Raketen, Laster, Munition: Pistorius schnürt Weihnachtspaket für die Ukraine – mit großer Bedeutung

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Neue Waffen an die Front in der Ukraine: Patriot-System wird zum Killer für russische Kampfjets © picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Deutschland rüstet die Ukraine weiter auf. Damit signalisiert die Ampel guten Willen und jongliert wieder mit Krediten. Die Union protestiert.

Berlin – 26 Seiten ist sie lang: die Liste der Unterstützungsleistungen Deutschlands an die Ukraine im Krieg gegen Russland. Darin stehen beispielsweise auch 30.000 Euro für eine Foto-Ausstellung zum Alltag im Ukraine-Krieg, geplant in U-Bahnstationen in Berlin, Prag und Barcelona. 8,9 Milliarden Euro sieht die Liste beispielsweise für die Grundsicherung von Geflüchteten vor. Jetzt legt die Bundesregierung militärisch nochmal nach, um Wladimir Putins Angriff zurückschlagen zu lassen.

Mit dem zweiten „Winterpaket“ entwickelt sich Deutschland zu einem der aktuelle zahlungswilligsten Partner der Ukraine und schiebt nochmals militärische Güter im Wert von einer Milliarde Euro nach. Damit nicht genug: Obwohl sich die Ampel-Koalition auf die Einhaltung der Schuldenbremse geeinigt hat, könnte sich diese aber durch die Notwendigkeit weiterer Hilfen für die Ukraine aushebeln lassen – das heißt: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist offenbar gewillt, für die Unterstützung der Ukraine weitere neue Schulden zu machen. Eine besondere Notlage könnte das möglich machen. Oder aber er könnte andere, bereits vom Bundestag genehmigte Schulden anzapfen – und damit eine weitere Ohrfeige vom Bundesverfassungsgericht riskieren. Die Union steht dafür schon „Gewehr bei Fuß“.

Trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts sehen Rechtsexperten erstmal auch kein Problem in neuerlichen Schulden, wie die Legal Tribune Online schreibt: „Verfassungsrechtlich dürfte klar sein, dass der russische Überfall auf die Ukraine eine außergewöhnliche Notsituation gemäß Artikel 115 Grundgesetz erzeugte. Dass der Überfall bereits 2022 erfolgte, ist kein generelles Hindernis. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 15. November zum Klima- und Transformationsfonds bei Krisen mit länger fortdauernden Folgen ausdrücklich ,jährlich wiederholte‘ Notlagen-Feststellungen erlaubt.“

Beobachter warnen: Putins Krieg wird noch sehr lange dauern

Westliche Beobachter gehen inzwischen davon aus, dass Wladimir Putins Krieg über 2024 hinausreichen wird und dem Westen die Notwendigkeit eines langen Atems prophezeit. Das zweite „Winterpaket“ und die mögliche erneute Kreditaufnahme zugunsten der Ukraine verteidigte beispielsweise der Politikwissenschaftler Carlo Masala im Hamburger Abendblatt als „wichtiges Signal“, wie er sagt: „Deutschland macht jetzt deutlich, dass es bereit wäre, mehr zu tun, als es ohnehin schon tut.“ Seiner Ansicht nach zeigt die Bundesregierung damit deutlich, dass auch sie von einem noch länger währenden Krieg in der Ukraine ausgeht.

Die Absichtserklärung des Bundeskanzlers mag Folge eines Grundsatzpapiers aus dem Bundesministerium für Verteidigung sein. Darin hat sich Minister Boris Pistorius (SPD) klar positioniert: „Wir müssen Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein. Unsere Bevölkerung, aber auch unsere Partner in Europa, Nordamerika und der Welt erwarten von uns, dass wir uns dieser Verantwortung stellen.“ Ein Kontrahent ist mit Russland ausgemacht und wird auch als solcher genannt. Durch die aufgezwungene Umstrukturierung der eigenen Stärke müsse Deutschland nun „sicherheitspolitisch erwachsen“ werden. Das bedeutet, dass in der Ukraine auch deutsche sicherheitspolitische Interessen vertreten werden.

Politiker drohen – USA drohen als Unterstützer der Ukraine auszufallen

Da die USA als Unterstützer der überfallenen Ukraine auszufallen drohen, muss die neue Tranche der in die Ukraine gelieferten militärischen Güter auch unter diesem Aspekt betrachtet werden. Sie umfasst etwa:

  • 69 Mehrzweckfahrzeuge mit Kette Bandvagn 206
  • 2 Luftverteidigungssysteme Patriot mit Ersatzteilen plus Patriot Flugkörper
  • 33.390 Schuss 155mm Artilleriemunition
  • 6 mobile, ferngesteuerte und geschützte Minenräumgeräte
  • 182 Drohnensensoren
  • 232 LKW Zetros
  • 85 Schwerlastsattelzüge 8x8 HX81 und 84 Auflieger
  • 8 Tankfahrzeuge Zetros
  • 316 Kraftfahrzeuge (Lkw, Kleinbusse, Geländewagen)
  • 214.455 Schuss Munition 40mm
  • 47 Toyota Land Cruiser

„Besuch beim treuesten Freund“ hatte tagesschau.de seinen Bericht über den jüngsten Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei US-Präsident Joe Biden betitelt. Angesichts der deutschen Weihnachts-Sendung und dem prognostizierten Blanko-Scheck durch Bundeskanzler Olaf Scholz könnte sich die Ukraine künftig stärker an Deutschland anlehnen. Allerdings ist Europa außerstande, ausbleibende Hilfen aus den USA abzufangen. „Es ist existenzgefährdend“, mahnte der Experte des European Council on Foreign Relations, Gustav Gressel gegenüber tagesschau.de.

