicht mit Kohle betrieben wird, sondern elektrisch. Das hat historische Gründe: Italien hat anders als Deutschland kaum Kohlevorkommen – kann dafür im Norden des Landes aber die Wasserkraft für Strom nutzen. Zudem wird bei ORI Martin für die Herstellung von Baustahl Stahlschrott genutzt.

Im Stahlwerk ORI Martin in Brescia wird Wert auf Nachhaltigkeit gelegt.
Im Stahlwerk ORI Martin in Brescia wird Wert auf Nachhaltigkeit gelegt. © ORI Martin

„Wenn man sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt, muss man langfristig denken“

Nun ist die Wärmepumpe dazugekommen – Kostenpunkt der Investition total: 6,5 Millionen Euro. Etwas Hilfe gab es von der Europäischen Union und dem italienischen Staat, aber die Hauptkosten musste das Unternehmen tragen. Nachhaltigkeits-Managerin Carolina de Miranda, deren Familie das Unternehmen in vierter Generation gehört, geht davon aus, dass es etwa zehn Jahre dauern werde, bis sich die Wärmepumpe rechnet.

Das Stahlwerk ORI Martin wird elektrisch betrieben.
Das Stahlwerk ORI Martin wird elektrisch betrieben. © ORI Martin

„Wenn man sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt, muss man langfristig denken“, sagt sie im Gespräch mit Ippen.Media. Der Hauptgrund sei auch kein finanzieller gewesen, „sondern dass wir unserer Gemeinschaft, unserer Stadt helfen können. Wir wollen unser Image stärken, weil wir ein großes Unternehmen im Zentrum der Stadt sind. Wir arbeiten jeden Tag daran, nachhaltiger zu werden und neue Lösungen zu finden, um uns zu dekarbonisieren.“

Millionen für Nachhaltigkeit und gute Nachbarschaft? Wer sich darüber wundert, muss nur einen Blick in den Süden Italiens werfen: Dort grassiert seit Jahren ein Skandal um die Hafenstadt Tarent und das benachbarte Stahlwerk, das für die erhöhte Sterblichkeitsrate dort verantwortlich gemacht wird. Das artete dermaßen aus, dass der europäische Menschenrechtsgerichtshof vor einigen Jahren Italien verurteilte, weil es die Bevölkerung rund um das Werk in Tarent nicht ausreichend schützt. Offenbar wurden über Jahrzehnte keine Umwelt- und Sicherheitsstandards eingehalten.

Industrie in Europa muss klimaneutral werden

Mehr Nachhaltigkeit kann also vor allem die Stahlindustrie gut gebrauchen. Und wenn sich die Industrie in Europa in den nächsten Jahrzehnten im Rahmen des „Green Deal“ ausreichend dekarbonisieren soll, stehen nicht nur die Stahlhersteller, sondern auch viele andere Industrien, wie die Zementhersteller vor großen Herausforderungen. Zudem ist es unwahrscheinlich, dass diese ohne massive Förderung eine Klimaneutralität erreichen können.

Da sind Projekte wie eine Großwärmepumpe eine gute Möglichkeit, nachhaltiger zu werden. Bei ORI Martin will man ein Beispiel für andere Unternehmen sein, die ihre Abwärme nutzen könnten, um zum Beispiel Energie für die Fernwärme zu erzeugen. „Ich denke, dass wir die ersten in Europa sind, die diese Art von Projekt durchführen. Aber ich bin überzeugt, dass es noch viele andere Unternehmen in Italien, in Europa, auf der Welt gibt, die diese Art von Großwärmepumpen nutzen können“, sagt de Miranda.

Turboden: Wärmepumpen-Hersteller in Goldgräberstimmung

Und Deutschland? Auch hier gibt es viel Potenzial, glaubt der Wärmepumpenhersteller Turboden. Dort sei man deshalb mit vielen Stadtwerken im Gespräch – vor allem in Bayern und entlang des Rheins. Dabei hofft man auf zahlreiche Aufträge: Der Markt sei so stark am Wachsen, dass man eher Probleme haben werde, die Nachfrage zu befriedigen, als dass man Konkurrenz fürchten müsse, sagt Paolo Bertuzzi, CEO und Managing Director von Turboden, gegenüber Ippen.Media. Für Bertuzzi sind Großwärmepumpen kein kurzfristiger Trend, sondern eine nachhaltige Entwicklung, bei der man vor allem auf langfristige Kundenbeziehungen setze.

Turboden ist schon jetzt in Deutschland nicht unbekannt: Die Italiener lieferten die Turbinen für das neuartige Geothermiekraftwerk Geretsried bei München, auf dem große Hoffnungen ruhen – nämlich mit ähnlichen Projekten Deutschlands Energiegewinnung umweltfreundlich, nachhaltig und unabhängig zu machen.

Großwärmepumpen in Deutschland: Viel ungenutztes Potenzial

Auch Großwärmepumpen könnten dabei eine große Rolle spielen: Bis 2045 könnten diese in Deutschland 70 Prozent der Fernwärmeversorgung sicherstellen und somit einen Großteil des Erdgases ersetzen, ergab eine Analyse der Denkfabrik Agora Energiewende von 2023. Bisher gibt es in Deutschland mindestens 30 Großwärmepumpen mit einer Gesamtleistung von 60 Megawatt. Am bekanntesten ist wohl die riesige Flusswärmepumpe in Mannheim, die seit vergangenem Jahr 3500 Haushalte beliefert.

Doch noch bleiben viele Möglichkeiten ungenutzt: Neben regulatorischen Hemmnissen liege das auch am zu langsamen Ausbau der Stromnetze, hohen Strompreisen und fixen Netzentgelten, kritisieren der Maschinenbauverband VDMA und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) auf dem „Forum Großwärmepumpe“, das erst im Februar ausgerichtet wurde. Zudem seien Großwärmepumpen in Deutschland ohne gezielte Förderungen derzeit nicht wirtschaftlich zu betreiben, heißt es laut Tagesspiegel auf dem Forum.

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