„Können mich nicht zwingen“: Ukrainer berichten von der Angst vor der Einberufung

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Kiew will bis zu 500.000 neue Soldaten für den Ukraine-Krieg aufstellen. Auch nach Deutschland geflüchtete ukrainische Männer sollen einberufen werden. Zwei schildern von ihrer Angst davor.

Kiew - Die ukrainische Armee hat um die Mobilisierung von Hunderttausenden Ukrainern für den Kampf gegen Russland gebeten. Das berichtete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kurz vor Weihnachten.

Ukraine-Krieg: Militärspitze fordert laut Selenskyj bis zu 500.000 neue Soldaten an

Demnach habe die Militärspitze „450.000 bis 500.000“ neue Soldaten für den Ukraine-Krieg angefordert. Seiner Ansicht nach sei dies aber eine teure und politisch heikle Frage. Schätzungen zufolge würde eine derartige Mobilmachung mehr als zwölf Milliarden Euro kosten, erklärte Selenskyj. Auch ins Ausland geflüchtete Männer sollen nach Vorstellungen des Generalstabs aus Kiew mobilisiert werden.

Estland signalisierte bereits Bereitschaft, die ukrainischen Streitkräfte bei der Einberufung geflüchteter Staatsbürger zu unterstützen. Im Interview mit der Deutschen Welle (DW) haben nun junge ukrainische Männer, die teils nach Beginn des russischen Überfalls auf den westlichen Nachbarn nach Deutschland gegangen sind, von ihren Sorgen mit Blick auf eine mögliche Einberufung geschildert.

Die ukrainische Armee wirbt im ganzen Land, wie hier in Kiew, um neue Rekruten für die Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg.
Die ukrainische Armee wirbt im ganzen Land, wie hier in Kiew, um neue Rekruten für die Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg. © IMAGO/Ruslan Kaniuka

„Sie können mich nicht dazu zwingen. Ich glaube nicht, dass dies umsetzbar wäre“, erzählte zum Beispiel ein 35-jähriger Mann namens Sergei, der laut des Berichts nicht seinen richtigen Namen nennen wollte. Er ist demnach seit Juli 2022 in Deutschland. Er frage sich, schilderte er: „Warum sollte ich das tun?“ Er kenne Freunde, die an der Front gegen die russische Invasion auf Befehl von Kreml-Autokrat Wladimir Putin kämpfen, erzählte er. Es tue ihm zwar leid, dass sie kämpfen müssten, aber er selber werde ihnen sicherlich nicht folgen, erklärte Sergei der DW. Angesprochen auf andere geflüchtete ukrainische Männer meinte er: „Unter ihnen wird sich sicher keiner freiwillig zum Wehrdienst melden, um an die Front geschickt zu werden.“

Ukrainer in Deutschland: Mancher geflüchtete Mann will nicht in den Krieg gegen Russland

An dieser bereitet die russische Armee aktuell offenbar den finalen Angriff auf Awdijiwka im Donbass vor. Alleine hier, an einem schmalen Frontabschnitt im Osten des Landes, wurden seit Mitte Oktober westlichen Schätzungen zufolge 18.000 bis 20.000 russische Soldaten getötet oder verwundet. Auch die Verluste der Ukraine sollen empfindlich sein.

Sie können mich nicht dazu zwingen. Ich glaube nicht, dass dies umsetzbar wäre. Warum sollte ich das tun?

Die DW sprach zudem mit einem 25-jährigen Studenten namens Iwan, auch bei ihm wurde der Name geändert. Er studiere seit Jahren in Deutschland, heißt es in dem Bericht. „Ich habe einen ukrainischen Pass, aber mein Zuhause ist hier“, sagte er. Angeblich sei er Ende Februar 2022 in die Ukraine gereist, als die Russen in sein Heimatland einmarschiert sind, „doch dann traf ich auf eine ganze Welle ukrainischer Frauen und Kinder, die dringend Hilfe brauchten. Seitdem kümmere ich mich vor allem um sie: Menschen unterzubringen, zu versorgen, beim Ausfüllen von Dokumenten zu helfen, die Kinder in Schulen zu integrieren, sie zu Ärzten oder zu Ämtern zu begleiten“, erzählte er und meinte: „Auch heute noch rufen Dutzende von Menschen bei mir an, weil sie meine Hilfe brauchen.“

Ukraine-Krieg: Einberufungen ukrainischer Männer in Deutschland? Nicht jeder will

Iwan versicherte, er stünde bereit, sollte ihn das Generalkonsulat wegen einer Einberufung anrufen. „Aber im Moment verstehe ich nicht wirklich, wie ein solches Verfahren aussehen soll, denn ich befinde mich legal in Deutschland, habe eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, studiere und arbeite hier“, sagte er laut DW und meinte, dass er sich nicht vorstellen könne, „wer im ukrainischen Konsulat mich gegen meinen Willen zu etwas zwingen könnte“.

Zuletzt hatte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerov für Aufsehen gesorgt, als er in einem Interview mit Welt TV sowie mit den Zeitungen Bild und Politico verkündete, dass männliche Ukrainer im Alter zwischen 25 und 60 Jahren, die sich derzeit im Ausland befinden, in die Streitkräfte der Ukraine eingezogen werden sollen. Und zwar auf freiwilliger Basis, wie er später relativierte. Juristen wiesen wiederholt darauf hin, dass es keinen Rechtsrahmen für Einberufungen von im Ausland lebenden Ukrainern gebe. (pm)

Auch interessant

Kommentare