Europa braucht neues Sicherheitskonzept - Chaotische US-Politik könnte Chance für Europa sein - ein Land besonders gefragt

Erst US-Verteidigungsminister Pete Hegseth am Mittwoch, der sagte, die USA würden sich sicherheitspolitisch nicht mehr auf Europa konzentrieren, dann US-Vizepräsident   J.D. Vance am Freitag, der auf der Müncher Sicherheitskonferenz behauptete, die größte Gefahr für Europa bestehe im Ausschließen Rechtsextremer Parteien: Es waren zwei Reden, die wie zwei Paukenschläge die Nachrichten aus den USA in der letzten Wochen beherrschten.

Wer allerdings in den vergangenen Wochen die Nachrichten aus Washington verfolgt hat, den dürften die Aussagen kaum überrascht haben. Im politischen Europa scheint diese Erkenntnis jedoch noch nicht angekommen zu sein. Weit und breit keine Vision, die der Tragweite des Problems auch nur annähernd gerecht wird. Dabei gilt es nun, zu handeln, sich in die Verhandlungen zur Ukraine einbringen, Gespräche über französische Atomwaffen führen und auch jenseits sicherheitspolitischer Initiativen aktiv werden.

Warum USA unter Trump ein unsicherer Alliierter wird

Dass US-Präsident Donald Trump wenig Wert auf Bündnisse legt, ist hinlänglich bekannt. Allein seit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Januar 2025 hat er mehrfach gefordert, Kanada als US-Bundesstaat einzugliedern. Zudem möchte er Grönland annektieren, auch wenn dieses ein selbstverwalteter Bestandteil Dänemarks ist.

Wohlgemerkt sind sowohl Dänemark als auch Kanada Nato-Verbündete. Aus Trumps erster Amtszeit lässt sich lernen, dass nicht alles, was ihm vorschwebt, auch tatsächlich umgesetzt wird. Teils verlor der Präsident schlichtweg das Interesse an bestimmten Themen, in anderen Fällen erwiesen sich seine markigen Worte lediglich als Verhandlungsstrategie.

Dennoch: Wer glaubt heute noch ernsthaft, dass die USA ihre Verbündeten unter diesen Umständen verteidigen würden, wenn zugleich zu Verhandlungszwecken mit militärischen Angriffen auf eben jene Verbündete gedroht wird?

Europa hätte Friedensprozess steuern sollen

Europa und Deutschland sind jedoch nicht dazu gezwungen, ihr Schicksal tatenlos hinzunehmen. Das die Weimar-Plus-Staaten bestehend Deutschland, Frankreich, Polen, Italien, Spanien, dem Vereinigte Königreich, des Europäischen Auswärtigen Dienstes und der Europäischen Kommission eine Erklärung zur Solidarität mit der Ukraine abgegeben haben, ist ein Anfang.

Wünschenswert wäre jedoch gewesen, bereits vor Monaten einen Friedensprozess in Gang gesetzt zu haben. Auch wenn es kaum Aussichten auf substanzielle Erfolge gab, hätte man so zumindest einen Verhandlungsprozess geschaffen, in dem europäische Nationen mit am Tisch sitzen.

Besser spät als nie? EU erörtert neuen Nuklearschirm

Nach dem Motto „besser spät als nie“ sollte nun auch die mögliche Zukunft eines französischen Nuklearschirms für Europa ernsthaft diskutiert werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat Berlin wiederholt angeboten, gemeinsam über die europäische Dimension der französischen Nuklearwaffen nachzudenken. Eine konkrete Antwort aus Deutschland blieb bislang jedoch aus. Auch in den Wahlprogrammen der Parteien findet sich dazu nichts. Stattdessen dominiert die Vogel-Strauß-Taktik: Wenn ich es nicht sehe, existiert es nicht.

Chaotische US-Politik könnte Chance für Europa sein

Abseits der Sicherheitspolitik könnte die chaotische US-Politik sogar Chancen für Europa eröffnen. Nur braucht es auch hierzu eine gemeinsame Kraftanstrengung, der es derzeit an politischer Vision fehlt. So kürzt die US-Regierung weiterhin wahllos Finanzmittel. Betroffen sind unter anderem Universitäten und Forschungsprojekte, deren Budgets teils von einem Tag auf den anderen halbiert werden.

Diese Unsicherheit, gepaart mit einem zunehmend anti-intellektuellen Klima, eröffnet den europäischen Staaten die Möglichkeit, exzellente Wissenschaftler in strategisch wichtigen Bereichen anzulocken. Dies betrifft speziell die Naturwissenschaften. Hinzu kommt, dass der Brexit und die vergleichsweise geringen Gehälter im Vereinigten Königreich dort den akademischen Markt unattraktiver gemacht haben. Bereits 2017 versuchte Macron US-Klimawissenschaftler nach Frankreich zu holen. Heute könnte eine unbürokratische, europäische Exzellenzinitiative wichtige Leitplanken für die Zukunft setzen.

Es gibt also durchaus Spielräume, in denen Europa – sowohl als Ganzes als auch in bilateralen Initiativen – agieren könnte. Doch dafür bedarf es politischer Führung. Mit einem innenpolitisch geschwächten Präsidenten in Frankreich ruhen die Hoffnungen auf Deutschland. Hoffentlich nicht vergebens.

Alexander Sorg ist Postdoktorand an der Harvard University, wo er im Bereich Nuklearwaffen und internationale Politik forscht. Zuvor war der Wissenschaftler am Centre for International Security der Hertie School in Berlin.