„Regt euch doch auf“ – Kolumne von Julia Ruhs - „Linksgrün durchseucht" - hautnah erlebe ich, wie Menschen ARD und ZDF verabscheuen
„Die Meinung, die Sie hören wollen“
Weiter geht‘s. Meine Kamerafrau und ich laufen zu einem Café, auf der Terrasse sitzen ein paar Leute. Einer der Männer schaut uns neugierig an. Vermutlich Rentner. Als ich ihn grüße und nach seiner Meinung zu Windrädern frage, seufzt er und sagt: „Warten Sie doch kurz auf meine Frau, die hat die Meinung, die Sie hören wollen.“ Sie sei nämlich sehr umweltbewusst.
Wie er denn darauf komme, dass ich seine Meinung nicht hören will, stelle ich mich dumm. Ach, die Medien würden über all diese Klimadinge eben sehr positiv berichten, sagt er.
Eigentlich bin ich interessierter an seiner Meinung als an der seiner Frau, erwidere ich. Schließlich brauche ich dringend noch eine Contra-Stimme. Er müsse sich keine Sorgen machen, dass ich das nachher unfair zusammenschneide, versichere ich ihm.
Er bleibt bei seinem Nein. Erzählt, dass früher alles viel liberaler gewesen sei. „Der eine hatte die eine Meinung, der andere eine politisch ganz andere.“ Aber das habe man eben ausgehalten, man habe sich vertragen. Heute sei alles so unerbittlich geworden.
Die Angst, von uns falsch dargestellt zu werden
Nächste Station: Die Bäckerei. Auch die Frau hinterm Bäckertresen ist pro Windräder. Mist. Ich frage einen Kunden, der gerade davoneilen will. Windräder? Die sehe er schon kritisch. Treffer. Aber das vor der Kamera sagen? Der Blick schweift aufs BR-Logo. Nein. Er habe Angst, von uns falsch dargestellt zu werden, sagt er. Vor der Bäckerei wartet ein Bekannter von ihm, der scheint ähnlich zu denken. Also ein letztes Mal Überzeugungsarbeit: Ich sei bei Meinungen generell sehr tolerant, sage ich – und bin übrigens keine Grüne.
Am Ende sagen sie doch was in die Kamera, beide. Er habe oben im Norden tote Bussarde auf der Straße gesehen, erzählt der eine. Es gebe so viele Vögel und Insekten, die durch Windräder geschreddert würden. Das würde man bei all der Windkraft-Euphorie vergessen. „Das ist alles eine Hektik, wie auch beim Heizungsgesetz. Das Volk wird kirre gemacht. Oh Gott, die Welt geht unter.“ Er wünscht sich, dass alles etwas nüchterner betrachtet und nicht so hysterisch diskutiert werde.
- Lesen Sie auch von Julia Ruhs:„Regt euch doch auf“ – Kolumne von Julia Ruhs - Im Klima-Kampf müssen wir uns wegen China ein Eingeständnis machen
„Zu über 80 Prozent linksgrün durchseucht“, schleudert der nächste mir entgegen
Der andere wohnt hier im Ort nah dran an den Windrädern. Ästhetisch seien die eine Katastrophe, findet er, und natur- und vogelschützerisch ebenfalls. Außerdem sei Windkraft Flatterstrom und er zweifelt am Ertrag der Windräder. Und kommt dann so richtig in Fahrt: „Es ist eine totale Lüge, die die linksgrünen Medien und Regierungsvertreter dem Volk aussetzen. Es ist ungeheuerlich und die Windkraft ist das Übelste überhaupt, weil die Effizienz desolat ist,“ regt er sich auf. Autsch. Ich bedanke mich.
