Krieg am Kabel: Furchterregende neue Waffe verändert den Kampf in der Ukraine
Das Patt in der Ukraine setzt sich auch im Drohnenkrieg fort. Putins Armee scheint aber in der Abwehr und im Angriff den Verteidigern davonzuziehen.
Kiew – „Die Idee ist großartig, denn man operiert in absoluter Funkstille und kann daher von keinem Radarsystem erfasst werden“, sagt „Yas“. Gegenüber dem Magazin The War Zone hat der Kommandeur der 12. Spezialkräftebrigade Asow gemutmaßt, dass via Glasfaser gelenkte Drohnen die Zukunft künftiger Kriege mitbestimmen sollten. Allerdings hat die Ukraine ihren Vorsprung in dieser Technik gegen Wladimir Putins Invasionsarmee eingebüßt und muss sich wohl bemühen Schritt zu halten mit einer Entwicklung, die sie selbst mit angestoßen hat.
Die Verteidiger hätten diese Technik einsatzfähig entwickelt, aber gerade in der russischen Region Kursk, in die die Ukraine überraschend vorgedrungen war, hätten Moskaus Glasfaserdrohnen zur Wende beigetragen, schreibt aktuell die Washington Post (WP). Die WP-Autoren Siobhán O‘Grady, Kostiantyn Chudow und Serhii Korolchuk berufen sich auf ukrainische Quellen, wonach russische Truppen mit den bis zu 20 Kilometer weit reichenden Waffen sowohl die Logistikrouten der Ukrainer kontrollieren konnten als auch viel Kriegsgerät zerstört haben, was zum Rückzug beigetragen habe.
Ukraine-Krieg: Einfallsreichtum als „zwingende Notwendigkeit, um eine Niederlage zu vermeiden“
Seit etwas mehr als einem Jahr tauchen Glasfaserdrohnen häufiger in Kampfeinsätzen auf, schreibt auch der Business Insider (BI) und nimmt Bezug auf die Klage eines Majors einer ukrainischen Einheit für elektronische Kriegsführung: Die Drohnen seien „ein echtes Problem“, weil „wir sie nicht elektronisch aufspüren und abfangen können“, sagt „Yuriy“, wie ihn der Business Insider nennt. Im Gegensatz zu kabellosen Drohnen, die durch Funk- oder Wi-Fi gesteuert würden, sei eine Glasfaserdrohne über ein ultraleichtes Glasfaserkabel mit der Bodenstation verbunden. Diese physische Verbindung sichere eine störungsfreie, latenzarme Datenübertragung. Insofern profitieren beide Kriegsparteien gleichermaßen davon, wie sie beide gleichermaßen unter den Waffen leiden.
„Der Staat stellt derzeit keine kontinuierliche Versorgung mit solchen Systemen, solchen Drohnen, sicher. Deshalb ist es für uns bei den meisten Systemen ziemlich schwierig, den Gegner einzuholen.“
Offenbar sucht auch Russland sein Heil darin, immer ausgefeiltere Drohnentechnik an die Front zu schicken. „Die beeindruckend schnellen Innovationszyklen – von Pappdrohnen und angebundenen Drohnen bis hin zu erhöhter Autonomie und dem Einsatz künstlicher Intelligenz – sind also nicht nur das Ergebnis des Einfallsreichtums ukrainischer, russischer und westlicher Ingenieure. Sie sind eine zwingende Notwendigkeit, um eine Niederlage zu vermeiden“, schreibt Ulrike Franke. Die Politikwissenschaftlerin des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR) sieht in der Ukraine das Land, das die Drohnentechnologie in der Welt über kurz oder lang am besten beherrschen wird. Noch scheint Russland aber einen Vorteil herausschlagen zu können.
„Ich würde sagen, die Wahrscheinlichkeit, dass eine voll funktionsfähige Drohne im Kampfeinsatz ihr Ziel trifft, liegt bei etwa 50 Prozent, sagt „Yas“ gegenüber TWZ. Allerdings räumt der Offizier ein, dass die Handhabung der Waffe besondere Anforderungen an die Piloten stelle – aufgrund der physischen Verbindung über lange Distanzen, können Fehler in der Bedienung oder Unachtsamkeit dazu führen, dass die Waffe sich an natürlichen Hindernissen verheddere und einen Kontrollverlust nach sich ziehen könnte oder sogar eine unbeabsichtigte Explosion. Ein einziger Knoten in der Leitung würde die Verbindung schon empfindlich stören.

Ukraine wankt: „Der Staat stellt derzeit keine kontinuierliche Versorgung mit solchen Systemen sicher“
Tatsächlich ist der Anteil der kabelgebundenen FPV-Drohnen (First-Person-View) am Drohnenkrieg in der Ukraine noch sehr klein: „Wenn ich einen Prozentsatz nennen müsste, würde ich sagen, dass es weniger als fünf Prozent sind“, sagt „Yas“ gegenüber TWZ. Allerdings bestimmen sie scheinbar mehr und mehr den Verlauf der Kampfhandlungen, behauptet jedenfalls die Washington Post. Russlands Drohnen an Glasfaserkabeln seien den ukrainischen kabellosen Drohnen in Batterielaufzeit sowie in der Zielerfassung deutlich überlegen, schreibt das Blatt. Vor allem habe Russland weit mehr Exemplare davon – ein Desaster in Kursk: „Dies verschaffte Russland einen entscheidenden Vorteil und machte die Bewegungen so riskant, dass ukrainische Truppen zeitweise ohne Nahrung, Munition oder Fluchtwege an der Front festsaßen“, schreibt die Washington Post über Aussagen von ukrainischen Soldaten.