Dem ukrainischen Präsidenten eröffnet sich daher im Westen eine zweite Front; davor warnen auch die Demokraten im US-amerikanischen Kongress: Stimme der US-Kongress nicht schnellstmöglich zu, werde die Ukraine auf dem Schlachtfeld „in die Knie gezwungen“, warnte unlängst die Direktorin des US-Haushaltsamtes, Shalanda Young, beide Kongresskammern in Washington D.C. in einem Brief. Als mitentscheidend für den Kriegsverlauf bewerten Beobachter die russische Präsidentenwahl im kommenden März.

Experten rechnen: Bis 400.000 Soldaten kann Russland noch ausheben

Politikwissenschaftler Carlo Masala rechnet nach einer Wiederwahl Wladimir Putins mit einer erneuten Mobilisierungswelle in Russland. Masala schätzt, dass zwischen 300.000 und 400.000 Mann erneut ausgehoben werden könnten; damit hätte Putin wieder eine runderneuerte Streitmacht für die Ukraine zusammen. Auch deshalb rechnen demokratische US-Politiker damit, dass nach einem Sieg in der Ukraine auch die USA wieder in den Fokus von Wladimir Putins Großmachtstreben rücken könnten. Ein Wahlsieg Trumps im November 2024 könnte indes sogar den Austritt der USA aus der Nato nach sich ziehen.

Für den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius bedeutet diese internationale Lage jedenfalls ein hochexplosives Minenfeld und eine gänzlich neue Herausforderung für die Bundeswehr, wie das Grundsatzpapier „Verteidigungspolitische Richtlinien 2023“ klar herausstellt: Die Bundeswehr muss personell und materiell jederzeit durchhaltefähig einsatzbereit sein. Pistorius: „Die neue Qualität der Bedrohung unserer Sicherheit und die brutale Realität des Krieges in der Ukraine verdeutlichen, dass wir unsere Strukturen und Prozesse am Szenario des Kampfes gegen einen mindestens ebenbürtigen Gegner ausrichten müssen: Wir wollen diese Auseinandersetzung nicht nur gewinnen, sondern wir müssen. Dies gibt den Takt vor. Unbestritten ist dabei, dass die Bundeswehr ebenfalls jederzeit für Einsätze mit einem anderen Anforderungsprofil vorbereitet sein muss.“

Union protestiert: Ampel begeht „Wortbruch gegenüber der Bundeswehr“

Trotzdem oder gerade deswegen flammt Zoff auf im Bundestag. Wie der Spiegel berichtet, befürchtet die CDU eine Austrocknung des Verteidigungs-Etats, wenn sowohl die Bundeswehr als auch die Ukraine letztlich aus demselben Topf des „Sondervermögens“ bedient werden würden. Laut dem Tagesspiegel wirft der CDU-Haushaltspolitiker Ingo Gädechens der Ampel „Wortbruch gegenüber der Bundeswehr“ vor. Auch der Bundesrechnungshof hatte bereits davor gewarnt, den Kredit unter der Bezeichnung „Sondervermögen“ für andere als die geplanten Investitionen zu verpulvern – beispielsweise für Güter, die die nach Kiew abgeflossenen Hilfslieferungen ersetzen sollen.

Nach bisheriger Planung wird das „Sondervermögen“ für die Bundeswehr Ende 2027 ausgegeben sein; fielen jetzt auch Kosten für Kiew darunter, schmölze die Kreditsumme schneller. Klar ist allerdings, dass der Ukraine-Krieg dem Westen Rüstungsanstrengungen ungeahnten Ausmaßes abverlangt. Markus Reisner, Historiker und Oberst des österreichischen Bundesheeres, sagte, der Westen liefere der Ukraine genug Waffen, um die Frontlinie gegen Russland zu halten, aber nicht genug, um die Russen zu besiegen. Ihm zufolge ist das dem strategischen Interesse des Westens geschuldet, die Eskalation in Grenzen zu halten: Der Westen wolle Russland nicht besiegen, sondern in die Schranken weisen.

Deshalb hangele sich der Westen von einer Lieferung zur nächsten. Reisner zufolge „moderiert und temperiert“. Würde Russland mit seinem Überfall durchkommen, weil jedes Land, das hätte eingreifen können, seine eigenen Interessen verfolgt, indem es sich isoliert oder auf Sanktionen gegen Russland verzichtet, wie China, Brasilien, Indien oder Pakistan, stünde die Weltordnung auf dem Spiel. Deshalb hat Pistorius mit seinen Verteidigungspolitischen Richtlinien eine Offensive gestartet. Dort sind als alleiniger Gradmesser der bundesdeutschen Wehrhaftigkeit klar und deutlich die imperialistischen Anläufe Russlands genannt. Auch diese Liste ist also mittelbar eine Unterstützung für die Ukraine. 34 Seiten ist sie lang.

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