Warum er sich doch dazu entschlossen hat, uns etwas zu sagen, frage ich ihn dann. Wir seien ja vom BR und auch über uns sagen ja manche, wir hätten, nunja, einen gewissen Einschlag. „Selbst der Bayerische Rundfunk, der ja früher ganz schlimm CSU-hörig gewesen sein soll, ist ja fast wie der WDR schon zu über 80 Prozent linksgrün durchseucht“, schleudert er mir entgegen. „Von Energiewende, Klimaaussagen, bis hin zu der ganzen Gender-, und Woke-Ideologie, es ist ein totales Drama. Und da wundern sich die Leute, warum die AfD stark ist. Mich wundert, warum die noch nicht viel stärker ist.“
Harte Worte, aber wirklich feindselig uns gegenüber wirkt er nicht. Es fühlt sich eher so an, als wolle er sich nur den Frust von der Seele reden. Sogar eine Visitenkarte gibt er mir und ein Prospekt. Er vermietet ziemlich ansehnliche Ferienwohnungen und Gästezimmer in der Nähe des Starnberger Sees.
Wo ist das Vertrauen hin?
Meine Fernsehumfrage ist nicht-repräsentativ, schon klar. Aber sie deckt sich erstaunlich gut mit einer Umfrage aus dem Dezember 2023. Erstellt vom Institut für Demoskopie Allensbach und des Medienforschungsinstituts Media Tenor. Dort kam heraus: Die gefühlte Meinungsfreiheit in der Bevölkerung hat den tiefsten Stand seit den Fünfzigerjahren erreicht. Nur noch 40 Prozent finden, dass man in Deutschland frei reden könne. 44 Prozent sind überzeugt, dass es besser ist, vorsichtig zu sein.
Vor allem AfD- und FDP-Wähler gaben an, man müsse mit Meinungsäußerungen vorsichtig sein. Etwas über 60 Prozent glaubten das bei der AfD, etwas darunter bei der FDP
Sehr überzeugt von der Meinungsfreiheit sind laut Studie dagegen grün wählende Akademiker. Nur 19 Prozent der Grünen-Wähler gaben an, man müsse mit Meinungsäußerungen vorsichtig sein. Warum das so ist? Die Autoren der Studie sagen: Das Medienklima habe einen großen Einfluss auf die empfundene Meinungsfreiheit. Entscheidend sei deshalb die Mediennutzung. Was von den Befragten als Hauptquelle für Informationen angegeben wurde? Zu 72 Prozent das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Das tut weh.
Die Furcht vor den sozialen Kosten einer Meinung
Natürlich sind Gefühle keine Tatsachen, jeder kann in Deutschland seine Meinung frei sagen. Niemand muss mit staatlichen Repressionen rechnen. Aber es ist nicht der Staat, den die Menschen fürchten. Sondern die sozialen Kosten einer Meinung. Die Sorge, deswegen einen Job oder Aufträge zu verlieren, von Freunden und Bekannten gemieden zu werden.
Dass viele die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinterfragen, empfinde ich als nichts Schlechtes. Es ist gut für die Demokratie, wenn Menschen nicht alles unkritisch hinnehmen, was wir Journalisten ihnen als Realität auftischen. Wenn sie selbst denken.
Aber auf der anderen Seite funktioniert Demokratie nur mit einem Mindestmaß an Vertrauen. In die Regierung, aber auch in uns Medien, sonst bröckelt das Fundament. Und manchmal, auch bei dieser Umfrage vor ein paar Monaten, wirkt dieses Fundament auf mich zumindest angekratzt.
Der Mann mit den Ferienwohnungen, der sich so aufgeregt und sich gewundert hat, warum die AfD nicht stärker ist, hat übrigens Recht behalten. Mittlerweile ist die AfD stärker geworden.
Ob die aktuellen Anti-AfD-Proteste daran etwas ändern werden? Ich glaube nicht. Vielleicht vergrößern sie die Gräben sogar. Die Demonstranten, die so fleißig gegen Rechts auf die Straße gehen, sollten sich lieber fragen, wie es sein kann, dass viele Menschen so vorsichtig mit ihren Meinungen geworden sind.