Wie The War Zone aktuell aufgrund des Berichtes des Kommandeurs meldet, sei der Ruf der Ukraine als Drohnenherstellerland möglicherweise besser als die tatsächlichen Möglichkeiten – die Popularität dieser Waffe scheint die Produktionskapazitäten zu übersteigen, legt „Yas“ nahe: „In der Ukraine gibt es mehrere gute Hersteller von Glasfaserkabeln für solche Drohnen, und die Wartelisten sind recht lang. Zwei bis drei Monate Wartezeit sind eine recht lange Zeit, und der Kauf minderwertiger Systeme ist für uns ebenfalls keine Option.“, sagt er. Laut der Statistik-Plattform Observatory of Economic Complexity (OEC) rangierte die Ukraine 2023 im vorderen Mittelfeld aller 144 Länder, die chemisch gebundenes Glasfasergewebe importieren. Die Herkunftsländer waren vor allem Deutschland mit der Hälfte aller Importe, Finnland, Tschechien, die Niederlande und China.
Mittlerweile versucht die Ukraine verstärkt, Glasfaser selbst herzustellen. Bemerkenswerterweise bezieht auch Russland seine Glasfaser zu einem großen Teil aus dem Reich der Mitte. Allerdings fehlt der Ukraine wohl weiterhin Material, um die Flotte ihrer Glasfaserdrohnen zu vergrößern. „Der Staat stellt derzeit keine kontinuierliche Versorgung mit solchen Systemen, solchen Drohnen, sicher. Deshalb ist es für uns bei den meisten Systemen ziemlich schwierig, den Gegner einzuholen“, sagt „Yas“. Viele Prozesse bei einfachen und ferngesteuerten Drohnen seien staatlich strukturiert und daher effektiv, aber bei Glasfaserdrohnen sei noch viel zu verbessern, wie er äußert.
Begrenzte Offensive: Als „dramatisch“ bezeichnet Fedorov das Ausmaß der Nachfrage nach Glasfaserdrohnen
Als „dramatisch“ bezeichnet Mychajlo Fedorow das Ausmaß der Nachfrage nach Glasfaserdrohnen, die in der Ukraine steigt und steigt, wie der ukrainische Minister für digitale Transformation der Washington Post gegenüber geäußert hat. Obwohl die Waffen im Drohnenkrieg eine bisher zahlenmäßig bescheidene Rolle einnehme, werde sich die Bedeutung seiner Meinung nach erhöhen. Wie er sagte, würden von den 500 Drohnenherstellern in der Ukraine immerhin – beziehungsweise lediglich – 15 Hersteller Glasfaserdrohnen entwickeln. Weitere 20 stellten die zylindrischen Spulen her, auf denen die importierten Kabel aufgezogen würden.
Offenbar ist der Einsatz der Drohnen an besondere Leistungen der jeweiligen Piloten oder Einheiten gebunden, legt die Washington Post nahe. Digital-Minister Fedorow solle demnach die Nachfrage persönlich bedienen; wie die WP schreibt, verfolge der Unternehmer die Nachfrage über die Marktplatz-Website seines ministerialen Büros: „Dort können ukrainische Soldaten Glasfaserdrohnen und andere Waffen über ein Zahlungssystem kaufen oder ,Punkte‘ einlösen, die sie erhalten, wenn sie den Nachweis erbringen, dass sie russische Ausrüstung zerstört haben“; schreiben die Autoren O‘Grady, Chudow und Korolchuk.
Putins Vorteil: Russische elektronische Kriegsführung gehört derzeit „zweifellos zu den führenden der Welt“
Insofern sei die Ukraine darauf angewiesen, einerseits die eigene Produktion zu erhöhen und andererseits die russische zu schwächen. Kürzlich hat die Ukraine in Russland ein Werk zur Herstellung von Glasfaser zerstört oder zumindest beschädigt. Laut der WP versucht die Ukraine, Glasfaser von Drohnen, die sich auf dem Schlachtfeld verheddert hätten zu verfolgen und anhand der Glasfaserleitungen die Quelle der Steuerung zu identifizieren und deren russische Piloten gezielt auszuschalten.
Unter dem Namen „The Spider“ tüftele die Ukraine parallel an einer Glasfaserdrohne, die mehr als 100 Kilometer pro Stunde schnell fliegen soll, weil deren Spule eine solche Abrollgeschwindigkeit ermögliche. Laut der Washington Post sei das eine von mehreren Optimierungen, an denen sich die Ukraine versuche. Die Ukraine scheint gezwungen, daran zu arbeiten. Wie der Gesprächspartner von The War Zone vermutet, sei Russland im Drohnenkrieg aktuell auf eine konventionelle Art kaum beizukommen, wie „Yas“ erklärt:
„Ich möchte betonen, dass die russische elektronische Kriegsführung derzeit zweifellos zu den führenden der Welt gehört. Ich möchte den Feind daher nicht unterschätzen. Wir müssen das Ausmaß des Feindes akzeptieren und anerkennen.“