Erfahrungen aus einem Jahrzehnt Bürgerkrieg - Israel plant eine Bodenoffensive - doch es lauern tödliche Fallen der Hisbollah
Die Hisbollah ist für eine mögliche israelische Bodenoffensive gut gerüstet. Ihre Kämpfer können auf Erfahrungen aus einem Jahrzehnt Bürgerkrieg in Syrien zurückgreifen – und israelische Einheiten auf bergigem Terrain lange binden.
Eine israelische Bodenoffensive in den Libanon rückt näher. Nach der tödlichsten Woche seit Ende des Bürgerkriegs 1990 und dem ersten Einsatz einer auf Tel Aviv gerichteten, weit reichenden Rakete durch die Hisbollah sagte der israelische Generalstabschef Herzl Halevi am Mittwoch vor Soldaten, dass die Luftwaffe mit ihren Angriffen den Boden bereite für „eine Invasion in feindliches Gebiet, in Dörfer, die die Hisbollah zu militärischen Positionen ausgebaut hat, mit ihren Tunneln, Ausgucken und Vektoren, um unser Gebiet zu überfallen.“
Seit Montag hat die israelische Luftwaffe im Rahmen der Operation „Nördlicher Pfeil“ mehr als 2000 Angriffe auf Abschussrampen, Waffenlager und Kommandozentren der Hisbollah geflogen. Allein am Montag waren es 1300, so viele an einem Tag wie seit dem Libanon-Krieg 2006 nicht mehr.
Verteidigungsminister Yoav Gallant gab an, dass Zehntausende Raketen und Drohnen der Hisbollah zerstört worden seien, darunter weitreichende Geschosse, die die Parteimiliz in der Bekaa-Ebene gelagert habe.
Strategische Schläge gegen Hisbollah-Raketenarsenal
Aufgrund der offenbar massiven militärischen Schwächung der Hisbollah mehren sich in Israels Sicherheitsestablishment die Stimmen, die auf den raschen Beginn einer Bodenoffensive drängen. Noch vor Beginn der Winterperiode im November, in der das bergige libanesische Terrain den auf 50.000 Mann geschätzten Einheiten Generalsekretär Hassan Nasrallahs im Bodenkampf Vorteile bescheren könnte, sollte diese abgeschlossen sein.
Die kommenden zwei, drei Wochen sollten genutzt werden, um einerseits diplomatischen Lösungen eine Chance zu geben sowie durch anhaltende Luftangriffe das Raketenarsenal der von Iran gelenkten Parteimiliz weiter zu minimieren.
Zugleich wächst die Sorge, dass Israel damit wie bei der Belagerung Beiruts 1982 und während des 33-Tage-Kriegs 2006 in eine Falle tappe, aus der es sich selbst nicht mehr befreien könne. „Ich hoffe sehr, dass wir nicht die Fehler wiederholen, die in der Vergangenheit gemacht wurden“, sagte der Knesset-Abgeordnete Ram Ben Barak im Gespräch mit Table.Briefings.
Er gehört der Partei Jesh Atid (Es gibt eine Zukunft) des früheren Premierministers Jair Lapid an und war von 2008 bis 2011 stellvertretender Direktor des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad.
Hisbollah in Guerillakrieg erprobt
Anders noch als 2006 verfügen tausende Hisbollah-Kämpfer über Kampferfahrungen aus dem Syrien-Krieg. Auf der Seite der Armee Präsident Baschar al-Assads gingen sie dort seit 2012 gemeinsam mit Angehörigen der iranischen Revolutionsgarden Pasdaran gegen meist sunnitische Oppositionsmilizen vor. Hinzu kommt die Geschichte der von Iran Anfang der 1980er im Libanon aufgebauten Schiitenmiliz als Guerillatruppe gegen die israelischen Besatzer zwischen 1982 und 2000.
Mit gezielten Angriffen und Überfällen auf israelische Einheiten in jenen Gebieten südlich des Flusses Litani, die die israelische Luftwaffe seit Tagen bombardiert, erzwang die Hisbollah 2000 den Abzug der Israel Defense Forces (IDF). Auch den Waffenstillstand, der durch UN-Resolution 1701 im August 2006 besiegelt wurde, feierte die Hisbollah als Sieg.
Plakate mit dem Wortspiel „Nasr min Allah“ (Sieg Gottes) und dem Konterfei Nasrallah plakatierte sie danach in den von ihnen dominierten Gebieten südlich und östlich Beiruts.
Geheimdienstexperte Melman: Israels Methode „offenbar erfolgreich“
Zwei Jahrzehnte später scheint Nasrallah seine Karten jedoch überreizt zu haben. Nur einen Tag nach dem Terrorüberfall der Hamas auf den Süden Israels befahl er den Beschuss israelischer Gemeinden an der Grenze zum Libanon, um die Hamas zu unterstützen. Prahlte er im November 2023 noch, dass Israel „schwächer als ein Spinnennetz“ sei, kann davon elf Monate später keine Rede mehr sein.
1500 Hisbollah-Kader wurden durch die Detonation von Pagern und Walkie Talkies vergangene Woche verwundet; hinzu kamen die gezielten israelischen Angriffe auf hohe Kommandeure der Miliz, die Chaos und Verwirrung in den Organisationsstrukturen stifteten – und damit erst die Voraussetzung schufen für die massiven Luftangriffe der vergangenen Tage, so der Geheimdienstexperte Yossi Melman im Gespräch mit Table.Briefings. „Diese Shock and Awe-Methode war offenbar erfolgreich.“
Angesichts der Guerillataktiken der Hisbollah hält auch er eine Bodenoffensive für äußerst riskant. So seien die Fateh110-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern in der nördlichen Bekaa-Ebene untergebracht, die die israelische Armee vor noch größere Probleme stellen könnte als sie sie im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen erfährt. Hinzu komme, so die Israel-Expertin der International Crisis Group (ICG), Mairav Sonszain, dass die Regierung über kein Szenario für einen Ausstieg aus der Eskalationsspirale verfüge. Im Gespräch mit Table.Briefings sagte sie: „Dies ist nur eine Fortsetzung von Netanjahus Strategie des endlosen Krieges.“
90.000 Libanesen vertrieben
Die Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren. So kündigten die IDF am Mittwoch die Mobilisierung von zwei Reservebrigaden mit Infanterie- und Panzereinheiten für Einsätze an der Nordfront an. Sie sollen die dort stationierten beiden Divisionen verstärken. Im Libanon spitzt sich die humanitäre Lage nach den schlimmsten Angriffen auf das Land seit Jahrzehnten zu. 90.000 Menschen seien aus ihren Häusern vertrieben worden, gab die Internationale Organisation für Migration (IOM) an, 40.000 davon seien in 238 Notunterkünften untergebracht.
Das Original zu diesem Beitrag "Israel plant eine Bodenoffensive - doch es lauern tödliche Fallen der Hisbollah" stammt von Table.Media.